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Fasten: Reinigungspause für den Körper

Wer dem Körper Gutes tun möchte, sollte hin und wieder vorübergehend auf Nahrung verzichten. Heil- und Intervallfasten sind empfehlenswert.
Vor allem das Intervallfasten lässt sich häufig ohne große Umstellungen in den Alltag integrieren.

Sie sitzen morgens im Büro, als Ihr Magen sich mit einem lauten Knurren bemerkbar macht: Sie haben tierischen Hunger. Zum Glück waren Sie schlau und haben sich ein belegtes Brot von zu Hause mitgenommen. Welchen guten Grund gäbe es, dieses Frühstück nun nicht zu verspeisen? Aus dieser Perspektive betrachtet erscheint Fasten nahezu widersinnig, gar unnatürlich: Der Körper braucht Energie, er verlangt danach. Was sollte also verkehrt daran sein, auf seine Signale zu hören und Nahrung zu sich zu nehmen?

Genau genommen stellt Fasten dieses Konzept auch gar nicht in Frage. Es geht nicht darum, ständig zu hungern und nur noch sporadisch zu essen. Beim Fasten soll die Abfolge aus Hunger und Nahrungsaufnahme lediglich für kurze Zeit unterbrochen werden. Dem Körper als Nahrungsverwertungsmaschine wird dabei eine Pause gegönnt – eine Art Reparatur- und Reinigungspause, die sich förderlich auf die Gesundheit auswirken soll.

So lautet zumindest das vollmundige Versprechen, das hinter dem Fasten steckt. Doch was ist wirklich dran an dieser Idee? Womöglich eine ganze Menge. Besonders das so genannte Intervallfasten (siehe unten) haben Wissenschaftler in den vergangenen Jahren genauer untersucht. »Selbst wenn aussagekräftige Langzeitdaten fehlen, existiert eine zunehmende Anzahl von klinischen Studien, die nahelegen, dass der tageszeitlich begrenzte Verzicht auf Nahrung sich positiv auf unseren Stoffwechsel und damit insgesamt positiv auf unsere körperliche Gesundheit auswirken könnte«, sagt Christian Sina, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.

Körper in Alarmbereitschaft

Wer ganz klassisch fastet – also mehrere Tage lang fast vollständig aufs Essen verzichtet –, setzt seinen Körper zunächst einmal unter Stress. Bereits nach etwa 20 Stunden ohne Nahrung sind die Zuckerreserven in der Leber aufgebraucht. Das alarmiert die Zellen und auch das Gehirn, Stresshormone durchfluten kurzzeitig den Körper.

Hält der Zustand an, gehen die Stresshormone jedoch wieder zurück. Der Körper stellt sich darauf ein, dass womöglich erst einmal keine Energie von außen zugeführt wird: Er beginnt die Fettspeicher anzuzapfen. Dazu spaltet die Leber verstärkt Fette in so genannte Ketonkörper auf. Die Nervenzellen im Gehirn und andere Körperzellen können aus ihnen Energie gewinnen. Darüber hinaus werden den Verbindungen noch eine Reihe anderer Wirkungen zugeschrieben. So können sie etwa Nervenzellen schützen und manchmal sogar die Leistung beim Lernen und Erinnern verbessern.

Damit es zum Ketonstoffwechsel kommt, muss die Zufuhr an Glukose – jener Form von Zucker, die unserem Körper sonst hauptsächlich als Energielieferant dient – weitgehend unterbrochen sein. Das ist beim Fasten der Fall. Es gibt aber auch eine Ernährungsweise, die auf die Bildung von Ketonkörpern abzielt, die Low-Carb-Diät. Hier ernährt man sich vor allem von fettreicher und kohlenhydratarmer (also zuckerarmer) Kost.

Nach mehreren Tagen mit Ketonstoffwechsel kann es mitunter zu einem echten Energieschub kommen: In Versuchen mit Ratten entdeckten Forscher, dass die Tiere bei einem erhöhten Ketonstoffwechsel – in diesem Fall angeregt durch eine niedrigkalorische Diät – in einem Labyrinth den Weg 38 Prozent schneller fanden; in einem Laufrad rannten die Tiere 32 Prozent schneller. Dieser Effekt macht evolutionsbiologisch Sinn: So stellt er etwa sicher, dass man sogar bei einer länger andauernden Nahrungssuche leistungsfähig bleibt.

Ihn auf Dauer zu nutzen, ist allerdings umstritten: Wer seine Ernährung auf eine ketogene Diät umstellt, hat meist nicht nur Schwierigkeiten, die Nahrungsumstellung durchzuhalten. Wegen des Verzichts auf viele Obst- und Gemüsesorten droht zudem eine Unterversorgung mit Vitaminen und Mikronährstoffen. Wer fastet, aktiviert den Ketonstoffwechsel hingegen nur vorübergehend. Das ist meist unproblematisch – die positiven Effekte überwiegen normalerweise, sagen Experten.

Fasten kurbelt die Zellreinigung an

Neben der Stoffwechselumstellung setzt Fasten einen Prozess der Zellreinigung namens Autophagie in Gang: Dabei werden Substanzen und Zellbestandteile, die sich durch den Stoffwechsel angesammelt haben und eigentlich Abfall darstellen, innerhalb der Zelle von einer Membran umschlossen, als wäre diese eine Art Müllbeutel. Anschließend werden Verdauungsenzyme in das Innere der Membran gegeben, die unbrauchbare Moleküle in ihre Bestandteile zerlegen. Die so gewonnenen Rohstoffe können anschließend zum Aufbau neuer Zellstrukturen oder zur Energiegewinnung genutzt werden. Letzteres, so vermutet man, ist der Grund dafür, dass Fasten die Autophagie ankurbelt. Der Körper versucht auf diese Weise, an weitere Energiereserven zu kommen.

Die »Müllansammlungen« in den Zellen können im Lauf der Zeit zu Gesundheitsschäden führen. Sie sind möglicherweise ein begünstigender oder gar ursächlicher Faktor für eine Reihe von Krankheiten und Alterungsprozessen: Forscher diskutieren etwa, ob sie im Gehirn bei der Entstehung von Alzheimer eine Rolle spielen. Auch die Bildung von Nieren- und Gallensteinen sowie Ablagerungen in Blutgefäßen könnte der Zellschrott fördern. Das Bindegewebe bringt er womöglich zum Erschlaffen – und treibt so die Hautalterung voran.

»Fasten ausschließlich als Mittel zum Abnehmen hat sich nicht bewährt«
Jost Langhorst, Chefarzt

Andere Studien deuten darauf hin, dass Fasten das Blutbild verbessert: So bessern sich etwa die Cholesterin- und Harnsäurewerte, und die Konzentration des C-reaktiven Proteins kann ebenfalls sinken. Dieses ist normalerweise bei Infektionen und Gewebeschäden erhöht und sorgt für Entzündungsreaktionen. Fasten scheint die Tendenz zu Entzündungsreaktionen zu senken. Wahrscheinlich deshalb hat Fasten zahlreichen Studien zufolge einen positiven Effekt auf Autoimmunerkrankungen, bei denen sich die Abwehrkräfte gegen den eigenen Körper richten. Das gilt unter anderem bei multipler Sklerose, Asthma, Neurodermitis, Allergien, rheumatischen Erkrankungen und entzündlichen Magen-Darm-Erkrankungen.

Auch ein leicht erhöhter Blutzucker – der mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes einhergeht – lässt sich mit Fasten leichter unter Kontrolle bringen. Denn durch den Nahrungsverzicht werden die Körperzellen wieder empfänglicher für das Hormon Insulin, das dafür sorgt, dass Zucker aus dem Blut in die Zellen aufgenommen wird. »Auch bei Menschen, die bereits einen Diabetes vom Typ 2 haben, hat das Fasten erwiesenermaßen einen positiven Effekt. Manche Patienten können zum Beispiel durch Fasten erreichen, dass sie weniger Insulin brauchen«, sagt Jost Langhorst, Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum am Bruderwald, Sozialstiftung Bamberg. »Allerdings sollte hier vorsichtig vorgegangen und am besten unter ärztlicher Aufsicht gefastet werden, denn der instabile Blutzuckerstoffwechsel bei Diabetikern ist für Veränderungen besonders anfällig.«

Fasten, um abzunehmen? Besser nicht!

Das Gehirn könnte ebenfalls vom vorübergehenden Nahrungsverzicht profitieren. Einzelne Studien liefern sogar Hinweise darauf, dass regelmäßiges Fasten das Risiko für Demenzerkrankungen wie Alzheimer leicht senkt. Jedoch konnte dieser Effekt bislang nur in einem Teil der Untersuchungen beobachtet werden. Inwieweit Fasten tatsächlich Alzheimer vorbeugt, diskutieren Forscher deshalb derzeit kontrovers.

Und wie steht es mit dem Gewicht? Natürlich verliert man beim Fasten ein paar Pfunde. In den Augen von Langhorst sollte das allerdings nicht der Hauptbeweggrund für den Nahrungsverzicht sein. »Fasten ausschließlich als Mittel zum Abnehmen hat sich nicht bewährt. Zwar nimmt man währenddessen durchaus einige Kilogramm an Flüssigkeit ab. Nutzt man den Kostaufbau aber nicht zur Kostumstellung, kommt es anschließend zum berühmten Jo-Jo-Effekt: Man nimmt das Gleiche oder gar mehr wieder zu.« Der entscheidende Faktor sei, nach dem Fasten seine Ernährung und Lebensweise umzustellen. Dafür könne Fasten zumindest ein guter Start sein – nicht nur psychologisch. »Es kommt im Körper an manchen Stellen tatsächlich ein Stück weit zu einer Art Stoffwechselumstellung, zu einem Neustart«, erklärt der Experte.

Diese positiven Wirkungen sind wahrscheinlich mit ein Grund dafür, dass Fasten inzwischen eine jahrtausendealte Tradition hat. Ob das Fasten im Christentum von Aschermittwoch bis Ostern oder der Ramadan im Islam: Die allermeisten Religionen nutzen das Konzept des zeitweisen Hungerns gewissermaßen instinktiv als Reinigungstherapie. Und im englischsprachigen Raum sprechen viele sogar täglich davon, ohne es zu merken. »Breakfast« heißt nichts anderes als Fastenbrechen – man isst etwas, nachdem man über Nacht während des Schlafens sehr kurz gefastet hat.

Heilfasten und Intervallfasten

Heute sind vor allem zwei Fastenmethoden populär. Die eine dreht sich um das klassische, mehrtägige Fasten. Dieses kann etwa als Heilfasten nach Buchinger erfolgen. Hier kommen die positiven Effekte des Fastens besonders gut zum Tragen, weil man über längere Zeit die Nahrungsaufnahme fast vollständig herunterfährt. Das Heilfasten nach Buchinger kann bis zu vier Wochen dauern, während deren man täglich nur rund drei Liter Wasser, Tee, geringe Mengen an Säften und Gemüsebrühe zu sich nimmt. Dabei ist die Menge der aufgenommenen Nahrung so gering, dass sich der Stoffwechsel in Richtung Fasten orientiert – und zugleich so hoch, dass das Fasten über einige Tage möglich ist, ohne zur Qual zu werden.

Ebenfalls zunehmender Beliebtheit erfreut sich das Intervallfasten. Die populärste Variante heißt 16 zu 8, kurz 16:8. Dabei wechseln sich zwei Intervalle ab: 16 Stunden nichts essen, 8 Stunden essen, 16 Stunden nichts essen und so weiter. Das klingt aufwändig, ist jedoch recht leicht umzusetzen. Lässt man zum Beispiel das Frühstück weg, kann man sein 16-Stunden-Fastenintervall am Abend um 20 Uhr beginnen und am nächsten Tag bereits mittags ab 12 Uhr wieder etwas zu sich nehmen.

»Vor allem das Intervallfasten lässt sich häufig ohne große Umstellungen in den Alltag integrieren«
Christian Sina, Ernährungsmediziner

Wegen seiner Popularität befassen sich immer mehr wissenschaftliche Studien speziell mit dem Intervallfasten. »Wir wissen mittlerweile, dass Intervallfasten bei Übergewicht, erhöhtem Diabetesrisiko, aber auch bei verschiedenen Entzündungserkrankungen eine gesundheitsfördernde Wirkung haben kann«, sagt Christian Sina. Selbst wenn etwa der ketogene Stoffwechsel nach 16 Stunden noch nicht besonders ausgeprägt ist, so sind doch viele Vorgänge, die sich beim Fasten nach und nach einstellen, schon bei diesem Intervall wirksam, darunter zum Beispiel die oben angesprochene Zellreinigung, die Autophagie.

Entsprechend sind die bisherigen Resultate in Studien positiv, die Insulin- und Blutfettwerte verbessern sich, das Gewicht sinkt. Wichtig sei natürlich, dass man in den acht Stunden nicht ungehemmt und ungesund esse. »Auch hier gilt, die täglich empfohlenen Kalorienmenge nicht zu überschreiten und unter anderem möglichst auf eine ausreichende Ballaststoffmenge und Mikronährstoffdichte zu achten, wie sie zum Beispiel in vielen Gemüsesorten und Vollkornprodukten zu finden sind«, sagt Sina.

Bei Vorerkrankungen zuerst den Arzt konsultieren

Und was sind die Risiken des Fastens? Fasten ist nicht für jeden empfehlenswert. In Schwangerschaft und Stillzeit raten Ärzte etwa davon ab. Und bei Krebserkrankungen? Es gibt zwar Hinweise darauf, dass manche Tumoren beim Fasten langsamer wachsen, womöglich weil ihnen schlicht die Energie fehlt. In qualitativ hochwertigen Studien konnten solche Effekte jedoch bislang nicht belegt werden. Hinzu kommt, dass Fasten den Körper, der ohnehin schon durch den Krebs geschwächt wird, noch weiter schwächt. Die allermeisten Mediziner raten deshalb Krebspatienten strikt vom Fasten ab.

Bei bestimmten Stoffwechselzuständen kann Fasten ebenfalls zum Problem werden. »Bei Menschen mit einem erhöhten Harnsäuregehalt im Blut kann Fasten einen Gichtanfall auslösen. Außerdem begünstigt Fasten bei Menschen mit einer entsprechenden Neigung unter Umständen die Bildung von Gallensteinen«, sagt die Internistin Dagmar Mainz, Vorsitzende der Berufsgenossenschaft Niedergelassener Gastrologen Deutschland. Generell gilt es, bei Vorerkrankungen zunächst mit seinem Arzt zu sprechen.

Spricht medizinisch nichts dagegen, dürfte Fasten den meisten Menschen aber überwiegend guttun. »Vor allem das Intervallfasten lässt sich häufig ohne große Umstellungen in den Alltag integrieren. Je nach individueller Vorliebe und Alltagskompatibilität bietet es sich an, das Frühstück oder das Abendessen ausfallen zu lassen«, sagt Sina.

Abhängig vom ausgesuchten Intervall heißt es dann morgens nach dem Aufstehen oder abends: Ich habe Hunger, ich habe etwas zu essen – aber ich esse jetzt nichts. Und womöglich fühlt sich das nach ein paar Tagen sogar gut und richtig an.

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