Direkt zum Inhalt

Raumfahrt: Wie gefährlich sind Elon Musks Starlink-Satelliten?

Knapp 12 000 Kleinsatelliten will der SpaceX-Chef im Erdorbit stationieren. Kritiker befürchten eine Vermüllung des Weltalls - und handfeste Probleme für die Astronomie.
Starlink-Satelliten werden ausgesetzt

Seit Beginn des Raumfahrtzeitalters haben Nationen fast 9000 künstliche Satelliten in Erdumlaufbahnen geschossen. Momentan kreisen rund 5000 von ihnen um unseren Planeten. Geht es nach Elon Musk, dem Chef des US-amerikanischen Weltraumunternehmens SpaceX, dann soll sich diese Zahl bis 2027 mehr als verdreifachen. Dann nämlich soll »Starlink« fertig sein, eine so genannte Megakonstellation aus fast 12 000 Kleinsatelliten. Ihr Zweck: weltweiter, lückenloser Internetzugang für alle – und Milliardenumsätze für den Betreiber.

Die ersten 60 Starlink-Satelliten hat SpaceX am 24. Mai 2019 auf den Weg gebracht. Womit das Unternehmen wohl nicht gerechnet hatte: Der Start sorgte für einen Aufschrei in sozialen Medien. Denn die Satelliten waren wider Erwarten am Nachthimmel als Kette heller Lichter zu sehen. Rasch meldeten sich besorgte (Hobby-)Astronomen zu Wort. Wie wird der Sternenhimmel wohl aussehen, wenn bald tausende Starlink-Satelliten den Sternen Konkurrenz machen?

Funkeln bald mehr Satelliten als Sterne am Nachthimmel?

»Mit an die Dunkelheit angepassten Augen kann man rund 9000 Sterne am Nachthimmel sehen, verteilt auf die gesamte Himmelssphäre. Wenn die 12 000 Starlink-Satelliten auch in ihren endgültigen Umlaufbahnen sichtbar bleiben, dann …«, beschrieb der Astronom Alex Parker vom Southwest Research Institute im US-Bundesstaat Texas dieses Unbehagen.

Manch ein Wissenschaftler sieht durch Starlink nicht weniger als das Ende der bodengestützen Astronomie heraufziehen: Nicht nur Hobbyastronomen, sondern auch Großobservatorien könnten beeinträchtigt werden. Schließlich könnten deren Blickfeld künftig jederzeit dutzende Satelliten kreuzen, wodurch weit entfernte Sterne und Galaxien schlicht überstrahlt oder verdeckt würden.

Auch automatische Suchprogramme, die etwa nach potenziell gefährlichen Asteroiden oder Supernova-Explosionen in fernen Galaxien Ausschau halten, könnten durch den Starlink-Schwarm am Himmel in die Irre geführt werden, befürchten manche Forscher. Begrüßt uns beim Blick nach oben also künftig ein Satellitenhimmel statt eines Sternenhimmels?

Elon Musk tat in den Tagen nach dem Start eher wenig, um diese Sorgen zu zerstreuen. So spottete er, die Zukunft der Astronomie liege sowieso bei Weltraumteleskopen. Damit ließ er unter anderem die Tatsache außer Acht, dass momentan mehrere irdische Riesenteleskope in Bau sind, die zu den leistungsfähigsten Geräten der Himmelsbeobachtung gehören werden.

Zweifel an Musks Astronomie-Kompetenz

Es war nicht der einzige Tweet, der Beobachter an Musks Kompetenz in Sachen Astronomie und Raumfahrt zweifeln ließ. So suggerierte der Milliardär, die Internationale Raumstation ISS sähe man dadurch, dass sie eigene Lichter habe. Das ist falsch: Die ISS reflektiert wie alle künstlichen Satelliten das Sonnenlicht.

Auch eine weitere Aussage des Unternehmers sorgte für Stirnrunzeln: Nachts, wenn die Sterne zu sehen seien, befänden sich seine Starlink-Satelliten ebenfalls im Dunkeln und seien daher nur während der Dämmerung zu erkennen. Dabei zeigten die zahlreichen Bilder und Videos von Hobbyastronomen, wie die Starlink-Satelliten am dunklen Himmel teilweise so hell wie die hellsten Sterne leuchteten. Denn auch wenn auf dem Erdboden Nacht herrscht, scheint in einer Höhe von 550 Kilometern, wo die Satelliten in wenigen Tagen ihre endgültigen Umlaufbahnen einnehmen sollen, oft noch die Sonne.

»Ein paar tausend zusätzliche Satelliten im Orbit innerhalb weniger Jahre, das wird ein Paradigmenwechsel«Stijn Lemmens, ESA-Experte

Das dürfte insbesondere für die Sommermonate gelten, wie der Astronom Cees Bassa vom niederländischen Institut für Radioastronomie (ASTRON) ausrechnete. »Bei einer geografischen Breite von 52 Grad befinden sich die 550-Kilometer-Orbits von Mai bis Mitte August während der gesamten Nacht im Sonnenlicht. Während dieser Sommernächte werden die Starlink-Satelliten also immer zu sehen sein«, schrieb er.

Die erste Satelliten-Schale ist erst der Anfang

Von Herbst bis Frühling werde es zwar ein paar Stunden pro Nacht »Starlink-freie« Sicht auf die Sterne geben, so Bassa weiter. Doch »je nachdem, wie hell die Satelliten am Ende erscheinen werden, wird das den Charakter des Nachthimmels drastisch verändern«. Die Rechnungen des Astrophysikers beziehen sich dabei lediglich auf die erste von drei »Schalen« der geplanten Konstellation. Diese besteht aus etwa 1500 Satelliten.

Später sollen weitere Satelliten ober- und unterhalb dieser Schale stationiert werden – in 1200 beziehungsweise 340 Kilometer Höhe. Aus Bassas Sicht ist es wahrscheinlich, dass sie die Situation weiter verschärfen werden, auch wenn die Details der Orbits noch unbekannt sind. Ein grober Überschlag laufe jedenfalls darauf hinaus, dass man während der Dämmerung bis zu 100 Satelliten am Nachthimmel sehen werde. »Jederzeit und an jedem Ort!«

»Die Analyse von Cees Bassa ist [bislang] die am weitesten ins Detail gehende«, sagt Carolin Liefke vom Haus der Astronomie in Heidelberg. Wie schlimm es wirklich werden wird, könne man aber derzeit nicht seriös vorhersagen, so die Astrophysikerin. Dazu fehlten wesentliche Parameter, wie die Reflektivität der Satellitenkörper, ihre endgültige Ausrichtung im Raum und die Ausrichtung ihrer Solarzellen.

© Marco Langbroek (sattrackcam.blogspot.com)
Starlink-Konstellation am Himmel

Auch müssten die Satelliten erst einmal in die endgültige Arbeitshöhe aufsteigen. So könne momentan noch die Taumelbewegungen der Satelliten eine Rolle spielen, die sich mit der Zeit stabilisieren dürfte, so Liefke. Auch sei denkbar, dass SpaceX bei der nächsten Satellitengeneration dafür sorgt, dass die Panele weniger gut Sonnenlicht reflektieren.

Tatsächlich erklärte Musk auf Twitter, er habe sein Team bereits angewiesen, eine mögliche Reduzierung des Albedos der Satelliten zu untersuchen. Der Albedo beschreibt den Anteil des Lichts, den eine Oberfläche reflektiert. Üblicherweise haben Satelliten hohe Albedowerte, reflektieren also viel Licht. Damit wird das Aufheizen der Bordelektronik durch die Sonneneinstrahlung vermieden.

Ob der Sternenhimmel in Zukunft also anders aussehen wird und ob die Satelliten wirklich ein Problem für Himmelsfotografen und professionelle Observatorien sein werden, steht also noch nicht fest. Ebenso unklar ist, inwieweit die Funksignale die empfindlichen Empfänger von Radioastronomen stören werden – auch das eine nach dem Start geäußerte Befürchtung. Radioteleskope beobachten teilweise tagsüber und sind störender Funkstrahlung von überfliegenden Satelliten ständig ausgesetzt.

Zwar erklärte Musk, ebenfalls via Twitter, Starlink werde bestimmte, für die Radioastronomie reservierte Frequenzbänder meiden. Die Sorgen der Forscher konnte er damit bislang aber nicht völlig zerstreuen. Bereits in der Vergangenheit mussten sich Radioastronomen mit Satellitenbetreibern um die Verwendung bestimmter Frequenzen streiten, etwa bei dem in den 1990er Jahren aufgebauten Satellitentelefonnetz Iridium.

Starlink könnte allerdings noch in anderer Hinsicht Probleme verursachen, sagt Stijn Lemmens, Senior Space Debris Mitigation Analyst im Büro für Raumfahrtrückstände bei der ESA in Darmstadt. Für die europäische Weltraumagentur beschäftigt er sich mit der Überwachung und Vermeidung von Weltraumschrott. »Ein paar tausend zusätzliche Satelliten im Orbit innerhalb weniger Jahre, das wird ein Paradigmenwechsel«, sagt er.

Nimmt der Weltraumschrott überhand?

Zwar gebe es seit etwa 20 Jahren Regeln für die Vermeidung von Weltraummüll, an die sich alle Raumfahrttreibenden – staatlich wie privat – halten sollen. So gilt beispielsweise für den so genannten Low Earth Orbit, in dem auch Starlink operieren wird, die Abmachung, dass alle Satelliten spätestens 25 Jahre nach dem Ende ihrer Mission aus dem Orbit entfernt werden müssen – entweder durch Rückholaktionen oder einfach dadurch, dass sie in der Erdatmosphäre verglühen.

Anspruch und Realität klafften hier jedoch bislang weit auseinander, so Lemmens. Statt der angepeilten »Entsorgungsquote« von 90 Prozent läge man bislang nur bei fünf bis 15 Prozent. »Mit diesem Compliance-Level steuern wir mit einigen tausend neuen Satelliten auf eine Katastrophe zu.« Jedweder Betreiber einer so großen Satellitenkonstellation werde sich sehr viel besser und nachhaltiger verhalten müssen, als man das von den jetzigen Raumfahrtakteuren gewohnt sei.

»Starlink ist führend in Sachen Weltraumschrottvermeidung«, antwortet hingegen SpaceX-Sprecherin Eva Behrend auf Nachfrage zu diesem Thema. »Unsere Satelliten erfüllen oder übertreffen alle geforderten Regularien und Industiestandards.« So würden die jetzt gestarteten Satelliten nach ihrer Lebensdauer von etwa fünf Jahren nahezu rückstandsfrei in der Erdatmosphäre verglühen.

Im Orbit verfügten sie über Triebwerke, mit denen sie möglichen Kollisionen mit anderen Schrottfragmenten ausweichen können. Dazu seien sie mit vollautomatischen Kollisionsvermeidungssystemen ausgestattet, die ein menschliches Eingreifen unmöglich machten. »Das Kollisionsrisiko kann als null oder beinahe null betrachtet werden«, so Behrend. Zumindest so lange der betreffende Satellit manövrierfähig ist.

Angst vor einer unkontrollierbaren Kettenreaktion

»Ohne technische Details kann man nicht beurteilen, ob das System funktionieren wird«, meint hingegen ESA-Experte Lemmens. »Was ich sagen kann, ist, dass es über den derzeit üblichen Stand der Technik hinausgehen muss.« Das gelte umso mehr, als Konkurrenten wie OneWeb oder Amazon mit eigenen Megakonstellationen in den Startlöchern stehen. »Eine große Konstellation wie diese erfordert ein hohes Maß an Koordination mit anderen Betreibern, die ihre Satelliten in einem Nachbarorbit stationieren wollen.«

Falls es durch einen unglücklichen Umstand zu einem Unfall komme, bei dem ein Satellit in seine Einzelteile zerschmettert wird, würde zwar zuerst Starlink selbst betroffen sein. »Die Fragmente werden aber nicht auf die Region der Konstellation selbst beschränkt bleiben, sondern auch andere Betreiber in höheren und niedrigeren Umlaufbahnen betreffen.«

Lemmens hat deshalb die Sorge, eine drastische Zunahme der Satelliten im Erdorbit könnte die Wahrscheinlichkeit des gefürchteten Kessler-Effekts vergrößern. Darunter versteht man eine Kettenreaktion, bei der die Bruchstücke einer Kollision weitere Kollisionen und damit eine Kaskade neuer Trümmerwolken auslösen. Im schlimmsten Fall können so ganze Bereiche des Erdumfelds für zukünftige Generationen raumfahrttechnisch unbenutzbar werden.

»Wir vertreten deshalb die Auffassung, dass der erdnahe Weltraum eine gemeinsam zu nutzende Ressource ist – und obendrein eine begrenzte. Er bietet Platz nur für eine begrenzte Zahl von Satelliten«, sagt Lemmens. Wie viele künstliche Objekte genau, könne man zwar theoretisch ausrechnen. Praktisch aber hänge es vom Verhalten der menschlichen Betreiber ab, das – so lehrt es die Erfahrung – nicht immer rational sein muss.

Man könne nicht von vornherein sagen, dass ein paar tausend Satelliten zu viel seien, findet Lemmens. Ein solches System könne schon machbar sein, bringe aber eben sehr hohe technische Anforderungen mit sich. Anforderungen, die erst noch erprobt werden müssen – oder bereits erprobt werden, 450 Kilometer über unseren Köpfen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.