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Windenergie: Wie die Windturbinen der Zukunft aussehen

Mehr als 200 Meter Durchmesser haben die leistungsstärksten Windturbinen - noch längere Rotorblätter werden schlicht zu teuer. Neue Konzepte sollen diese Grenze überwinden.
Windpark

Windturbinen haben eine beeindruckende Leistungssteigerung hinter sich, vor allem im Offshore-Bereich: Lieferten die ersten Fabrikate noch deutlich unter einem Megawatt, reicht das Spektrum der Anlagen heute bis zu gigantischen, bereits geplanten Zwölf-Megawatt-Turbinen. Doch das ist keineswegs die Grenze. Ein Blick in die Wissenschaft zeigt: Ingenieure tüfteln bereits an 20-Megawatt-Turbinen; völlig neue Rotorkonzepte sollen technische Grenzen bisheriger Anlagen überwinden.

Die symbolische Zehn-Megawatt-Schwelle reklamieren derzeit gleich zwei Hersteller für sich: 2021 werde, kündigte der Hersteller General Electric im Frühjahr an, die Zwölf-Megawatt-Windkraftanlage Haliade-X in Betrieb gehen, die »größte und leistungsfähigste Windturbine der Welt«. Im Herbst, auf der WindEnergy in Hamburg, stellte MHI Vestas eine Zehn-Megawatt-Turbine vor. Sie sei »ab sofort bestellbar«, ihr Einsatz ist ebenfalls ab 2021 auf dem Meer geplant.

Die Leistungssteigerung der Windkraftanlagen dürfte weitergehen, und zwar vor allem im Offshore-Bereich vor der Küste. Windenergie auf dem Meer zu gewinnen, bietet gegenüber den Anlagen an Land eine Reihe von Vorteilen: Auf See bläst der Wind stärker, häufiger und zuverlässiger. Das bedeutet höhere Stromerträge und geringere Schwankungen in der Energieerzeugung. Bei rund 4500 Stunden Volllast ist die Effizienz sehr viel höher als an Land. Dort bringt es sogar ein windreicher Standort lediglich auf etwa die Hälfte der Volllaststunden.

Size does matter

Doch die Bedingungen für Offshore-Windräder sind ungleich härter als an Land. Bei rauer See und stürmischem Wind trotzen Türme, Gründungsstrukturen und Rotoren noch stärkeren physikalischen Belastungen als ihre Verwandten auf dem Trockenen. Dadurch ist ihre Dimension begrenzt: Wenn die Windräder immer größer werden, steigen auch die Kosten, und zwar überproportional. Das Problem erklärt Ingenieur Sven Störtenbecker folgendermaßen: »Die Leistung einer Anlage und somit auch ihr Ertrag steigt mit der überstrichenen Rotorfläche, rechnerisch also im Quadrat. Die Masse der Bauteile und deren Volumen nimmt zugleich aber kubisch zu, also in der dritten Potenz.« Größer ist in der Windkraft bisher besser – bis es eben nicht mehr sinnvoll, das heißt finanzierbar ist.

Störtenbecker arbeitet am vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt X-Rotor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Dort denken Wissenschaftler gemeinsam mit einem Industriepartner über alternative Rotorkonzepte nach, die die bewährten dreiflügeligen Modelle ablösen könnten. Dabei geht es sowohl um Zweiblattrotoren als auch um so genannte Multirotoren. Und beide Varianten knüpfen an das EU-Projekt Innwind an, in dem 27 europäische Forschungsinstitutionen und Hersteller unter anderem die Vision einer 20-Megawatt-Turbine entwarfen. Diese Turbine gilt beiden Forschergruppen in Hamburg als Referenz; allerdings will das »Multirotor-Team« diese stolze Leistung mit vielen kleinen Rotoren statt einem großen erreichen.

So eine Aufteilung bietet eine Reihe von Vorteilen. Wenn man die Leistung eines Rotors auf beispielsweise 100 Rotoren verteile, wiegen die zusammen nur noch ein Zehntel so viel wie ein großer Rotor. Das würde bereits bei der Produktion und beim Aufstellen der Windräder Material und Kosten sparen. Zudem sinke der Einsatz wertvoller Ressourcen wie Neodym. Zwar ist in dieser Betrachtung das Material für die Tragstruktur noch nicht berücksichtigt; die Forscher gehen aber davon aus, dass das Gesamtgewicht von Tragstruktur und Multirotor kleiner ist als das des Einzelrotors.

Macht ein, zwei, viele Rotoren!

Auch im Betrieb bietet so ein Modell Vorteile, wie Störtenbecker erläutert: Wenn eine Offshore-Windkraftanlage wegen eines Fehlers stillsteht, fällt deren gesamte Leistung weg, bis der Fehler behoben ist. Bei schlechtem Wetter kann es tagelang dauern, bis es dem Wartungsteam möglich ist, zur Anlage rauszufahren. Wenn dagegen bei einer Multirotoranlage eine oder mehrere Turbinen ausfallen, produzieren die anderen immer noch weiter. Somit könnte sich für den Betreiber auch die Option bieten, dass es für ihn günstiger ist, abzuwarten, bis die Monteure ohnehin vor Ort sind. Schließlich verursacht jede Extrafahrt erhebliche Kosten.

Peter Dalhoff mit einem Modell einer Multirotor-Windturbine

Kleine Rotoren kommen auch besser mit Turbulenzen klar, weil sie flexibler reagieren können als ein großer Rotor, der vergleichsweise träge ist. Das reduziert extreme Lasten und dadurch insgesamt den Verschleiß. Das Team um Professor Peter Dalhoff, Leiter des Teilprojekts X-Multirotor an der HAW, testet außerdem eine bessere Nachführung der Rotoren in die Windrichtung. Wenn diese in höherem Maße passiv möglich wird, indem sich die Rotoren durch die Schubkräfte des Windes selbst in die richtige Position bringen, kann man auf einige Antriebsmotoren verzichten. Auch das bedeutet geringere Kosten. Am Ende des Projektes soll das Konzept einer Multirotor-Standardanlage stehen, deren Stromgestehungskosten mit denen einer konventionellen Windkraftanlage gleicher Leistung verglichen werden.

Parallel dazu arbeitet das Team um Professor Vera Schorbach an einem, wie sie erklärt, »ganzheitlichen Vergleich zwischen 20-Megawatt-Zwei- und -Dreiblattanlagen für den Offshore-Bereich, der nach wie vor eine Forschungslücke ist. Wir hoffen, diese Lücke mit Hilfe unserer Untersuchungen schließen zu können.« Nach Auskunft der promovierten Ingenieurin beginnt es mit der Berechnung der Lasten verschiedener Turbinenkonzepte und endet bei der Auslegung der Strukturen, die letztlich das Gewicht der Anlage bestimmen.

Auf dem Weg zu 20 Megawatt

Ihre Mitarbeiter weisen auf Vorteile wie Materialeinsparungen und vereinfachte Logistik hin, was zweiblättrige Rotoren billiger machen würde. »Schon in der Herstellung ist der Rotor günstiger, weil weniger Material gebraucht wird«, sagt Fabian Anstock. »Außerdem kann ein Zweiflügler an Land vormontiert werden, weil der dritte Flügel nicht im Weg ist. Aus dem gleichen Grund kann die Anlage später, während des Betriebs auf dem Meer, von einem größeren Hubschrauber angeflogen werden als eine Dreiblattanlage. Das vereinfacht die Wartung.« Moderne Regelungstechnik oder auch mechanische Lösungen wie die Pendelnabe machen die Dynamik eines Zweiflüglers inzwischen auch besser beherrschbar, als das früher der Fall war.

Der wichtigste Punkt für die HAW-Forscher ist aber eine direkte Vergleichbarkeit zum Dreiblattkonzept des EU-Projektes. Als Referenz gilt ihnen deshalb ebenfalls die 20-Megawatt-Innwind-Turbine mit einem Rotordurchmesser von 252 Metern. Im ersten Schritt lassen sie »einfach nur« ein Blatt weg und versuchen, die Leistungsäquivalenz durch eine höhere Rotationsgeschwindigkeit sowie eine veränderte Blattbreite herzustellen. In der zweiten und dritten Phase verändern sie weitere Komponenten, etwa indem sie vom Luv- zum Leeläufer übergehen – also einem Rotor auf der windabgewandten Seite des Mastes – oder eine Pendelnabe hinzufügen und auslegen. Dabei untersuchen sie bei jeder einzelnen Veränderung, wie diese sich auf Ertrag und Kosten auswirkt. Auf diese Weise können die Vorteile analytisch auseinandergehalten werden und werden nicht, »wie bisher oft, im Endergebnis vermischt«, so Anstock. Bei jedem Arbeitsschritt sind die Stromgestehungskosten im Fokus, mithin der wichtigste Faktor für die Hersteller.

Wie weit die Wissenschaft im Bereich Windenergie inzwischen vorangeschritten ist, demonstriert das Beispiel des Projekts Growian. Der zweiflügelige Leeläufer wurde in den 1980er Jahren als Testwindrad an der Küste der Deutschen Bucht errichtet und war mit 3 Megawatt größte Windenergieanlage der Welt. Doch bald darauf scheiterte sie grandios, und Strom aus Meereswind galt lange Zeit als ebenso unbeherrschbar wie unbezahlbar. Erst der technische Fortschritt und neue Materialien haben den rasanten Aufschwung im 21. Jahrhundert möglich gemacht. 2010 ging mit alpha-ventus in der Nordsee der erste deutsche Meereswindpark in Betrieb. Dass Meerwind nach Ansicht von Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur, schon 2027 die »größte Energiequelle Europas« sein könnte, belegt, in welchen Dimensionen die Akteure inzwischen denken.

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