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Künstliche Intelligenz: Die elektronische Zunge ist der bessere Vorkoster

Ob Saft noch genießbar und Milch verdünnt ist oder von welcher Marke die Limo kommt – das können Menschen schmecken. Zuverlässiger gelingt das aber einer neu entwickelten Roboterzunge.
Eine Tasse Kaffee auf einem Holztisch, umgeben von Kaffeebohnen, die aus einem Jutebeutel gekippt sind. Es ist quasi das Symbolbild für Kaffee-Symbolbilder.
Der Geschmackssensor kann unter anderem verschiedene Kaffeemischungen voneinander unterscheiden.

Seit Jahrzehnten sucht die Industrie nach einer Technik, um den Geschmack von Lebensmitteln und Getränken schnell, automatisiert und zuverlässig zu erkennen. In einer neuen Studie stellen Forschende der Penn State University und des NASA Goddard Space Flight Center nun einen chemischen Sensor vor, der genau das verspricht. Dazu verknüpfen sie bereits seit Jahrzehnten bekannte Sensoren mit maschinellem Lernen. Demnächst könnte die neu entwickelte Roboterzunge Milch oder Merlot degustieren, noch bevor Menschen es tun.

Ionensensitive Feldeffekttransistoren (ISFETs) wandeln chemische Veränderungen in einer Flüssigkeit in elektrische Signale um. Wenn also die Ionen eines Getränks die leitende Schicht eines ISFETs berühren, fließt ein elektrischer Strom, der von der Konzentration der Ionen im Getränk und der angelegten Spannung abhängt. Auf diese Weise können Forschende nicht nur den Geschmack eines Getränks feststellen, sondern auch, ob es verunreinigt oder abgestanden ist. Denn all das findet sich in der chemischen Zusammensetzung der Flüssigkeit wieder.

»Die Lebensmittelindustrie hat große Schwierigkeiten damit, herauszufinden, ob Lebensmittel verdorben sind oder Giftstoffe enthalten«, sagt Ingenieur Saptarshi Das von der Penn State University. Zwar wurden die ersten ISFETs bereits vor mehr als 50 Jahren vorgestellt, kommerziell genutzt wurden die Sensoren lange Zeit aber kaum. Erst mit dem Aufkommen von Graphen, einem zweidimensionalen Material mit besonderen Leitungseigenschaften, gelang Forschenden die Entwicklung von ISFET-Sensoren, die spezifische chemische Ionen erkennen. Ein großes Problem blieb jedoch bestehen: Die Messwerte schwankten von Sensor zu Sensor und bei veränderten Umweltbedingungen wie Temperatur oder Feuchtigkeit.

Das und seine Kollegen gingen dieses Problem an. Dafür kombinierten sie ISFETs mit neuronalen Netzen und trainierten einen Algorithmus darauf, Getränke anhand der Messwerte der Sensoren zu klassifizieren. Ein voller Erfolg: Das System zeigt an, ob Milch verwässert ist, und es kann zwischen verschiedenen Limonadenmarken oder Kaffeemischungen unterscheiden. Es erkennt auch verschiedene Fruchtsäfte und bestimmt, ob sie noch frisch sind. Ihre Ergebnisse präsentieren die Forschenden im Wissenschaftsmagazin »Nature«.

Sensor arbeitet lieber ohne menschliche Hilfe

Während der Entwicklung wählten zunächst Menschen spezielle Merkmale in den Messdaten aus, die den Geschmack eines Getränks beschreiben sollten. Damit trainierten die Forschenden das System. Allerdings stellte sich heraus, dass es Getränke genauer identifiziert, wenn der Algorithmus sämtliche Messwerte erhielt und anschließend selbstständig die Merkmale für seine Entscheidungen festlegte. Die Ergebnisse mit den von Menschen ausgewählten Merkmalen schwankten, je nachdem von welchem Sensor die Messdaten stammten.

Anders war es hingegen bei der Roboterzunge: Der Algorithmus analysierte alle Daten auf einmal und fand darin unveränderliche Elemente. »Das maschinelle Lernen findet Unterschiede in den Daten, die für Menschen schwer zu erkennen sind«, erklärt Das. Bei praktischen Aufgaben erreichte das System eine Genauigkeit von mehr als 97 Prozent. Den Forschenden zufolge könne damit ein einziges Sensordesign für unterschiedliche Anwendungen eingesetzt werden, ohne dass das System jedes Mal neu kalibriert oder trainiert werden müsse.

»Die Daten sind sehr überzeugend«, findet Kiana Aran von der University of California, San Diego. Die Ingenieurin hat ein Unternehmen zur Vermarktung von Biosensoren auf Graphenbasis mitgegründet. Anders als die menschliche Zunge, die spezifische Moleküle erkennt, bestimmt diese Art von ISFET-System nur chemische Veränderungen. Das beschränkt den Einsatz auf spezifische, vordefinierte chemische Profile, etwa das Erkennen einer markeneigenen Rezeptur oder des Frischezustands von Lebensmitteln, sagt sie.

Als Nächstes werden Das und seine Kollegen größere, heterogenere Trainingsdatensätze und komplexere Algorithmen testen, um das System auch in anderen Bereichen verwenden zu können. »Man kann diese Technologie zum Beispiel im Gesundheitswesen nutzen: zur Überwachung des Blutzuckerspiegels oder der Schweißproduktion«, sagt Das. »Auch diesen Bereich wollen wir erforschen.«

  • Quellen

Pannone, A. et al.: Robust chemical analysis with graphene chemosensors and machine learning. Nature 634, 2024

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