Rekord-Algenblüte: Wie der Mensch Australiens größte Giftalgen-Blüte erschuf

Eine mysteriöse, monatelang anhaltende Algenblüte vor Südaustralien beschäftigt inzwischen auch die Politik des Landes. Vermutlich schon seit Beginn des Jahres vermehrt sich die Mikroalge Karenia mikimotoi unkontrolliert auf einer Fläche von mehr als 4500 Quadratkilometern, tote Fische und andere Meerestiere bedecken seit Wochen die Strände. Fischerei und Aquakultur sind weitgehend zum Erliegen gekommen. Nachdem der australische Umweltminister die betroffene Region am 19. Juli besucht hatte, stellten Regierung und der Bundesstaat Südaustralien 28 Millionen Australische Dollar, rund 15 Millionen Euro, als Soforthilfe zur Verfügung. Ob das reicht, ist unklar. Denn niemand weiß, wie lange die Katastrophe noch dauert.
Während Blüten von toxischen Algen global immer wieder auftreten, ist die Katastrophe vor Australien in der Geschichte des Landes bespiellos. Mehr als 500 Arten zählten Fachleute tot an den Stränden, und auf hunderten Kilometer Länge sterben Fische, Seeigel und andere Tiere des Großen Südlichen Riffs, eines extrem artenreichen Netzwerks aus Riffen und Tangwäldern, das sich von Tasmanien entlang der gesamten Südküste erstreckt. Schon jetzt dauert die Algenpest länger als jede andere bekannte Blüte von Mikroalgen der Gattung Karenia – einer ganzen Gruppe von giftigen Dinoflagellaten, deren auch für Menschen gefährliche »Red Tides« ohnehin oft mehrere Wochen oder Monate dauern können.
Jenseits der ganzjährig warmen Tropen, wo sich Algenblüten über ein Jahr halten können, sind solche Dinoflagellaten-Schwärme normalerweise ein Sommerphänomen, begünstigt durch Wärme und Sonnenlicht. In Australien herrscht derzeit jedoch tiefster Winter. Nicht zuletzt wirft das die Frage auf, was passiert, wenn das Wetter wieder wärmer und für die Algen günstiger wird. Fachleute rätseln, weshalb die Plage so lange durchhalten konnte und jetzt sogar ihren bisherigen Höhepunkt hat.
Ein ungewöhnlicher Übeltäter
Karenia mikimotoi ist weltweit verbreitet und verursacht – wie auch andere Arten der Gattung Karenia - immer wieder größere Algenblüten vor allen Kontinenten. Ihre ungewöhnliche Anpassungsfähigkeit spielt vermutlich eine Rolle auch bei der aktuellen Super-Blüte vor Südaustralien. Die Alge kann sich gut an wechselnde Salzgehalte und Nährstoffversorgung anpassen und vermehrt sich in einem ungewöhnlich großen Temperaturbereich - zwischen 4 und 31 Grad Celsius. Das ist möglicherweise ein wesentlicher Grund dafür, dass die Algenblüte auch in der kalten Jahreszeit anhält.
Aber das Wetter ist wohl ebenfalls beteiligt. Denn die Blüten enden nicht nur wegen der Temperatur, sondern auch, weil es im Winter stürmischer wird. Normalerweise nämlich treiben starke Westwinde und Stürme die Blüten auseinander und verschaffen dem Meer Erleichterung. Das Wetter vor Australiens Südküste ist bisher allerdings ruhiger als normal.
Ein weiterer Faktor macht die aktuelle Algenpest ungewöhnlich. Anders als verwandte Arten wie die Giftalge Karenia brevis erzeugt Karenia mikimotoi nicht die auch für Menschen gefährlichen Brevetoxine. Entsprechend berichten Fachleute von Auswirkungen, die sich von anderen Algenblüten unterscheiden, insbesondere bei wirbellosen Tieren, die ebenfalls in großer Zahl sterben. Fachleute vermuten deswegen, dass mehrere Faktoren für den Untergang ganzer Ökosysteme durch die Alge verantwortlich sind. Auch Karenia mikimotoi nämlich produziert Nervengifte. Sie sind aber nicht so toxisch wie die Brevetoxine, und auch ihre Zusammensetzung und Wirkung sind bisher nur teilweise geklärt. Als zweiten Tötungsmechanismus erzeugt die Alge reaktive Sauerstoffspezies (ROS), sehr aggressive freie Radikale, welche die Kiemen von Fischen schädigen. Ein dritter Effekt ist, dass die absterbenden Algen den Sauerstoff im Wasser aufzehren und immer wieder Todeszonen schaffen.
Ein menschengemachtes Problem
Die massenhafte Vermehrung der giftigen Algen geht mutmaßlich auf eine Reihe von Faktoren zurück, die ihrerseits mit menschengemachten Veränderungen und dabei besonders dem Klimawandel in Verbindung stehen. So vermuten Fachleute, dass die aktuelle Blüte ihren Ausgangspunkt in starken Regenfällen und schweren Überschwemmungen am australischen Fluss Murray im Winter 2022 hatte. Damals fand dort das schwerste Hochwasser seit 1956 statt.
Die Wassermassen trugen enorme Mengen Nährstoffe in den Ozean, die im anschließenden Sommer mit kaltem Wasser wieder an die Oberfläche gelangten und seither in der Nahrungskette zirkulieren. Auch 2024 verzeichneten der Osten und Südosten Australiens heftige Regenfälle mit verheerenden Überschwemmungen. Zusätzlich zu diesem reich gedeckten Tisch kam im September 2024 eine marine Hitzewelle - ungewöhnlich hohe Wassertemperaturen, die Algenblüten zusätzlich begünstigen. Damit fand Karenia mikimotoi außerordentlich gute Bedingungen für eine Blüte vor. Anfang März schließlich erreichten die Algen so hohe Konzentrationen, dass Surfer an den Stränden Symptome von Vergiftungen zeigten.
Wie lange die verheerende »Red Tide« noch anhält, ist derweil nicht abzusehen. Während die Algen für Menschen direkt höchstens unangenehm sind, gehen die Schäden für Fischerei und Aquakultur schon jetzt in die Millionen. Und es gibt keine Möglichkeit, die Katastrophe zu bekämpfen – die beste Hoffnung ist zurzeit, dass das Wetter umschlägt und Stürme die Algen auseinandertreiben. Doch selbst wenn das passieren sollte, ist das Thema damit keineswegs vom Tisch. Weltweit schafft der Mensch günstige Bedingungen für riesige Algenteppiche. An der kalifornischen Küste sterben Seelöwen und Delfine durch giftige Kieselalgen, und vor Süditalien macht sich derzeit ein weiterer Dinoflagellat mit dem Namen Ostreopsis ovata breit - und verursacht mit einem Giftstoff grippeähnliche Symptome auch bei Menschen.
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