Artenvielfalt: Warum Grünalgen roten Beton lieben

Nicht nur Menschen finden den grauen Beton langweilig, aus dem Kaimauern, Wellenbrecher oder andere Bauwerke an Meeresküsten bestehen. Er ist zwar stabil, billig und langlebig, doch sogar für Tiere und Pflanzen ist er optisch unattraktiv und biologisch uninteressant. Denn natürliche Küsten weisen eine reiche Farbpalette auf, und das sieht nicht nur gut aus, sondern beeinflusst auch die Interaktion von Meerestieren mit ihrer Umwelt. Das haben nun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der australischen Macquarie University und des Sydney Institute of Marine Science anhand von Experimenten mit bunten Betonplatten gezeigt. Ihre Ergebnisse, die sie im »Journal of Applied Ecology« veröffentlicht haben, deuten darauf hin, dass ein bunter Anstrich dazu beitragen könnte, die von Beton dominierten Küsten wiederzubeleben.
»Es ist bekannt, dass viele Meerestiere auf Licht und Farbe reagieren, wenn sie einen Ort zum Ansiedeln wählen«, sagt Laura Ryan, Hauptautorin und Neurobiologin an der Macquarie University. »Wir haben uns also gefragt: Können wir die Artenvielfalt im Meer verbessern, wenn wir Beton bunter machen?« Um dies zu testen, fertigte sie mit ihrem Team Betonplatten in den Farben Rot, Gelb, Grün und Grau an und befestigte sie an den Uferwänden im Hafen von Sydney. Um auszuschließen, dass unterschiedliche chemische Zusammensetzungen oder Oberflächenstrukturen der Farben das Ergebnis beeinflussen, ließen die Fachleute die Oberflächen mit einem biologischen Lack versiegeln. Über zwölf Monate hinweg verfolgten sie dann, welche Organismen sich auf den einzelnen Platten ansiedelten und ob Fische, die daran grasten, das Ergebnis beeinflussten.
Dabei stellten sie fest, dass wirbellose Meerestiere wie Garnelen, Krebse, Schnecken oder Seeigel sowie auch Algen die Platten je nach Farbe unterschiedlich besiedelten. Insbesondere auf den roten Platten bildeten sich Gemeinschaften, die sich von den anderen unterschieden. Die rote Farbe lockte vor allem mehr Grünalgen und Seepocken an. Diese Unterschiede blieben auch dann bestehen, wenn Fische freien Zugriff auf die Platten hatten. Das zeigt, dass die Effekte nicht darauf zurückzuführen sind, dass sich die Lebewesen an die Vorlieben ihrer Fressfeinde anpassen, sondern dass die Farben tatsächlich beeinflussen, wo sich die Larven ansiedeln.
Hinzu kommt, dass die Auswirkungen offenbar nicht nur damit zusammenhängen, was die Organismen sehen können, sondern auch damit, wie die verschiedenen Arten das Licht nutzen. »Rote Platten können einen hochwertigen Lebensraum für Grünalgen darstellen, weil diese Licht im blauen und roten Spektrum für die Fotosynthese einfangen«, schreibt die Gruppe in ihrem Forschungsartikel. Braunalgen hingegen, die andere Spektralfarben absorbieren, zeigten eine größere Assoziation mit grauen und grünen Oberflächen als mit roten.
Bislang ging es bei der Aufwertung von Lebensräumen an und in künstlichen Meeresinfrastrukturen darum, die glatten Betonwände mit verschiedenen Texturen wie Rillen und Spalten zu versehen, um natürliche Lebensräume nachzuahmen. Dieses Experiment macht nun deutlich, dass auch das Hinzufügen von Farbe mit Hilfe von langlebigen Pigmenten wie Eisenoxiden einen bedeutenden Unterschied machen kann. »Indem Ingenieure und Planer die Farben der künstlichen Strukturen an die Farben in den natürlichen Lebensräumen anpassen, können sie den einheimischen Meeresbewohnern die visuellen Reize bieten, auf die die Organismen von Natur aus programmiert sind«, erklärt die Küstenökologin und Leiterin des Projekts »Living Seawalls« an der Macquarie University, Melanie Bishop. Das fördere nicht nur die Artenvielfalt im Meer, sondern erhalte auch die marinen Ökosysteme in Küstennähe.
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