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Virus vs. Farbstoff: Wie die teuersten Tulpen der Welt zu ihren Streifen kommen

Ein Virus malt filigrane Farbmuster auf Tulpenblätter. Wie es das macht, ist seit 350 Jahren umstritten. Ein mathematisches Modell verbindet nun zwei Prozesse zu einer Erklärung.
Eine Nahaufnahme einer rot-weiß gestreiften Tulpe in voller Blüte, umgeben von weiteren rosa Tulpen. Der Hintergrund ist unscharf und zeigt eine grüne Wiese. Die Szene vermittelt ein Gefühl von Frühling und Natur.
Die filigranen Muster der »gebrochenen« Tulpen entstehen durch Selbstorganisation nach einer Virusinfektion. Wie genau, war lange ein Rätsel.

Seit Jahrzehnten schon fragen Fachleute sich: Wie erzeugt ein Virus die spektakulären Streifen und Muster auf den ursprünglich einfarbigen Blütenblättern der Rembrandt-Tulpen? Dass das Tulpenmosaikvirus (Potyvirus tulipadefractum) hinter dem Phänomen steckt, das in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts die davon befallenen Blumen zum Spekulationsobjekt machte, ist bereits seit Längerem bekannt. Doch warum durch die Infektion mit dem winzigen Parasiten solche filigranen Muster entstehen, blieb bislang rätselhaft. Nun präsentiert ein Team um Thomas Hillen von der University of Alberta in Kanada ein mathematisches Modell, das die Streifen mit Hilfe biologischer Selbstorganisation erklärt. Wie die Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift »Nature Communications Biology« berichtet, überlagern sich zwei Mechanismen biologischer Musterbildung. Kombiniert mit dem Blattwachstum erzeugen sie die Streifen.

Die Zellen der Tulpenblätter produzieren Anthocyane, eine weit verbreitete Klasse von rötlich violetten Pflanzenfarbstoffen. Die Viren hemmen deren Produktion und entziehen der Zelle ihre Ressourcen, um sich zu vermehren. Diese beiden Prozesse, argumentiert die Arbeitsgruppe, sind über die räumliche Selbstorganisation miteinander verknüpft. Der Vorgang ähnelt der Turing-Instabilität: Dabei entstehen zwei Stoffe gemeinsam, von denen der zweite den ersten neutralisieren kann. Hinzu kommt, dass der erste Stoff langsamer wandert. Er dominiert also an der gemeinsamen Quelle, ab einem gewissen Abstand übernimmt jedoch sein Gegenspieler. Dadurch entstehen regelmäßige Streifen oder Punkte.

Außerdem gehen die Fachleute davon aus, dass die Produktion der Anthocyane dem so genannten Wolpert-Modell folgt. Dabei sind sowohl Herstellung als auch Abbau des Moleküls in der Zelle sich selbst verstärkende Prozesse. Ist das Signal für die Anthocyanproduktion über einem Schwellenwert, produziert die Zelle die volle Farbe; ist sie darunter, bricht die Farbstoffproduktion zusammen. Die Viren unterdrücken nun die Genregulation – also das Signal –, so dass befallene Zellen kein Anthocyan mehr produzieren.

Gleichzeitig wirken Anthocyane jedoch auch antiviral. Dadurch wird die Situation instabil: Dort, wo etwas mehr Viren sind, vermehren sie sich stärker, unterdrücken die Anthocyanproduktion und verbrauchen die Ressourcen der Zellen. Diese Regionen bleiben weiß. Dort, wo weniger Viren sind, läuft der umgekehrte Prozess ab. Die Anthocyane bremsen die Vermehrung der Viren, und die Bildung der Farbstoffe verbraucht Ressourcen, die die Viren dann nicht nutzen können. Dadurch sind die Viren hier nicht stark genug, um die Anthocyane zu unterdrücken, und die Bereiche bleiben farbig. Dadurch, dass die Farbstoffe entweder ganz oder gar nicht entstehen, bleiben weiße und farbige Gebiete scharf getrennt.

Die Blütenblätter wachsen, indem nach und nach am unteren Rand neue Zellen entstehen. Je nachdem, wie vielen Viren sie ausgesetzt sind, werden sie weiß oder farbig. Entstehen an einem Ort viele Viren, breiten sich nach und nach weiße Flächen aus und produzieren noch mehr Viren. Entstehen weniger, bleiben mehr Zellen rot, und die Viruslast schrumpft lokal weiter. So breitet sich das rote und weiße Muster aus, während das Blütenblatt wächst – und es entstehen die spektakulär marmorierten Formen der Rembrandt-Tulpen.

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  • Quellen
Wong, A. et al., Communications Biology 8, 129, 2025

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