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Covid-19 und Kinderpsychologie: »Kinder brauchen ein stabiles Gegenüber«

Auch Eltern sind in der Corona-Krise gefragt. Wie Sie Ihren Kindern durch die Ausnahmesituation helfen können, beschreibt die Psychologin Beate Leinberger im Interview.
Mutter und kleine Tochter auf der Veranda im Gespräch.

Auch Kinder bekommen natürlich mit, wie anders als sonst die aktuelle Lage ist. Eltern sind also gefragt: Was für Ängste kann die Situation bei den Kindern auslösen? Welche Rolle spielt das Alter der Kinder? Wie Eltern sich verhalten können, erklärt im Interview Beate Leinberger, die Vorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.

»Spektrum.de«: Frau Dr. Leinberger, wie erleben Kinder gerade die Corona-Krise?

Beate Leinberger: In Deutschland haben wir zwar noch keine Geisterstädte wie in Italien oder China, aber das Stadtbild hat sich bereits verändert. Vermummte Menschen mit Atemmasken können bedrohlich wirken. Hinzu kommen Hamsterkäufe: Plötzlich reißen sich die Leute um Nudeln und Klopapier. Kindergärten und Schulen sind geschlossen, Sportvereine machen dicht, ein Elternteil oder andere Verwandte übernehmen stattdessen die Betreuung. Kinder kriegen inzwischen mit, dass ein Ausnahmezustand herrscht. Etwa ab dem Grundschulalter fragen sie durchaus nach, was gerade passiert.

Beate Leinberger ist Vorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Sie arbeitet in der Abteilung für Psychosomatik des Universitätsklinikums Regensburg und betreibt eine eigene Praxis in Bogen. (Bild: m. frdl. Gen. von Beate Leinberger)

Bekommen Sie davon in Ihrer Praxis für Psychotherapie etwas mit?

Ja. Die Eltern wollen wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Die Kinder erzählen mir, was sie in den letzten Tagen erlebt haben, und stellen viele Fragen. Neben einem allgemeinen Gefühl der Unsicherheit überträgt sich der Stress der Erwachsenen mitunter auf die Kinder. In seltenen Fällen kommt es zu hypochondrischen Ängsten. Meine Devise ist Aufklärung. Wir müssen mit Kindern und Jugendlichen darüber sprechen, was gerade in der Welt passiert, dabei aber möglichst entspannt bleiben, die Fakten im Auge behalten und vor allem: keine Panik erzeugen.

Was, wenn Eltern gerade selbst Angst bekommen?

Wichtig ist, dass man diese Ängste nicht auf gleicher Ebene mit Kindern bespricht. Vor allem den jüngeren fehlen einfach die nötigen Verarbeitungsmechanismen. Sie beherrschen noch nicht das logische oder vorausschauende Denken wie Erwachsene und können die Gefühle der Mutter oder des Vaters nicht einordnen. Kinder brauchen ein stabiles Gegenüber. Gefühle zu verbergen, ist trotzdem nicht sinnvoll. Seien Sie authentisch. Wenn mein Kind mich fragt »Mama, warum guckst du so?«, darf ich ruhig zugeben, dass ich gerade besorgt bin.

Wie erkläre ich eine Pandemie kindgerecht?

Je kleiner die Kinder, desto weniger Details sind nötig. Für Kindergartenkinder gibt es tolle Bilderbücher, die man sich gemeinsam anschauen kann. Ich kann zum Beispiel das Buch »Willi Virus« empfehlen. Außerdem ist gerade ein Buch namens »Ein Virus auf Reise« erschienen, das Kinder ab drei Jahren speziell über Covid-19 aufklärt. Solche Kinderbücher eignen sich sehr gut als Anhaltspunkt für ein Gespräch. Sie veranschaulichen, was ein Virus eigentlich ist, warum es wichtig ist, sich nicht anzustecken, und dass man andere schützen muss, wenn man selbst erkrankt ist. Sie können im Gespräch ruhig den Weg einer Infektion anschaulich beschreiben – dass sie sich von Mensch zu Mensch überträgt, zum Beispiel über Husten. Oft kennen die Kleinen das Prinzip schon aus dem Kindergarten, wo ja regelmäßig ansteckende Krankheiten die Runde machen. Unbekanntes erklärt man am besten anhand von Bekanntem.

Gilt das auch für Grundschulkinder?

Hier dürfen es schon etwas mehr Details sein. Ein Problem ist, dass es einen großen Mangel an Gesundheitsbildung in den ersten Schuljahren gibt. Die Kinder wissen viel zu wenig über ihren eigenen Körper. Da sind jetzt die Eltern gefragt, um das aufzuholen. Man sollte also am besten mit den medizinischen Basics anfangen: Wo sind die Lungen, und was machen die? Wo liegen die anderen Organe, und wozu sind sie da? Dann kann man darauf aufbauend sagen: »Dieses Coronavirus sitzt im Hals, im Rachen und in der Lunge. Also kann man es beim Sprechen, Husten oder Niesen weitergeben. Deshalb hält man am besten Abstand zu anderen Menschen. Mit Oma und Opa kuscheln wir im Moment besser nicht, damit sie gesund bleiben. Wir können ihnen aber eine Freude machen und für sie einkaufen.«

Wie lässt sich bei aller Information genügend Sicherheit vermitteln?

Wie wir Erwachsene fühlen Kinder sich sicherer, wenn sie selbst etwas gegen das Problem tun können. Das kann das spielerische gemeinsame Händewaschen sein oder eben der Verzicht auf bestimmte Kontakte. Wenn sie den Sinn verstanden haben, machen Kinder dabei in der Regel bereitwillig mit. Gerade jetzt, wo durch die Schließung der Kindergärten und Schulen der normale Tagesablauf wegfällt, brauchen sie außerdem Struktur. Denn Struktur gibt Sicherheit. Eltern sollten dafür sorgen, dass auch in diesen herausfordernden Zeiten die Routine nicht gänzlich wegfällt – etwa indem sie regelmäßig Teile des Unterrichtsstoffs gemeinsam nachholen und Rituale beibehalten, wenn das organisatorisch möglich ist.

Gibt es No-Gos im Krisengespräch mit Kindern?

Ich würde auf jeden Fall drastische Begriffe wie »tödliches Virus« vermeiden.

Andererseits erlebt jedes Kind früher oder später einen Todesfall in der Familie. Wie spricht man darüber? Muss man Metaphern wie »im Himmel sein« verwenden, auch wenn man selbst gar nicht daran glaubt?

Interessanterweise sprechen kleine Kinder von sich aus schon sehr früh über Leben und Tod. Sie sehen tote Insekten oder schnappen entsprechende Filmszenen auf. Wenn dann ein Angehöriger stirbt, muss man darüber reden, gleich in welchem Alter. Mit etwa zwei Jahren bekommen Kinder schon sehr viel davon mit, was um sie herum passiert. Eltern unterschätzen das häufig. Ich würde von blumigen Begriffen abraten und die Dinge so benennen, wie sie sind: Wenn jemand gestorben ist, dann ist er gestorben. Kinder haben Mühe, Metaphern einzuordnen, wenn man sie nicht an konkretes Vokabular knüpft. Was mit uns passiert, wenn wir sterben, können selbst wir Erwachsene ja kaum erfassen. Das Kinderbuch »Gibt es ein Leben nach dem Tod?« greift das Thema auf. Für Vorschulkinder eignet sich zum Beispiel der Bildband »Abschied von Opa Elefant«. Auch ein Zweijähriger muss trauern können, und das kann er nur, wenn der Verlust direkt benannt wurde.

Mit Kindern über schwierige Themen sprechen

  1. Ruhe bewahren.Wird das Umfeld hochemotional, überträgt sich das auf die Kinder. Halten Sie stattdessen inne und atmen Sie erst einmal selbst tief durch. Wählen Sie einen geeigneten Moment für das Gespräch, wenn Sie genügend Zeit dafür haben. Das kann durchaus eine natürliche Situation wie das gemeinsame Kochen oder Basteln sein.
  2. Informieren.Jetzt heißt es Fakten sammeln, sortieren und altersgerecht aufarbeiten. Seien Sie offen für Fragen des Kindes und beantworten Sie diese so ehrlich wie möglich. Für die Kleinsten eignen sich spezielle Kinderbücher, die es zu verschiedensten Themen wie Trennung, Krankheit und Tod gibt.
  3. Aufmerksam bleiben.Beobachten Sie Ihr Kind. Zieht es sich zurück? Klagt es vermehrt über Stresssymptome wie Bauchschmerzen oder ist anhänglicher als sonst? Sprechen Sie offen mit ihm über Gefühle – auch negative gehören zum Leben dazu. Wenn Sie sich weiterhin Sorgen machen, sollten Sie im Zweifelsfall ein Gespräch bei einem Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten oder einer Familienberatungsstelle vereinbaren.

Können Eltern überhaupt kontrollieren, mit welchen Informationen ihre Kinder tagtäglich konfrontiert werden?

Das ist natürlich nur bedingt möglich. Umso wichtiger ist es, alle Fragen, die sich ergeben, ernst zu nehmen und zur Not etwas richtigzustellen. Bei Grundschülern – und je nach individuellem Entwicklungsstand auch darüber hinaus – sollte man zusammen Nachrichten schauen und die Kinder nicht mit den Informationen alleinlassen. Außerdem gibt es Kindernachrichten wie »logo«, die aktuelle Geschehnisse sehr gut aufbereiten. Teenager ab 14 Jahren informieren sich in der Regel schon selbst über Fernsehen und Social Media. Auch hier sollte man Fragen beantworten und gegebenenfalls Unsicherheiten nehmen. Bei Jugendlichen, die gerade ihre Unabhängigkeit entwickeln, steht gerade eher im Fokus, dass sie zurzeit nicht rausdürfen.

Was, wenn sie sich den empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen widersetzen – sich beispielsweise weiterhin in großen Gruppen treffen?

Hier wirkt ebenfalls Aufklärung. Sprechen Sie mit Ihrem Teenager auf Augenhöhe über das Thema. Machen Sie klar: Es geht aktuell nicht primär darum, sich nicht selbst anzustecken, sondern die Schwachen in der Gesellschaft zu schützen. Ich bin jedoch überzeugt, dass die meisten Jugendlichen das längst verstanden haben. Die Unvernunft mancher Erwachsener ist gerade das viel größere Problem.

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