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Sonnensystem: Wie der Mond zu seiner Beule kam

Wenn es ein Objekt gibt in der Astronomie, von dem wir viel wissen, dann ist es der Mond. Trotzdem steckt auch er noch voll Rätsel. Oder wussten Sie, dass er eine dicke Beule hat und sich seit seiner Geburt klammheimlich aus dem Staub macht?
Mond
Theoretisch genau genommen kann es so gar nicht sein. Nimmt man die Massen von Erde und Mond, ihre Umlaufbahnen, die Eigenrotationen und alles, was sonst noch an Daten und Werten vorliegt, und steckt sie in die Gleichungen der Himmelsmechanik, stellt sich heraus – der Mond kann nicht in dem Orbit um die Erde kreisen, in welchem er um die Erde kreist. Eine Erkenntnis, die gelinde gesagt "unangenehm" ist und dementsprechend verdientermaßen bei der rechnenden Zunft seit vielen Jahren für Kopfschmerzen sorgt. Und das ist gut so.

Es ist gut, weil die Wissenschaft in ihrem trotzigen Streben, alles verstehen zu wollen, stets dann die größten Fortschritte macht, wenn sie gerade festgestellt hat, dass sie nichts versteht. Frei nach dem Sokratesschen Motto "Ich weiß, dass ich nichts weiß – und weil ich kein Depp bleiben möchte, setze ich Himmel und Hirn in Bewegung um dazuzulernen." Im Falle des widerspenstigen Mondumlaufs bedeutete dies: Beobachten, aufzeichnen, theoretisieren, berechnen, verwerfen, von vorne anfangen.

Und so fanden die Astronomen erstaunliche Tatsachen über den Mond heraus. Etwa, dass es mehr als 300 störende Einflüsse gibt, die an seiner Umlaufbahn herumbiegen. Darunter die abgebremste Erdrotation andauernde Reibungsverluste aufgrund der Gezeiten. Und die heimliche Flucht des Trabanten, der sich Jahr für Jahr um 3,8 Zentimeter von der Erde entfernt. Verfolgen wir diesen Trend in der Zeit zurück, dann muss es eine Zeit gegeben haben, in welcher der Mond nur rund ein Drittel des gegenwärtigen Abstandes hatte und in 18 Stunden um eine Erde gesaust ist, auf welcher ein Tag gerade einmal 12 Stunden gedauert hat. Kein Wunder, wenn die Physik mit einer solchen Geschichte im Hintergrund ein wenig bizarrer wirkt.

Dabei erscheint diese Express-Ausgabe des Erde-Mond-Systems beinahe gemäßigt, wenn wir die gegenwärtig favorisierte Theorie von der Entstehung des Mondes betrachten. Danach wurde unser Trabant mit einem großen Knall geboren, als im frühen Sonnensystem ein Beinahe-Planet von der Größe des Mars mit der jungen Erde kollidierte und ein beträchtliches Stück aus ihr herausriss. Dieser Trümmerhaufen formte in rund 16 000 Kilometern Entfernung den Körper, der später unser Mond werden sollte (heute beträgt die Distanz zwischen Mond und Erde im Mittel 384 000 Kilometer).

Allerdings war dieser Vorläufer in seiner Kindheit nicht nur näher und schneller, sondern auch heißer und flüssiger. Erst allmählich kühlte er ab und erstarrte, während Flieh- und Gravitationskräfte mächtig an ihm zerrten. Dabei durchlief er im Alter von 100 Millionen bis 200 Millionen Jahren auch die oben beschriebene Phase einer Kopplung von Eigenrotation zu Umlaufzeit von 3:2 – dreimal um sich selbst gedreht dauert so lange wie zwei Erdumkreisungen.

Wenn man in diesem Zusammenhang von "Umkreisungen" sprechen kann, denn der Mondorbit war damals ein ungewöhnlich langgestrecktes Oval. Zu diesen Ergebnissen sind die Astronomen um Ian Garrick-Bethell vom Massachusetts Institute of Technology gekommen, als sie berechneten, unter welchen Bedingungen der Mond doch jene Bahn einnehmen könnte, die er tatsächlich einnimmt.

Und noch etwas muss in jener Resonanzperiode passiert sein, um uns den aktuellen Mond zu bescheren: Er muss weitgehend erstarrt sein. In einer Zeit der kräftigen Kräfte, die in verschiedene Richtungen wirkten, konnte das jedoch nicht ohne Folgen bleiben. Anstatt eine wohlgeformte Kugel zu bilden, bekam der Mond eine Beule an seinem heutzutage erdabgewandten Teil – eine gehörig große Beule, die ein entsprechend gewichtiges Wörtchen bei der Masseverteilung des Trabanten mitredet und so ihrerseits seine unmögliche Bahn ermöglicht.

Das MIT-Team hat mit seinen Rechnungen also die Ehre der Wissenschaft weit gehend wiederhergestellt. Vorausgesetzt, der Mond hat im kalkulierten Zeitraum seine Resonanzphase gehabt und ist zur Tropfenform erstarrt, können Astronomen nun nachvollziehen, warum er immer noch am Himmel zu sehen ist, statt auf eigene Faust durch das Weltall zu ziehen. Sollte aber eine der Bedingungen nicht erfüllt sein, heißt es: Schleunigst weiterzuforschen.

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