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HIV-Evolution: Wie Affen-Immunschwächeviren plötzlich den Menschen eroberten

HIV tötet seit gut 100 Jahren - die nah verwandte Affenvariante des Virus gibt es aber schon seit vielen Jahrzehntausenden. Was hat die Menschheit so lange erfolgreich geschützt?
Künstlerische Darstellung des HI-Virus

Das HI-Virus verursacht beim Menschen eine fast immer unheilbare Erkrankung, und ohne lebensverlängernde Medikamente sterben Infizierte unweigerlich. Dabei ist das heute so bedrohliche Virus mysteriöserweise im 20. Jahrhundert vergleichsweise plötzlich zur todbringenden Gefahr geworden, als in Affen zirkulierende Varianten von Immunschwächeviren sich so veränderten, dass sie auch Menschen infizieren konnten. Einige Studien haben seitdem untersucht, was sich dabei in dem – oder den – Affenviren auf dem Weg zum HIV verändert hatte. Ein internationales Team stellt in »Cell Host & Microbe« nun eine verwandte, aber etwas andere Frage: Wie ist es dem Immunsystem des Menschen eigentlich über Jahrtausende hinweg gelungen, sich gegen mutierte Varianten von in Affen zirkulierenden SIV-Immunschwächeerregern zu verteidigen? Immerhin infizierten diese viele andere Primaten und Affen schon seit vielen Jahrzehntausenden – ohne dem stets in der Nachbarschaft lebenden Menschen offenbar jemals gefährlich zu werden. Die Affenviren, so die Forscher nun, mussten zunächst lernen, eine lange wirksame Abwehrmaßnahme des menschlichen Immunsystems zu umgehen.

Das Team um James Hurley von der University of California in Berkeley und Frank Kirchhoff von der Universität Ulm beschreibt, dass diese lange erfolgreiche HIV-Sperre auf eine im Lauf der Entwicklung des modernen Menschen aufgetretene Mutation zurückgeht: Sie entfernte bei uns fünf strategisch entscheidende Aminosäuren und veränderte so die Form des Proteins Tetherin. Dieses Protein wird bei Virusattacken vom Immunsystem von Primaten, Affen und Menschen angefordert und auf der Oberfläche von Zellen in Stellung gebracht. Dort soll es als Proteinverbund eigentlich verhindern, dass neu gebildete Viren eine infizierte Zelle wieder verlassen können: Es fesselt virusgefüllte Bläschen so lange an den Zellen, bis das Immunsystem dies erkennt und die Zellen zerstört. Gerade die SI-Viren kennen aber Gegenmaßnahmen: Sie lassen Anti-Tetherin-Proteine wie Nef bauen, die dann die Rekrutierung des Abwehrproteins stoppen, sich mit Tetherinen verbinden und diese von der zelleigenen Müllabfuhr zerstören lassen. Damit ist der Weg aus der Zelle für die Viren frei.

Diese Anti-Abwehrmaßnahme gelingt SI-Viren von Affen und Primaten – sie lief jedoch, so die Forscher um Hurley und Kirchhoff, beim Menschen wegen einer besonderen Mutation der menschlichen Tetherine lange ins Leere: Analysen der Proteinstruktur mit Kryoelektronenmikroskopie legen nahe, dass die Mutation die Andockstellen von Nef-Proteinen am menschlichen Tetherin so drastisch veränderte, dass SIV die Abwehrproteine nicht attackieren kann. Das sorgte in der Evolution dafür, dass subtil veränderte Varianten von SIV vielleicht Zellen des Menschen infizieren konnte – diese produzierten aber keine neuen Viren, so dass das Virus nicht von Mensch zu Mensch übertragen wurde. Und das verschaffte Homo sapiens im Gegensatz zu Affen und Primaten wertvolle Zeit: »Die Menschen hatten dadurch wohl eine Gnadenfrist von zehntausenden bis hunderttausend Jahren, in denen sie sich nicht mit der Immunschwäche herumplagen mussten. Ich schätze, das hat ihnen einen echten Vorteil in der frühen Entwicklungsgeschichte geliefert«, meint Hurley in einer Pressemeldung.

SIV unterbindet zelluläre Virus-Abwehr | SIV, die Affenvariante von HIV, schafft es, einen wichtigen Verteidigungsmechanismus der Zellen zu unterlaufen – die Tetherin-Proteine (grün). Sie finden sich nach einem Alarmsignal des Körpers auf der Zelloberfläche und fesseln Bläschen mit neu gebildeten Viren, bis das Immunsystem die Zelle als Gefahr erkennt und vollständig zerstört. SIV bildet dagegen das Protein Nef (gelb), bindet darüber Tetherin an das Protein AP-2 (lila) und sorgt dadurch für eine Zerstörung der Tetherine. Im Menschen kann das Nef der SI-Viren die Tetherine nicht binden, weil diese eine mutationsbedingt deutlich veränderte Form haben. Menschen sind daher gegen SIV gefeit – und wären es auch gegen HIV, wenn diesem Erreger nicht ein weiterer Ausweg eingefallen wäre.

Die Gnadenfrist war allerdings beendet, als einige SIV-Varianten auf dem Weg zur Entwicklung in HIV andere Wege eingeschlagen haben, Tetherine unschädlich zu machen. Was dabei geschah, zeigen die Forscher am Beispiel von HIV-2, einer selteneren Variante des menschlichen Immunschwächevirus, die sich aus einem Vorläufer entwickelt hat, der einst in Rußmangaben (Cercocebus atys) existierte und sich in Schimpansen verbreiten konnte. Diese Vorläuferform veränderte nicht die Gestalt des Proteins Nef, brachte aber ein weites Protein mit ähnlicher Funktion namens Vpu in Stellung. Zum Unglück des Menschen reichte eine leichte mutationsbedingte Veränderung von Vpu aus, um es zu einem geeigneten Werkzeug gegen die durch Nef unangreifbaren menschlichen Tetherine zu machen. Irgendwann vor gut 100 Jahren sprang ein so ausgestattetes Virus dann auf den Menschen über – womöglich, als Jäger virenverseuchtes Affenfleisch aßen oder mit Tierblut in Kontakt kamen. Dem neuen HIV gelang es, die Tetherine mit dem veränderten Werkzeug Vpu lahmzulegen – und sich in der Folge von Mensch zu Mensch zu verbreiten.

Ähnlich dürfte das auch bei anderen Formen von HIV abgelaufen sein, vermuten die Forscher, die dies in weiteren Untersuchungen nun abklären wollen. Dazu wollen sie zunächst die verschiedenen Anti-Antivirenproteine analysieren, die bei den in Flachlandgorillas entstandenen SI-Viren vorhanden waren, die sich zum heute zweithäufigsten, in Westafrika epidemischen Subtyp des Immunschwächevirus entwickelt haben, dem HIV-1 der Gruppe O.

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