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Sechs Ausbrüche in einer Woche: Wie das Kamtschatka-Beben eine Vulkanserie auslöste

Nach dem Megabeben vom 30. Juli brachen in Kamtschatka sechs große Vulkane binnen weniger Tage aus. Hinter der ungewöhnlichen Serie stecken wiedergeborene Inseln und eine seltsame Tiefenströmung.
Drei schneebedeckte Vulkane unter klarem Himmel. Der rechte Vulkan zeigt Anzeichen von Aktivität mit aufsteigendem Rauch und glühender Lava an der Spitze. Im Vordergrund eine karge, mit Gras bewachsene Landschaft.
Ein mehrere Kilometer hoher aktiver Vulkan – hier ein Ausbruch des Kljutschewskoi, im Hintergrund der Besymjanny – wäre überall sonst Nationalheiligtum und Tourismusmagnet. Auf Kamtschatka stehen zwölf davon auf einer Fläche, die entspannt ins Ruhrgebiet passen würde.

Binnen einer Woche nach dem schweren Erdbeben der Magnitude 8,8 am 30. Juli 2025 sind auf der russischen Halbinsel Kamtschatka insgesamt sechs Vulkane ausgebrochen. Den Anfang machte schon am gleichen Tag der Vulkan Kljutschewskoi rund 400 Kilometer nördlich vom Epizentrum des Bebens, bald darauf folgten fünf weitere, aufgereiht wie Perlen einer nach Süden reichenden Kette, bis zum Berg Awatschinski, nur etwa 200 Kilometer westlich vom Epizentrum des Bebens. Diese Serie ist selbst für die vulkanisch extrem aktive Region bemerkenswert, und es liegt nahe, dass sie mit dem heftigen Erdbeben zusammenhängt. Doch wie?

Zwischen dem Erdbeben und den Vulkanen gibt es keine direkte Verbindung – aber viele indirekte. Beide gehen auf die gleiche geologische Struktur zurück, deren gigantisches Ausmaß und Dauerhaftigkeit selbst die größten Vulkane und Erdbeben zu Fußnoten degradieren. Vor Kamtschatka nämlich taucht eine ganze Erdplatte in die Tiefe ab, und das vermutlich schon seit 50 Millionen Jahren. Die Pazifische Platte, die aus dem dichten, schweren Basalt des Meeresbodens besteht, stößt hier gegen den leichten, sehr viel dickeren eurasischen Kontinent – und weicht nach unten in den Erdmantel aus.

Dieser Prozess, als Subduktion bezeichnet, verursacht sowohl schwere Erdbeben als auch den Vulkanismus von Kamtschatka. An der Kontaktfläche nämlich streichen die beiden Platten mit Geschwindigkeiten von bis zu acht Zentimetern pro Jahr aneinander vorbei und verhaken sich immer wieder. Irgendwann löst sich die Spannung mit einem gewaltigen Ruck – und der Zyklus geht von vorne los.

Wie Vulkane und Erdbeben zusammenhängen

Auch die Vulkane Kamtschatkas gehen auf die Subduktion zurück, aber auf einen ganz anderen Prozess. Sie haben ihren Ursprung dort, wo die abtauchende Platte schließlich den Zusammenstoß mit dem Kontinent hinter sich gelassen hat und tief in den Erdmantel eindringt. Dort steigen Temperatur und Druck deutlich an und kochen gleichsam die Feuchtigkeit aus dem abtauchenden, wasserreichen Gestein heraus. Das Wasser gelangt in den Erdmantel und senkt den Schmelzpunkt der Minerale dort. Die so entstandene Schmelze steigt durch die Erdkruste auf und speist Magmareservoirs unter den Vulkanen in etwa zwei bis zehn Kilometern Tiefe.

An dieser Stelle befindet sich eine Bildergalerie, die gedruckt leider nicht dargestellt werden kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Zwischen diesen beiden Prozessen gibt es keine direkte Verbindung: Selbst das schwerste Erdbeben kann keine gigantischen Mengen neuer Gesteinsschmelze zur Oberfläche schicken. Das Magma stieg schon Jahrtausende vor dem aktuellen Beben zur Oberfläche. Allerdings können schwere Erschütterungen bei gut gefüllten Magmakammern den ohnehin bevorstehenden Ausbruch auslösen. Am eindeutigsten ist das wohl beim Ausbruch des Kljutschewskoi der Fall, der bereits kurz nach dem Beben stattfand. Erdbeben können eine gefüllte Magmakammer auf zwei Wegen zum Ausbruch bringen. Explosive Vulkane wie jene in Kamtschatka, die Aschewolken weit in den Himmel schießen, ziehen ihre Gewalt aus den Gasen, die in ihrem zähflüssigen Magma gelöst sind. Perlen diese Gase aus, lassen sie das Gestein in der Magmakammer mit enormer Gewalt überschäumen und zertrümmern es dabei in winzige Fetzen.

Ein Erdbeben kann diesen Prozess auslösen, etwa wie wenn man eine Bierflasche gründlich schüttelt. Die Gase perlen aus und erhöhen den Druck so weit, dass der Gesteinsdeckel über dem Magma schließlich reißt. Daneben können die Erdbebenwellen das bereits unter hohem Druck stehende Gestein direkt destabilisieren und brechen lassen. Auch diese Druckentlastung führt dazu, dass Gase ausperlen und in einem sich selbst verstärkenden Prozess den Inhalt der Magmakammer an die Oberfläche blasen. Diese Prozesse allerdings funktionieren nur mit Magmareservoirs, die bereits unter Druck stehen und dadurch nah an einem Ausbruch sind. Eine halbleere Magmakammer rührt sich nicht. Das zeigen auch die Vulkane der südlichen Kamtschatka-Kette – von ihnen brach bisher kein einziger aus, obwohl sie ebenso nah am Epizentrum des Bebens liegen.

Warum unter Kamschatka besonders viel Magma entsteht

Dass im nordöstlichen Teil der Halbinsel gleich sechs Vulkane so nah an einem Ausbruch waren, ist aber gar nicht so ungewöhnlich, wie es klingt. Die Kamtschatka-Halbinsel ist eine der aktivsten Vulkanregionen des Planeten, im Durchschnitt brechen dort jedes Jahr drei bis fünf Vulkane aus. Aus der Tiefe unter der Halbinsel strömen dauernd enorme Mengen Magma Richtung Erdkruste und halten die Magmakammern gleich einer ganzen Reihe von Vulkanen gut gefüllt.

Mehrere Besonderheiten tragen zu dieser ungewöhnlichen vulkanischen Aktivität in Zentralkamtschatka bei. Die erste ist die vergleichsweise hohe Geschwindigkeit der Subduktion in der Region. Die mit über sieben Zentimetern pro Jahr vorrückende Pazifische Platte transportiert nicht nur Gestein in die Tiefe, sondern auch sehr viel Wasser, das in den Klüften des Gesteins und den über Jahrmillionen angesammelten Ablagerungen gespeichert ist. Taucht die Platte immer tiefer in den Erdmantel, treiben Hitze und Druck das Wasser aus dem Gestein in den darüberliegenden Keil aus Erdmantel, der zwischen den beiden Platten liegt. Wenn sich das Wasser im Gestein löst, senkt es dessen Schmelzpunkt und ein Teil des Mantelkeils wird zu flüssigem Magma, das Richtung Oberfläche durch die Erdkruste wandert und die Vulkane speist. Je mehr Wasser, desto mehr Magma entsteht.

Die Pazifische Platte transportiert aber nicht nur durch ihre hohe Geschwindigkeit viel Wasser in die Tiefe. Direkt vor Kamtschatka liegen enorme Tiefseeberge – die Meiji-Emperor-Seamounts, eine gigantische Kette von Vulkanen, deren jüngste die Hawaii-Inseln sind. Die ältesten Vorläufer dieser Inseln verschwinden nun zusammen mit der abtauchenden Erdplatte wieder im Mantel, und ihre gewaltige Masse enthält auch immense Mengen Wasser. Man kann die chemische Signatur der abgetauchten Tiefseeberge in der Lava von Kamtschatka nachweisen: die Wiedergeburt von uralten Vulkanen, die zuletzt im Zeitalter der Dinosaurier aktiv waren.

Den dritten Beitrag zu den reichhaltig gefüllten Magmakammern der Kamtschatka-Vulkane, die nach dem schweren Erdbeben vom 30. Juli aktiv wurden, leistet eine merkwürdige Tiefenströmung. Sie entsteht in einigen hundert Kilometern Tiefe unterhalb der abtauchenden Pazifischen Platte. Die nämlich hört an ihrem Nordrand einfach wie abgeschnitten auf – an der Oberfläche grenzt sie dort an den Bering-Block, eine weitere kleine Erdplatte im Norden; doch sobald sie abtaucht, schwimmt diese Kante frei im Erdmantel. Der heiße Erdmantel beginnt dann um die Kante herumzuströmen – von der Zone hohen Drucks unter der absinkenden Platte in den keilförmigen Bereich, der sich zwischen dem Kontinent an der Oberfläche und der immer weiter absinkenden Pazifischen Platte auftut. Dieses nachströmende Material ist deutlich wärmer als das ursprüngliche Mantelgestein im keilförmigen Spalt, das über die Jahrmillionen durch die kühlen Krustenstücke von oben und unten gekühlt wird.

Wenn das heiße Material mit dem Wasser aus den ebenfalls hier abtauchenden Meiji-Emperor-Tiefseebergen in Kontakt kommt, erzeugt es deswegen weit mehr Magma, als man von einer normalen Subduktionszone erwartet. Dieses Zusammentreffen speist gleich drei Vulkanketten auf der Halbinsel und ließ die einzigartige Kljutschewskoi-Vulkangruppe entstehen, eine ovale Ansammlung aus zwölf dicht zusammenstehenden, bis zu 4750 Meter hohen aktiven Vulkanen. Außerdem sorgt der reichliche Gesteinsnachschub aus der Tiefe dafür, dass gleich sechs Magmakammern unter der Halbinsel voll genug waren, um von dem schweren Beben schließlich zum Ausbruch gebracht zu werden.

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