Giganten des Kosmos: Immer größere Riesenradiogalaxien entdeckt

Radiogalaxien verdanken ihren Namen ihrer besonders starken Strahlungsemission im Radiobereich. Die meisten von ihnen haben ausgedehnte Emissionsgebiete auf beiden Seiten der optisch sichtbaren Galaxie, sogenannte Radiokeulen, die sich fast immer über ein Vielfaches ihrer optischen Ausdehnung erstrecken.
Diese Radiokeulen können mehrere Millionen Lichtjahre lang sein und im Radiobereich die Synchrotronstrahlung emittieren, die entsteht, wenn elektrisch geladene Teilchen – vorwiegend freie Elektronen, also die negativ geladenen Teilchen in der Atomhülle – in kosmischen Magnetfeldern abgelenkt werden. Der Grund dafür ist die Lorentzkraft, die dafür sorgt, dass die Elektronen spiralförmig um die Magnetfeldrichtungen kreisen. Die leichten Elektronen bewegen sich dabei nahezu mit Lichtgeschwindigkeit und werden daher als relativistisch bezeichnet.
Materiestrahlen, die Jets, speisen die Radiokeulen. Sie stammen aus der unmittelbaren Umgebung des extrem massereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Wirtsgalaxie (siehe »Radiobild eines Kolosses«). Die Jets bestehen aus relativistischen Elektronen und Protonen, die als positiv geladene Kernbausteine bekannt sind. Eventuell sind in den Materieströmen auch Positronen, die elektrisch positiv geladenen Antiteilchen der Elektronen, enthalten. All diese bewegten elektrischen Ladungen induzieren Magnetfelder. Die Magnetfeldstärke liegt dabei in den Jets im Bereich von Milligauss und in den Keulen bei Mikrogauss. Dabei gilt: 1 Gauss = 0,0001 Tesla. Diese Stärken sind tausend- bis millionenfach geringer als das Magnetfeld an der Erdoberfläche.
Ein überraschender Fund
Bei der Suche nach größeren Radiogalaxien mit dem Westerbork Synthesis Radio Telescope (WSRT) entdeckte ein Team um den Radioastronomen Anthony G. Willis in den 1970er-Jahren die ersten beiden Radiogalaxien mit Ausdehnungen von mehr als einem Megaparsec (1 Mpc = 1 000 000 pc = 3 260 000 Lichtjahre), nämlich 3C 236 und DA 240. Ihre Größen betragen 4,3 Mpc beziehungsweise 1,5 Mpc, wenn man eine Hubble-Konstante H0 von 70 Kilometern pro Sekunde und pro Megaparsec zugrunde legt. Die absoluten Abmessungen der Radiostrukturen ergeben sich aus der im beobachteten Spektrum ablesbaren kosmologischen Rotverschiebung z der Quelle sowie aus den scheinbaren Größen der Strukturen am Himmel in Winkelgrad. Alle hier genannten Ausdehnungen basieren auf der Annahme, dass die Quellen in der Himmelsebene liegen, also in der Ebene, die senkrecht zur Sichtlinie zum Objekt steht. Da ihre Orientierung im Raum unbekannt ist, sind diese Ausdehnungen als untere Grenzen anzusehen. Zum Vergleich: Die Entfernung des Milchstraßensystems zur nächstgelegenen ähnlichen Galaxie, der Andromedagalaxie (Messier 31), beträgt 0,8 Mpc oder 2,5 Millionen Lichtjahre, und die typische Ausdehnung eines reichen Galaxienhaufens liegt bei etwa 2 Mpc. Verglichen mit typischen Galaxien sind Riesenradiogalaxien wahrlich Ungetüme (siehe »Größenvergleich von Galaxien«).
Radiogalaxien größer als 1 Mpc wurden seither als »Giant Radio Galaxies« (GRGs), also Riesenradiogalaxien, bezeichnet. Die Quelle 3C 236 (siehe »Der erste Gigant«) war für 34 Jahre die größte bekannte GRG, bis eine Forschungsgruppe um Jerzy Machalski im Jahr 2008 die Radioquelle J1420−0545 fand. Diese Entdeckung beruhte auf einer visuellen Durchmusterung des NRAO VLA Sky Survey (NVSS), das heißt einer Beobachtungskampagne mit dem Very Large Array (VLA) in New Mexico (USA), einem Verbund aus 27 aktiven Radioschüsseln. Die damit gewonnenen Aufnahmen zeigten zwei deutlich auseinanderliegende, aber parallel ausgerichtete Radioquellen sowie eine schwächere und kompakte Radioquelle in der Mitte. Letztere stimmte mit einer visuell sichtbaren, aber leuchtschwachen Galaxie überein, für welche die Autoren ein optisches Spektrum aufnahmen. Dazu belichteten sie an einem 4-Meter-Teleskop zwei Stunden lang. Die gemessene kosmologische Rotverschiebung von z = 0,307 sowie die Winkelausdehnung der Radioquelle von fast 18 Bogenminuten ergaben eine projizierte Größe von 4,8 Mpc.
Die treibende Kraft
Im Zentrum jeder Radiogalaxie befindet sich ein wahres Kraftwerk: ein extrem massereiches Schwarzes Loch (oder sogar mehrere) mit Massen zwischen zehn Millionen und einigen zehn Milliarden Sonnenmassen. Dieses kann in einen Zustand hoher Aktivität als aktiver Galaxienkern (englisch: active galactic nucleus, AGN) gelangen, wenn Materie in Form von Gas und Staub in das Gravitationsfeld des Schwarzen Lochs gerät und sich in einer rotierenden Akkretionsscheibe sammelt. Beim Sturz der Materie ins Schwarze Loch geht ein Teil der freigesetzten potenziellen Energie in die Bewegung, um hochionisierte Materie in Form von relativistischen Teilchen entlang zweier gewaltiger Jets in den Raum zu schleudern. Diese Teilchen pflanzen sich fast lichtschnell entlang der Rotationsachse des Schwarzen Lochs fort und werden von Magnetfeldern gebündelt.
Radiogalaxien werden traditionell nach der Fanaroff-Riley-Klassifikation (1974) in zwei Typen eingeteilt:
- FR I: Radiogalaxien mit energetisch geringem Ausstoß; die Jets flauen schnell ab und bilden diffuse, federartige Strukturen, meist ohne scharfe Ränder.
- FR II: Radiogalaxien mit leistungsstarken, kollimierten Jets und markanten Radiokeulen, die oft abrupt in hellen »Hotspots« enden.
Die meisten GRGs gehören zum FR-II-Typ – ein Zeichen für ihre hohe Energie und Reichweite. Zudem haben GRGs relativ »steile« Radiospektren, was bedeutet, dass ihre Radiohelligkeit mit zunehmender Frequenz relativ schnell abfällt. Dies weist darauf hin, dass sie zu den ältesten Radioquellen gehören. Nur auf diese Weise konnten sie über ihr gesamtes, langes Alter hinweg recht konstant die Keulen der Radiogalaxie mit frischem Plasma versorgen und so die Enden der Keulen immer weiter in den fast leeren Raum zwischen den Galaxien treiben. Dies legt nahe, dass der »Motor« der Jets, also der AGN, ebenfalls recht gleichförmig und über lange Zeit aktiv gewesen sein muss.
Je weiter sich eine Radiokeule in den Raum erstreckt, desto länger müssen die entsprechenden Jets bestehen, das heißt, GRGs sind insofern extreme Ausnahmen, als sich ihre Jets für zehn bis hundert Millionen Jahre ungestört ausbreiten konnten. Das bedeutet, dass das Schwarze Loch über außergewöhnlich lange Zeit aktiv geblieben – oder mehrmals »wiedererwacht« – sein muss. Außerdem darf das Schwarze Loch keine bedeutende Eigenbewegung relativ zum umgebenden Medium innerhalb der Lebensdauer der GRG gehabt haben, da dies zu Krümmungen und Verkürzungen ihrer Radiostruktur geführt hätte. In früheren Theorien nahm man an, dass GRGs hauptsächlich in Regionen mit wenigen Galaxien entstehen, also in Umgebungen, in denen die Materie unterdurchschnittlich konzentriert ist und den Jet kaum bremsen kann. Doch aktuelle Forschung zeigt, dass etwa eine von fünf GRGs in dichten Umgebungen, wie in Galaxienhaufen, liegt. Im letzteren Fall sind diese GRGs sogar meistens mit den hellsten Haufengalaxien im Dichtezentrum der Haufen assoziiert.
Von Rekord zu Rekord
In letzter Zeit hat die Forschung an GRGs enorm an Aufmerksamkeit gewonnen, da deren Anzahl stark gewachsen ist. Dies verdanken wir vor allem neuen Radioteleskopen, wie dem europäischen Low-Frequency Array (LOFAR), dem südafrikanischen MeerKAT oder dem australischen Square Kilometre Array Pathfinder (ASKAP), und den damit realisierten Himmelsdurchmusterungen.
Diese Teleskope liefern Radiokarten mit hoher Empfindlichkeit für Radiostrahlung bei Frequenzen unterhalb von einem Gigahertz (1 GHz, also einer Milliarde Hertz), bei denen die diffusen äußeren Radiokeulen von Radiogalaxien heller sind als bei höheren Frequenzen. Sie ermöglichen große Sichtfelder, um auch seltene Objekte zu finden, sowie Polarisationsmessungen, welche die Strukturen von Magnetfeldern auflösen, und Spektralanalysen, mit denen sich Alter und Teilchenverteilungen bestimmen lassen. Ihre Winkelauflösung von wenigen Bogensekunden erlaubt, zusammen mit dem noch höher auflösenden VLA Sky Survey (VLASS) bei 3 GHz, eine präzise Identifizierung der Wirtsgalaxie in modernen optischen Durchmusterungen. Aus diesen lassen sich Rotverschiebungen entnehmen, die meist fotometrisch abgeschätzt, aber oft auch spektroskopisch bestimmt sind und somit eine Entfernung für die meisten GRGs liefern.
Basierend auf einer dieser Radiodurchmusterungen, des LOFAR Two-metre Sky Survey (LoTSS), berichtete ein Team um Rafaël Mostert im Jahr 2024 über die Entdeckung von etwa 2600 GRGs mit Größen von mehr als 1 Mpc im regulären Survey. Für die Suche in den Beobachtungsdaten verwendeten die Forschenden sowohl maschinelles Lernen als auch die Unterstützung von Bürgerwissenschaftlern (englisch: citizen scientists). Weitere 130 GRGs wurden von uns in drei kleineren, aber tiefer mit LOFAR beobachteten Feldern entdeckt, die schwächere GRGs bei größeren Rotverschiebungen erreichen. Die entsprechende Publikation von Erstautor Marco Simonte erschien im Jahr 2024. In diesen tiefen Himmelsfeldern beträgt die Flächendichte von Riesenradiogalaxien etwa 3 GRGs pro Quadratgrad für Größen oberhalb von 0,7 Mpc beziehungsweise 1,4 GRGs pro Quadratgrad für Abmessungen größer als 1 Mpc. Im regulären LoTSS wurden etwa 1,8 GRGs pro Quadratgrad für Größen oberhalb von 0,7 Mpc beziehungsweise 0,8 GRGs pro Quadratgrad für Größen über 1 Mpc publiziert. Eine visuelle Inspektion eines kleinen Teils des LoTSS durch einen von uns (H. A.) hat allerdings gezeigt, dass sich bis zu etwa 2,3 GRGs pro Quadratgrad für GRGs größer als 0,7 Mpc finden lassen. Dies würde allerdings für die 20 000 Quadratgrad des gesamten LoTSS zirka 8000 Arbeitsstunden eines erfahrenen Astronomen erfordern.
Mit dieser Zunahme der Anzahl von GRGs wurden in schneller Taktung immer extremere Beispiele von GRGs entdeckt. Derzeit sind sechs GRGs mit Größen zwischen 5 und 7 Mpc bekannt. Einige davon wurden mit fantasievollen Namen versehen.
Da ist zum Beispiel die GRG namens Porphyrion: Sie wurde benannt nach einem Riesen der griechischen Mythologie, der in der Gigantomachie, dem Kampf zwischen Göttern und Giganten, eine wichtige Rolle spielte. Mit einer Rotverschiebung von z ≈ 0,9 stammt diese GRG aus einer Zeit, als das Universum erst 6,3 Milliarden Jahre alt war – weniger als die Hälfte seines heutigen Alters. Ihre Ausdehnung von knapp 7 Mpc zeigt, dass solche Ausflüsse sowohl Magnetfelder als auch relativistische Teilchen weit in den intergalaktischen Raum transportieren und somit eine wichtige Rolle bei der Magnetisierung des Kosmos spielen können. Vor der Entdeckung von Porphyrion galt Alkyoneus, ebenfalls nach einem mythologischen Riesen benannt und im Jahr 2022 vom selben Forschungsteam in Leiden (Niederlande) entdeckt, als die größte bekannte GRG. Alkyoneus erstreckt sich über eine Entfernung von ungefähr 5 Mpc, was etwa 100 Milchstraßendurchmessern entspricht. Zum Vergleich: Centaurus A, das erdnächste größere System dieser Art und die Radiogalaxie mit der größten Winkelausdehnung von zehn Grad, erreicht »nur« rund zehn Milchstraßendurchmesser.
Warum Riesenradiogalaxien für die Forschung wichtig sind
Riesenradiogalaxien (englisch: giant radio galaxies, GRGs) sind nicht nur spektakulär – sie sind auch Werkzeuge moderner astrophysikalischer Forschung:
- Sie kartieren großräumige Magnetfelder im Kosmos.
- Sie zeigen, wie die AGN-Rückkopplung die Entwicklung von Galaxien und Haufen beeinflusst.
- Sie helfen, die Strukturen des kosmischen Netzes sichtbar zu machen.
- Sie dienen als Testfelder für Plasmaphysik und extrem relativistische Prozesse.
Rätsel über Rätsel
Trotz der Tatsache, dass seit der ersten Entdeckung von GRGs bereits mehr als 50 Jahre vergangen sind, gibt es bis heute keine eindeutige Erklärung, warum einige dieser Objekte auf solche Größen anwachsen können, während andere es nicht tun. Daher stellten wir kürzlich die extremsten GRGs mit einer projizierten Größe von mehr als 3 Mpc zusammen, um zu untersuchen, ob sich diese in bestimmten Eigenschaften von GRGs mit bescheidenerer Größe unterscheiden. Für eine Stichprobe von 142 solcher GRGs, von denen 69 von uns entdeckt wurden, haben wir eine Reihe von Parametern gemessen, wie den Biegewinkel zwischen den beiden gegenüberliegenden Radiokeulen, das Armlängenverhältnis, definiert als das Verhältnis der Länge der helleren Radiokeule zur Länge der schwächeren, und den Anteil der GRG-Wirtsgalaxien, die Mitglieder von Galaxienhaufen sind. Außerdem haben wir erstmals die sechs GRGs mit projizierten Längen von mehr als 5 Mpc zusammengestellt, von denen wir drei selbst entdeckt haben. Unsere Publikation erschien im Jahr 2025 im Fachjournal »Astronomy & Astrophysics«. Eine Schlussfolgerung lautet: GRGs sind extrem rar. Das zeigt die kumulative Verteilungsfunktion, die oberhalb von 3 Mpc steil abfällt (siehe »Die Größten sind selten«).
Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich diese extremen GRGs nicht signifikant von anderen GRGs unterscheiden und dass der Anteil an GRG-Wirtsgalaxien, die sich in Galaxienhaufen befinden (etwa 20 Prozent), unabhängig von ihrer linearen Größe konstant bleibt, sei es unterhalb von 1 Mpc oder oberhalb von 3 Mpc – und das, obwohl man nicht erwarten würde, dass Radiogalaxien in einem dichteren Medium so stark anwachsen können.
Wie sich Jets über solch enorme Distanzen ausdehnen können, ohne instabil zu werden, ist bislang völlig unklar. Um so riesige Strukturen wie bei GRGs zu erzeugen, müssen diese Jets extrem langlebig und/oder besonders energiereich sein, damit sie sich durch das dünne Gas des intergalaktischen Raums ausbreiten und auf beiden Seiten des zugehörigen aktiven galaktischen Kerns über Megaparsec kollimiert bleiben. Dies ist rätselhaft, da man auf der Grundlage theoretischer Modelle in der Magnetohydrodynamik (MHD) erwartet, dass schnelle Strömungen von magnetisiertem Plasma durch das dünne Medium des interstellaren Raums instabil werden und daher nicht so lange und geradlinige Quellen bilden können.
Die Geradlinigkeit der Jets deutet zudem auf eine geringe Geschwindigkeit der Wirtsgalaxie sowie auf das Fehlen von Änderungen der Ausrichtung der Achse des extrem massereichen Schwarzen Lochs in ihrem Kern über einen Zeitraum von vielen Millionen Jahren hin. Außerdem muss das zentrale Schwarze Loch fast mit maximaler Rate gleichförmig Masse akkretieren, um die Jets anzutreiben. Sowohl unsere als auch andere Arbeiten zeigen, dass die Umgebungen dieser GRGs nichts Außergewöhnliches aufweisen, das ihre Ausdehnung erklären würde.
Im Jahr 2025 schlug ein Team um den Radioastronomen Andrii Neronov eine alternative Erklärung für die Entstehung von GRGs vor, nämlich dass sie durch einen Strahl von energiereichen Gammaphotonen erzeugt werden, die Elektron-Positron-Paare im intergalaktischen Medium produzieren. Mit diesen Gammajets müssten sie weder geladenes Teilchenplasma aus dem AGN transportieren, noch benötigen sie Magnetfelder zum Kollimieren der Jets. Zukünftige Beobachtungen im harten Röntgenspektrum werden es gestatten, diese neue Hypothese zu überprüfen.
Die aktuellen Entdeckungen legen nahe, dass solche riesigen Jetsysteme im frühen Universum einen größeren Einfluss auf die Galaxienbildung gehabt haben könnten, als bislang angenommen. Porphyrion entstand in einer Epoche, in der die kosmischen Filamente – feine, schlauchartige Strukturen, die Galaxien verbinden und versorgen – enger beieinander lagen als heute. Enorme Jets wie die in Porphyrion konnten also einen größeren Anteil des kosmischen Netzes durchdringen als heutige Jetsysteme im lokalen Universum.
Was sagen GRGs über das Universum aus?
Da sich die Radiokeulen weit über die Wirtsgalaxie hinaus erstrecken, interagieren sie direkt mit dem intergalaktischen Medium, das den Raum zwischen den Galaxien durchzieht (siehe »Riesenradiogalaxien im kosmischen Netz«). GRGs geben uns daher einzigartige Einblicke in extreme Umgebungen: Sie beeinflussen Temperatur, Dichte und Magnetisierung des intergalaktischen Mediums. Sie helfen, das schwer nachweisbare warme und heiße intergalaktische Medium (englisch: warm-hot intergalactic medium, WHIM) zu untersuchen – das Reservoir, in dem sich ein großer Teil der gewöhnlichen (baryonischen) Materie des Universums befindet.
Die Radiosynchrotronstrahlung der Keulen ist oftmals polarisiert und kann so genutzt werden, um die Richtungen von kosmischen Magnetfeldern zu bestimmen, sogar innerhalb der Quelle. Eine Messung der Drehung der Polarisationsebene als Funktion der Beobachtungsfrequenz – die Faraday-Rotation (siehe SuW 6/2023, S. 18) – gibt Aufschluss über die magnetische Feldkomponente entlang der Sichtlinie. Wenn man die Drehung der Polarisationsebene der Strahlung der beiden Keulen der GRG misst, dann gibt der Unterschied in der Rotation Auskunft über die Stärke und die Struktur des Magnetfelds auf Längenskalen, die dem Entfernungsunterschied der beiden Keulen entsprechen. Mithilfe der Polarisation kann man selbst die schwächsten kosmischen Magnetfelder messen, und dies bei großen Distanzen. Felder der Stärke von ein bis zehn Nanogauss (ein milliardstel Gauss) werden zum Beispiel entlang der kosmischen Filamente erwartet, was derzeit eine Herausforderung für die Messung der Faraday-Rotation darstellt. Aus dem Studium dieser intergalaktischen Magnetfelder verspricht man sich Aufschluss über deren Herkunft: Wurden die ersten Magnetfelder in Phasenübergängen kurz nach dem Urknall gebildet, oder liegt ihr Ursprung in plasmaphysikalischen Effekten? Welche Rolle spielen Sterne und Schwarze Löcher bei der Entstehung von Magnetfeldern?
Wie geht es weiter?
Große Anstrengungen werden sowohl im Bereich des maschinellen Lernens (ML) als auch in Citizen-Science-Projekten unternommen, in denen Laien relevante Informationen aus einer stetig wachsenden Menge an Bildern mit immer höherer Auflösung und Empfindlichkeit extrahieren.
Eine systematische visuelle Inspektion verfügbarer Surveys ist allerdings nur für kleine Teile praktikabel. Daher haben sowohl das Team von LoTSS als auch dasjenige des Evolutionary Map of the Universe (EMU) Survey ML-Algorithmen entwickelt, um ausgedehnte Radiogalaxien und ihre Wirtsgalaxien zu finden. Der Algorithmus für EMU erforderte eine Trainingsmenge, die durch visuelle Inspektion von Experten validiert und morphologisch klassifiziert wurde.
Der große Fortschritt in der Beobachtung dieser extremen Radioquellen fordert nun die Theorie heraus, neue Modelle für die Entwicklung von Radiogalaxien zu erstellen. Damit werden Computermodelle nötig – insbesondere MHD-Simulationen – , um die Entwicklung von GRGs zu verstehen. Beispielsweise in der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschergruppe »Relativistische Jets in aktiven Galaxienkernen« unter der Leitung von Matthias Kadler von der Uni Würzburg werden solche Modelle entwickelt, um zu testen, wie Jets in verschiedenen Umgebungsbedingungen wachsen. Zudem soll erforscht werden, welchen Einfluss die Zusammensetzung der Jets (Elektron-Proton oder Elektron-Positron) und die Schubstärke auf die langfristige Entwicklung der Galaxien haben.
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