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Astrophysik : Wie Galaxien Form annehmen

Je tiefer unser Blick ins All geht, umso früher sind die ersten Galaxien im Universum aufgetaucht. Anscheinend verlief die Entwicklung der Sternsysteme anders, als die aktuellen Theorien aussagen. Ein neues Computermodell beruhigt nun die Diskussion - danach sind die Probleme gar nicht so groß, wie mitunter angenommen.
Das Milchstraßensystem
Es soll ja Leute geben, die haben Schwierigkeiten, für ihre Kinder ein Baumhaus zu bauen. Oder wahlweise einen Carport fürs Auto. Über solche Probleme können Astrophysiker nur lachen. Nicht, dass sie etwa besonders geschickt mit Hammer und Nägeln umgehen könnten, nein – sie bewegen sich nur einfach in anderen Größenordnungen. Wie baut man eigentlich ein Universum mit Galaxien, Sternen, Planeten und dem ganzen Rest? So lauten die Fragen ihrer Zunft.

Viele Seiten in dieser Konstruktionsanweisung wurden geschrieben und wieder rausgerissen, viele sind überhaupt noch leer. Denn die etwas naive, ursprüngliche Vorstellung – wonach die Materie sich zunächst in kleinsten Klümpchen ansammelte, die dann immer größer wurden und irgendwann eine fertige Galaxie ergaben – fiel unter der drückenden Last unvereinbarer Beobachtungsdaten in sich zusammen wie ein eilig gepfuschtes Baumdomizil. Schaut man ganz weit in die Ferne – und damit wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit zugleich in die Vergangenheit –, erhält man den Eindruck, die Natur hätte genau umgekehrt gearbeitet: Zuerst hat sie die Gasschwaden zu Protogalaxien zusammengeblasen und darin dann nach und nach Sternenfeuer gezündet. Verkehrte Welt und kaum ein Zeuge in Sicht, der aus erster Hand berichten kann.

Wenn's zum Experimentieren zu groß, zu schwer, zu lang oder zu gefährlich ist – und die frühe Entwicklung einer Galaxie erfüllt gleich alle dieser Kriterien –, dann verweisen Wissenschaftler die Versuche gerne in die bewährten Schaltkreise ihrer Computer. Dort findet zwar keine echte Realität mehr statt, aber immerhin lässt sich mit vertretbarem Aufwand feststellen, ob die Theorie sich selbst überlassen eines Tages auch dort landet, wo die Praxis sich bereits befindet. Anders ausgedrückt: Ein Modell, das schon in der Simulation versagt, taugt nur, um in gefalteter Form wackelnde Tische zu beruhigen.

Auf einen solchen Teststand schickten Masao Mori von der Universität von Kalifornien in Los Angeles und Masayuki Umemura von der Universität Tsukuba eine Simulation, in welcher sich eine Million Teilchen über mehrere rechnerische Milliarden Jahre in einem würfelförmigen Raum von rund 430 000 Lichtjahren Kantenlänge nach den Regeln der Hydrodynamik tummeln durften. Aus dieser dünnen Gaswolke, die irgendwo nach dem Urknall mit den Gesetzen der Physik alleine auf sich gestellt war, sollte sich eine Galaxie entwickeln, wie wir sie aus Büchern und Teleskopen kennen. Und siehe da: Das simulierte Ergebnis entspricht den realen Bildern so sehr, dass auch die Zwischenstufen durchaus echte Entwicklungsstadien der Sternensysteme widerspiegeln könnten.

Der Auftakt ist danach furios. Etwa 50 Millionen Jahre nach dem Start setzt eine Phase heftiger Sterngeburten ein, die nach rund 150 Millionen Jahren ihr Maximum erreicht. Auf mehrere Zentren verteilt ballen sich die Massen von Wasserstoff unter ihrer eigenen Gravitationskraft zusammen und bringen in den entstehenden Gaskugeln Fusionsfeuer in Gang. Wasserstoff verschmilzt dort zu Helium und zu schwereren Elementen, die in der Fachsprache der Astrophysik allesamt "Metalle" genannt werden, darunter auch die sonst wenig metallen anmutenden Elemente Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und einige mehr.

Wer als Stern gewaltig startet, hat jedoch für gewöhnlich kein langes Leben zu erwarten. Und so explodieren schon bald die ersten Exemplare als Supernovae. Ihr metallenes Inneres schütten sie dabei in die Umgebung aus, das sich darum in dieser Epoche recht ungleichmäßig im würfelförmigen Computeruniversum verteilt. Die Schockwellen der Supernovae breiten sich aus und kollidieren 300 Millionen Jahre nach dem Simulationsstart. Dadurch bildet das Wasserstoffgas große Blasen. Seine Energie hat es inzwischen auch weit gehend abgestrahlt – eine Periode im Leben einer Galaxie, die Astronomen als verschwommene Flecken der weit entfernten Lyman-alpha-Strahler kennen.

Die leuchtende Zukunft aber gehört den Sternen. Während das Gas sich in fädige Filamente und lokale Bläschen zerfasert, wächst bereits die zweite Sternen-Generation heran, deren größere Vertreter abermals schnell explodieren. In langbelichteten Teleskopaufnahmen zeichnen sich derartige Stadien durch eine größere spektrale Breite aus, da in diesen so genannten Lyman-break-Galaxien nicht mehr nur der Wasserstoff strahlt. Die Simulation zeigt obendrein, dass mit jeder Staffel von Supernovae die schweren Elemente immer gleichmäßiger verteilt werden. Das Wasserstoffgas verlässt nach 500 Millionen Jahren teilweise die Region der jungen Galaxie und verdünnt sich im intergalaktischen Raum.

Eine Milliarde Jahre nach dem Start nähert sich die Galaxie einem Gleichgewicht. Die Häufigkeit der Metalle entspricht etwa den Verhältnissen, wie sie in der Sonne vorliegen, Sterne bilden sich nur noch zögerlich, weil es dafür an Wasserstoff fehlt, und die Galaxie begnügt sich in den folgenden Milliarden Jahren damit, ihre Form allmählich von einer fantasielosen Kugel zu einer eleganteren Spirale zu ändern.

Nach Form und Zusammensetzung entspricht die virtuelle Galaxie damit ziemlich genau ihren realen Vorbildern. Welcher Erbauer eines Baumhauses kann ähnlich glaubwürdig versichern, er habe genau so eine surreale Brettersammlung geplant, wie dort in den Ästen hängt? Vielleicht sollten wir beim Basteln ein wenig wissenschaftlicher vorgehen. Oder die Hütte eventuell nur am Computer simulieren?

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