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Coronavirus-Symptom: Wie blockiert Covid-19 den Geruchssinn?

Viele Infizierte können anscheinend nicht mehr riechen. Neue Daten lassen den Effekt nun noch seltsamer erscheinen: Das Virus befällt Zellen der Riechschleimhaut - aber nur wenige.
Eine Frau riecht an einer üppigen Pfingstrose.

Anders als bisher vermutet gibt es bei Covid-19 wohl doch ein typisches Symptom. Ein großer Teil aller Erkrankten berichtet, durch das Virus den Geruchs- und Geschmackssinn verloren zu haben. Der Unterschied zu ähnlichen Infektionen wie Erkältung und Grippe: Oft ist der Verlust der Riechfähigkeit sehr plötzlich und nahezu komplett und nach einigen Berichten in vielen leichten Fällen sogar das auffälligste Symptom. Ungewöhnlich ist ebenfalls, dass die Nase nach Ende der Infektion binnen Tagen wieder funktioniert.

Das deutet nach Ansicht vieler Fachleute darauf hin, dass Sars-Cov-2 etwas Ungewöhnliches in der Nase macht, das bei Erkältung und Grippe nicht passiert. Auch solche Atemwegsinfektionen führen manchmal dazu, dass man nicht mehr riechen und schmecken kann; so kriegen zwei Drittel aller Menschen mit chronischer Nebenhöhlenentzündung Riechprobleme. Diese virale Anosmie, wie das Phänomen medizinisch heißt, kommt aber nicht daher, dass die Nase verstopft wäre. Die Infektion scheint das Riechepithel zu schädigen, jenen Teil der Nasenschleimhaut, der die Geruchssinneszellen enthält.

Vermutlich zerstören die Erreger die Nervenzellen, die die Geruchsrezeptoren tragen. Diese Neurone müssen nach Ende der Infektion erst aus Stammzellen nachwachsen, was vier bis sechs Wochen dauert. Die Riechstörung durch Sars-CoV-2 scheint jedoch auf anderem Weg zu Stande zu kommen. Dass der Effekt bei Covid-19 nach der Erkrankung schnell wieder zu gehen scheint, spricht eher für Störung statt Zerstörung. Das vermutet auch der Geruchsforscher Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum. »Eine der Ideen im Moment ist, dass sich die Coronaviren an Nervenfasern der Neurone anlagern und die elektrische Impulsleitung stören«, erklärt er.

ACE2 in der Riechschleimhaut

Indizien für einen möglichen Mechanismus kommen auch von einer Arbeitsgruppe um Krishan Gupta vom Indraprastha Institute of Information Technology in Delhi, die einen im Februar veröffentlichten Datensatz über die Genaktivität in den Zellen der Riechschleimhaut nach Daten über den Rezeptor ACE2 durchforstete. An dieses Protein dockt das Sars-CoV-2 an, um in Zellen einzudringen.

Wie die Gruppe in einer noch ungeprüften Vorabveröffentlichung berichtet, wurde sie fündig. Allerdings keineswegs in den Sinneszellen selbst oder den Gliazellen, die diese bei der Reizweiterleitung unterstützen. Dieser Befund könnte erklären, warum der Geruchssinn in vielen Fällen sehr schnell wiederkehrt: Die empfindlichen Neurone werden vom Virus nicht angegriffen. Tatsächlich ist nach den Daten der indischen Arbeitsgruppe der allergrößte Teil der Zellen der Nasenschleimhaut immun gegen das Virus.

In der gesamten Riechschleimhaut erzeugt nur etwa ein Prozent aller Zellen überhaupt ACE2-Rezeptoren. Zu ihnen gehören neben einem Zelltyp in der untersten Schicht des Riechepithels, aus dem kontinuierlich neue Schleimhautzellen entstehen, auch zwei Zellpopulationen, die wichtige unterstützende Funktionen wahrnehmen. Der Rezeptor taucht auf einem Teil der Sustentakularzellen auf; diese Unterstützungszellen sind am Abbau toter Nervenzellen und von Giftstoffen beteiligt.

Außerdem produzieren sie Odorant-Bindeproteine, die möglicherweise Geruchsmoleküle durch die Schleimhaut transportieren und so erst für die Riechzellen verfügbar machen. Ebenfalls prinzipiell von Sars-CoV-2 infiziert werden kann laut dieser Analyse ein Zelltyp in den Bowman-Drüsen, der auch Stoffe in die Schleimhaut abgibt, die eine wesentliche Rolle für die Funktion der Sinneszellen spielen.

Sind Unterstützerzellen betroffen?

Möglicherweise verändert eine Infektion dieser Zelltypen das Milieu in der Schleimhaut so, dass die Riechsensoren ihre Arbeit nicht mehr machen können – jedoch wieder aktiv werden, sobald sich die Bedingungen normalisieren. Oder aber der geringe Anteil der dort betroffenen Zellen deutet darauf hin, dass das Phänomen eher Nervenleitungen allgemein betrifft. Allerdings ist das Spekulation – es gibt derzeit praktisch keine Daten darüber, was in der Nasenschleimhaut Betroffener tatsächlich passiert.

Wie tödlich ist das Coronavirus? Was ist über die Fälle in Deutschland bekannt? Wie kann ich mich vor Sars-CoV-2 schützen? Diese Fragen und mehr beantworten wir in unserer FAQ. Mehr zum Thema lesen Sie auf unserer Schwerpunktseite »Ein neues Coronavirus verbreitet sich weltweit«.

Unglücklicherweise kann man auch nicht einfach nachgucken. »Leider ist das Material – menschliche Riechschleimhaut inklusive Neuriten –, das man für die Nachweise benötigt, nicht zu beschaffen«, sagt Hanns Hatt. Der Schädelknochen in diesem Bereich sei so dünn, dass schon leichter Druck ausreicht, ins Gehirn hineinzustoßen. Biopsien in diesem Bereich seien daher gefährlich und deswegen ethisch schwierig, erklärt der Forscher.

Immer mehr Fachleute halten das Symptom allerdings für sehr typisch, insbesondere bei leichten Infektionen. In einer Studie der Université de Mons in Belgien an über 400 nur leicht Erkrankten gaben 86 Prozent der Betroffenen an, dass auch ihr Geruchssinn beeinträchtigt oder vorübergehend komplett verloren gegangen war. Der Geruchsverlust könnte sogar ein unerwarteter Segen für die Bekämpfung der Seuche sein – wenn er bei sonst asymptomatischen Patienten die Infektion anzeigt.

Claire Hopkins, Präsidentin der britischen Fachgesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, berichtet in einem Schreiben von deutlich mehr Betroffenen mit Riechdefekten, aber ohne sonstige Symptome von Covid-19. Solche Patientinnen und Patienten sollten angewiesen werden, sich in Quarantäne zu begeben, schrieb sie.

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