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News: Wie die kleinen grauen Zellen Geräusche verarbeiten

Hören ist ein viel komplizierter Vorgang, als bisher angenommen. Neurowissenschaftler haben nun herausgefunden, daß einzelne Gehirnzellen ständig komplexe Rechenaufgaben durchführen, um unterschiedlichsten Lebewesen zu helfen, Geräusche zu unterscheiden und festzustellen, woher sie kommen.
Neuronen leiten Informationen nicht einfach weiter, sondern jede einzelne dieser Gehirnzellen ist mit einem winzigen Computer zu vergleichen, der Signale aus vielen Quellen zusammenfaßt und aufgrund dieser Informationen eine Entscheidung trifft. „Beim Hören funktioniert das Gehirn nicht wie ein Großrechner, sondern eher wie vernetzte kleine Computer, die seriell und parallel arbeiten. Wir haben zum ersten Mal eine Vorstellung darüber, wie einzelne Neuronen als Computer arbeiten”, sagte Ellen Covey von der University of Washington. Sie war die Organisatorin eines Symposiums beim Jahrestreffen der Society for Neuroscience, auf dem neue Erkenntnisse über den Hörprozeß diskutiert wurden.

Haben die Forscher den Mechanismus der Geräuscherkennung im Gehirn und in einzelnen Neuronen erst einmal verstanden, können sie nach Ansicht von Covey möglicherweise bessere Hörgeräte für Schwerhörige und Taube entwickeln. Die Forschung ist auch von Bedeutung für die Verbesserung von Unterwasserortungsgeräten und die Herstellung von Spracherkennungssystemen für Computer.

Covey arbeitet mit der weitverbreiteten nordamerikanischen großen braunen Fledermaus (Eptesicus fuscus). Sie berichtete über den ersten erfolgreichen Einsatz einer Untersuchungstechnik an wachen Fledermäusen. Dabei werden mit winzigen Glaselektroden von einem Mikrometer Durchmesser schwache, durch Geräusche hervorgerufene elektrische Aktivitäten in einzelnen Neuronen aufgezeichnet.
Das Gehörsystem von Säugetieren und Vögeln besteht am Beginn aus parallelen Wegen, so daß aus einem einzigen komplexen Signal unterschiedliche Arten von Informationen gefiltert werden können, erklärte Covey. Um ein Signal oder eine Gruppe gleichzeitiger Signale komplett zu analysieren, müssen die Ergebnisse der Berechnungen in den unterschiedlichen Bahnen integriert werden. Ein wichtiges Zentrum für diese Aktivität ist der Colliculus inferior, ein Teil des Mittelhirns in dem viele Gehörbahnen zusammenlaufen.
Die Ausgangssignale einiger Bahnen erregen die nachfolgenden Zellen, wodurch diese mit größerer Wahrscheinlichkeit auf ein Signal reagieren. Andere Signale wirken dagegen hemmend und vermindern die Wahrscheinlichkeit. Nach Coveys Angaben folgt schließlich aus der Verrechnung von erregenden und hemmenden Eingängen, woher das Geräusch stammt und wonach es sich anhört.
Große braune Fledermäuse stoßen Rufe aus und empfangen die Echos, die von den Gegenständen in ihrer Umgebung reflektiert werden. Obwohl Echoortungsrufe eine höhere Frequenz aufweisen, besitzen sie dennoch viele charakteristischen Eigenschaften der menschlichen Sprache. Die Gehörbahnen der Fledermäuse sind denen der Menschen ähnlich. Aufgrund dieser Ähnlichkeiten ist es möglich, daß einige der Mechanismen, die Fledermäusen zur Echoortung nutzen, auch von Menschen benutzt werden, um Sprachsignale zu verarbeiten, fügt sie hinzu.

Im Labor von Dan Sanes an der New York University wird untersucht, wie Neuronen auf ein Geräusch reagieren, das sich in das Gehörfeld eines Tieres hineinbewegt. Dazu führen die Forscher Messungen der erregenden und hemmenden Antworten einzelner Gehirnzellen von Rennmäusen (Meriones unguiculatus) durch.
Sanes entdeckte ganz unerwartet, daß Neuronen ungewöhnlich empfindlich den neuen Ort eines sich bewegenden Geräusches entdecken. Dieser Prozeß wird Befreiung von Hemmung genannt. Anfangs verringert Hemmung verringert die Empfindlichkeit der Zelle, aber anschließend erhöht sich ihre Erregbarkeit. Die Befreiung von der Hemmung kann mehrere Sekunden dauern, was für das Gehör eine sehr lange Zeit ist.
Der Prozeß tritt nicht ausschließlich bei natürlicher Geräuschstimulation auf, er kann auch durch Zugabe der hemmenden Neurotransmitter Glycin und gamma-Aminobuttersäure künstlich erzeugt werden.

George Pollaks Forschungsteam an der University of Texas untersucht, wie Tiere eine Geräuschquelle ausfindig machen, indem sie Informationen zunächst im Hirnstamm, dem unteren Bereich des Gehirns, verarbeiten und dann die Informationen an eine Reihe höherer Regionen senden.
Er entdeckte eine Reaktion, die dem sogenannten „Rangordnungs-Effekt” ähnelt. Dieser Effekt erlaubt Konzertbesuchern, den primären Ton, der von einem Instrument oder Sänger hervorgebracht wird, zu hören, und Echos, die von Wand und Decke zurückgeworfen werden, zu ignorieren. Ohne diesen Effekt würde man glauben, daß Primärton und Echos ihren Ursprung an unterschiedlichen Orten haben.
Bei der Arbeit mit Schnurrbartfledermäusen aus Jamaika (Pteronotus parnelli) entdeckte Pollak, daß Neuronen in einem Kern des Hirnstamms einen Rangordnungs-Effekt oder eine langanhaltende Hemmung erzeugen, die Geräusche, welche während der Periode der Hemmung auftreten, unterdrückt. Deshalb, so sagt er, wird dieser Kern durch das ursprüngliche Geräusch daran gehindert, Informationen an höhere Regionen im Gehirn zu senden.

William Spain von der University of Washington arbeitet mit den Embryozellen von Hühnern. Er untersucht, wie Zellen im Hirnstamm die räumliche Lage einer Geräuschquelle aufgrund von Signalen, die von den beiden Tierohren mit einem Abstand von Mikrosekunden empfangen werden, berechnen können.
Um die winzige Zeitverzögerung festzustellen, mit der ein Geräusch an beiden Ohren eintrifft, müssen Neuronen in der Lage sein, Unterschiede von 1/2000stel Sekunde wahrzunehmen, sagte Spain. Geräusche, die von jedem Ohr unabhängig wahrgenommen werden, werden in ein elektrisches Signal umgewandelt und die zeitliche Abstimmung des elektrischen Signals wird überprüft.

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