Kognitiver Abbau: Wie digitale Technologien das Demenzrisiko senken

Bildschirme nehmen immer mehr Raum in unserer Umgebung und somit auch in unserem Leben ein. Einige Forscherinen und Forscher fragen sich deshalb bereits, wie sich diese Tatsache langfristig auf das Gehirn älterer Menschen auswirken könnte. Es wurde bereits vermutet, dass die Abhängigkeit von digitaler Technologie zu einer so genannten digitalen Demenz führen könnte, also die kognitiven Fähigkeiten in späteren Lebensjahren beeinträchtigt.
Neue Forschungsergebnisse legen nun jedoch nahe, dass diese Annahme nicht stimmt, zumindest nicht für die Generation der Erwachsenen, die Smartphones, Computer und das Internet zum ersten Mal routinemäßig genutzt hat – und die jetzt das durchschnittliche Alter erreicht, in dem kognitive Beeinträchtigungen in der Regel beginnen. In einer in »Nature Human Behaviour« veröffentlichten Arbeit analysierten Forscher knapp 60 Studien über den Zusammenhang zwischen der Nutzung digitaler Technologien und den kognitiven Funktionen von mehr als 400 000 älteren Erwachsenen weltweit. Sie fanden heraus, dass die Generation der »digitalen Pioniere« keine erhöhte Rate kognitiver Beeinträchtigungen aufwiesen. Vielmehr wurde die Nutzung der Technologie im Gegenteil mit einem geringeren kognitiven Abbau in Verbindung gebracht. Wie genau diese zwei Dinge miteinander zusammenhängen, bleibt jedoch unklar.
Ein Grund für die ursprüngliche Besorgnis einiger Forscher waren frühere Untersuchungen, die das Fernsehen, eine passive Tätigkeit, mit einem erhöhten Risiko für eine Alzheimererkrankung in Verbindung gebracht hatten. Oberflächlich betrachtet mag ein Großteil der Bildschirmzeit am Computer oder Smartphone ähnlich passiv erscheinen, sagt der Mitautor der neuen Studie, Michael Scullin, ein Neurowissenschaftler an der Baylor University. Aber »für diese Gruppe von Erwachsenen mittleren und höheren Alters wurden (Telefone und Computer) für geistig anregende Aktivitäten und für soziale Verbindungen genutzt«, wie beispielsweise Rätsel zu lösen, Nachrichten zu lesen, mit Freunden zu chatten oder Erinnerungen und Alarme einzurichten, um tägliche Aktivitäten zu unterstützen.
Alternative Wege für die Erledigung von Aufgaben
Scullin und sein Mitautor Jared Benge, ein Neuropsychologe an der University of Texas in Austin, trugen solche Studien für ihre Auswertung zusammen, die den kognitiven und den gesundheitlichen Zustand ihrer Teilnehmenden über einen längeren Zeitraum verfolgten – und die auch Informationen über deren alltägliche Technologienutzung enthielten. Die Autoren bewerteten die Forschungsarbeiten nach der Qualität ihrer Befunde, basierend auf der Stichprobengröße, den Methoden und mehr. Bei der Analyse der Studienergebnisse stellten die Forschenden fest, dass die intensive Nutzung von Technologien auf ein geringeres Risiko für kognitiven Verfall hindeutet. Dieses Ergebnis konnte nicht allein durch demografische, sozioökonomische, gesundheitliche oder andere Lebensstilfaktoren erklärt werden.
Dass die Nutzung digitaler Technologien dazu beitragen könnte, den kognitiven Verfall aufzuhalten, passt zur Theorie der kognitiven Reserve oder auch zur Vorstellung, dass das Gehirn Schäden durch neurodegenerative Erkrankungen umgehen kann, indem es alternative Wege zur Erledigung von Aufgaben findet. Diese Theorie, die auf einer Studie aus dem Jahr 1988 beruht, in der bei Personen ohne Demenzsymptome alzheimerähnliche Veränderungen im Gehirn festgestellt wurden, besagt, dass die Beschäftigung mit komplexen geistigen Aktivitäten zu einem besseren kognitiven Wohlbefinden im Alter führen kann.
»Diese Studie widerlegt die weit verbreiteten Ängste vor ›digitaler Demenz‹ und unterstreicht, dass Technologie sogar kognitiv bereichern kann«Chiara Scarampi, Neurowissenschaftlerin
Es ist aber ebenso möglich, dass das Gegenteil wahr ist: Der Einsatz von Technologie hält Demenz eben nicht auf, sondern ein früh einsetzender kognitiver Abbau könnte die Wahrscheinlichkeit verringern, dass ältere Erwachsene sich überhaupt mit Technologie beschäftigen. Oder eine unbekannte dritte Variable könnte sowohl die Technologienutzung als auch den kognitiven Verfall beeinflussen. »Korrelation ist nicht gleich Kausalität«, betont Benge.
Neurowissenschaftler Sam Gilbert vom University College London, der nicht an der Studie beteiligt war, sagt auf Nachfrage, er sei von den Ergebnissen nicht besonders überrascht. »Aber mich beeindruckt schon, wie klar und konsistent sie sind«, sagt er. Und Chiara Scarampi, Neurowissenschaftlerin an der Universität Genf, die ebenfalls nicht an der Studie beteiligt war, merkt an: »Diese Studie widerlegt die weit verbreiteten Ängste vor ›digitaler Demenz‹ und unterstreicht, dass Technologie sogar kognitiv bereichern kann.« Das Konzept der »digitalen Demenz« sei für sie schon immer ein zwar eingängiges, aber übertriebenes Schema gewesen. »Digitale Technologien als Hilfsmittel zu verwenden, etwa Erinnerungen einzustellen oder GPS zu verwenden, ist nicht per se schädlich. Vielmehr können dadurch kognitive Ressourcen für komplexere Aufgaben freigesetzt werden.« So wird der Kopf eher ent- als überlastet.

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