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Depression: Gemeinsam gegen die dunkle Wolke

Vermutlich kennt jeder jemanden mit einer Depression – auch wenn sie oft verborgen bleibt. Wie hilft man einem depressiven Freund, Verwandten oder Partner? Eine Anleitung für Angehörige.
Illustration einer traurigen Frau

Ihr Freund hat sich verändert: Ihnen fällt auf, dass er erschöpft und abgemagert wirkt. Gemeinsame Unternehmungen sagt er immer öfter ab. Selbst das Fotografieren, das ihm früher so viel Spaß gemacht hat, interessiert ihn kaum noch. Er zieht sich immer mehr zurück. Vielleicht äußert er Ihnen gegenüber Gedanken von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit oder Schuldgefühle. Womöglich schläft er schlechter, liegt nachts grübelnd im Bett und fühlt sich permanent angespannt. Ihr Freund zeigt damit typische Anzeichen einer Depression.

Seit mehr als drei Jahrzehnten forsche ich zu psychischen Erkrankungen und zur Suizidprävention. Als Psychiater habe ich zahlreiche Betroffene persönlich kennen gelernt. Viele habe ich über Jahre behandelt und während depressiver Krankheitsphasen sowie in depressionsfreien Zeiten begleitet.

Die meisten Angehörigen, mit denen ich gesprochen habe, wollen ihren Lieben beistehen und ihnen helfen. Viele fragen, wie sie einen depressiven Menschen bestmöglich unterstützen können. Als Erstes rate ich ihnen: Informieren Sie sich über die Erkrankung! Wer nicht weiß, was hinter einer Depression steckt, neigt nämlich dazu, das veränderte Verhalten Betroffener falsch zu deuten. Wenn eine geliebte Person sich zunehmend zurückzieht, interpretieren das manche irrtümlich als Nachlässigkeit oder Lieblosigkeit. Der verminderte Antrieb eines Erkrankten sieht auf den ersten Blick vielleicht wie Bequemlichkeit aus. Das kann zu Frust, Ärger und Enttäuschung führen – was die Situation für den Angehörigen wie auch den depressiven Menschen noch schwerer macht. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet auf ihrer Website hilfreiche Informationen zur Erkrankung an.

Wege aus der Not

Denken Sie manchmal daran, sich das Leben zu nehmen? Erscheint Ihnen das Leben sinnlos oder Ihre Situation ausweglos? Haben Sie keine Hoffnung mehr? Dann wenden Sie sich bitte an Anlaufstellen, die Menschen in Krisensituationen helfen können: Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117.

Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 08001110111 und 08001110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 08001110333.

Ein Steckbrief der Depression

Depression ist eine verbreitete und schwere Erkrankung. Laut der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland entwickeln hier zu Lande jährlich etwa 11,3 Prozent der erwachsenen Frauen und 5,1 Prozent der erwachsenen Männer eine behandlungsbedürftige Depression. Insgesamt sind das mehr als fünf Millionen Menschen. Vermutlich kennt jeder von uns jemanden, der aktuell depressiv ist – auch wenn uns das womöglich verborgen bleibt. Denn psychische Erkrankungen sind immer noch mit einem Stigma behaftet. Für die Betroffenen bedeutet das oft: Sie fühlen sich schuldig, verheimlichen ihre Beschwerden und tun sich schwer damit, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Krankheit zeichnet sich vor allem durch eine gedrückte Stimmung, Erschöpfung und Verlust von Freude und Interessen aus. Neben diesen Kernsymptomen treten, wie im eingangs erwähnten Beispiel beschrieben, mehrere zusätzliche Krankheitszeichen auf. Darüber hinaus klagen depressive Menschen häufig über körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen, Ohrgeräusche oder Verdauungsprobleme. Vor der Erkrankung hatten sie diese womöglich eher als lästig, aber erträglich empfunden. In der depressiven Episode erleben Betroffene sie plötzlich als sehr quälend. Nicht selten berichten sie dem Hausarzt über ihre körperlichen und verschweigen die psychischen Leiden.

Mehr als Depressionen

Eine weitere Krankheit, die mit depressiven Episoden einhergeht, ist die bipolare affektive Störung. Betroffene entwickeln sowohl depressive als auch manische Krankheitsphasen. Letztere sind wie das Gegenteil einer Depression: Die Patienten sind plötzlich voller Tatendrang, impulsiv, sie überschätzen sich, reden ohne Punkt und Komma und fühlen sich unbesiegbar. Das Umkippen von einer Depression in eine Manie (oder umgekehrt) erfolgt manchmal über Nacht.

Nicht hinter jeder depressiven Verstimmung steckt eine behandlungsbedürftige Depression. Ein Mensch, der um eine geliebte Person trauert, ist zeitweise auch niedergeschlagen, traurig und lustlos. Jemand, der sich überfordert fühlt oder gerade familiäre Probleme hat, kann auf einen Beobachter depressiv wirken. Die Erkrankung Depression fühlt sich jedoch anders an als solche schweren Lebensphasen, berichten Betroffene. Depressive Menschen entwickeln oft völlig übertriebene Schuldgefühle und fühlen sich innerlich permanent angespannt, wie vor einer Prüfung. Bei schweren Verläufen, sagen sie, ist es, als wäre man innerlich tot. Man spürt nichts mehr; nicht einmal Trauer. Anhand dieser und anderer Merkmale kann ein Psychiater eine Depression in der Regel gut erkennen und von einer Reaktion auf schwierige Lebensumstände abgrenzen.

Depressionen verlaufen meist in Schüben. Sie schleichen sich ein – langsam, über mehrere Wochen, seltener innerhalb weniger Tage oder über Nacht – und halten dann unbehandelt oft über Monate an. Sie können spontan abklingen. Zwischen den Krankheitsphasen fühlen sich viele Betroffene wieder gesund. Hat jemand eine depressive Episode durchgemacht, hat er ein erhöhtes Risiko, später erneut zu erkranken. Bei Verläufen mit mehreren Krankheitsphasen spricht man von einer rezidivierenden, also wiederkehrenden depressiven Erkrankung. Der entscheidende Krankheitsmechanismus ist noch nicht genau verstanden. Mit Antidepressiva und Psychotherapie stehen jedoch wirksame Behandlungen zur Verfügung.

Was Angehörige tun können

Wer gut informiert ist, kann besser nachvollziehen, warum ein Erkrankter so denkt und handelt, wie er es tut. Er erkennt auch, dass sich Depressionen nicht allein mit Willensanstrengung überwinden lassen. Deshalb hilft es nicht, einem Betroffenen zu raten, sich einfach zu entspannen, mal abzuschalten oder in den Urlaub zu fahren. Die Depression reist immer mit. Häufig empfindet der Erkrankte sie in einer fremden Umgebung sogar als noch quälender. Man kann den Angehörigen zwar dabei unterstützen, wieder aktiver zu werden. Manche Forderungen – wie »Reiß dich mal zusammen« oder »Kopf hoch« – kann ein depressiver Patient aber schlicht nicht erfüllen.

Was sollte man tun, wenn ein Freund sich verändert hat, wenn er verzweifelt und hoffnungslos wirkt? Sie sollten ihn auf jeden Fall darauf ansprechen. Fragen Sie ihn, was los ist, und bieten Sie Ihre Hilfe an. Ermutigen Sie ihn dazu, sich ärztliche Hilfe zu holen, wenn möglicherweise etwas Ernsthaftes hinter seinem Kummer steckt. Der Hausarzt ist hier oft der erste Ansprechpartner. Er kann abklären, ob eine psychische Erkrankung vorliegt. Wichtig ist, dass im Gespräch mit ihm nicht nur körperliche Symptome wie Schmerzen, Schlafprobleme oder Verdauungsstörungen zur Sprache kommen, sondern auch psychische wie Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit oder Suizidgedanken. Bei Bedarf kann der Hausarzt Medikamente wie Antidepressiva verschreiben. In vielen Fällen ist es sinnvoll, direkt einen Facharzt für psychische Erkrankungen, also einen Psychiater oder Nervenarzt aufzusuchen. Bei Personen unter 18 Jahren ist als Facharzt der Kinder- und Jugendpsychiater zuständig.

Fahrplan für Angehörige

  1. Informieren Sie sich über Depressionen.
  2. Unterstützen Sie bei der Suche nach professioneller Hilfe.
  3. Wenden Sie sich nicht ab.
  4. Bleiben Sie geduldig.
  5. Liebe und Zuwendung ersetzen keine medizinische ­Behandlung.
  6. Verlieren Sie Ihre eigenen Grenzen nicht aus den Augen.

Neben Medikamenten bieten Psychotherapien eine weitere wirksame Behandlungsmöglichkeit für Depressionen. Sie werden von Fachärzten und von Psychologischen Psychotherapeuten angeboten. In einem Erstgespräch mit dem Patienten bestimmen diese, ob eine Psychotherapie angebracht ist. Psychologische Psychotherapeuten können ihre Behandlung wie die Ärzte über die Krankenkasse abrechnen. Eine Überweisung durch den Hausarzt ist nicht nötig.

Da Depressionen mit Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit einhergehen, fühlen sich Betroffene manchmal nicht mehr in der Lage, sich selbst Hilfe zu suchen. Oft geben sie sich fälschlicherweise selbst die Schuld für ihr Befinden. Einen Arztbesuch halten sie deshalb für sinnlos, oder sie schämen sich. Hier können ihnen Angehörige und Freunde unter die Arme greifen: Helfen Sie, Termine beim Arzt und Psychotherapeuten zu organisieren, und ermutigen Sie den Betroffenen dazu, diese wahrzunehmen. Später können Sie ihn dabei unterstützen, die Behandlung konsequent durchzuführen.

Falsche Schuldige und wahre Freunde

»Warum geht es mir schlecht, und wie konnte es so weit kommen?« Diese Frage stellen sich wohl viele Erkrankte. Die meisten Menschen sehen in Depressionen in erster Linie eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände: Schicksalsschläge, Überforderung, Partnerschaftskonflikte, Verlust, Einsamkeit oder körperliche Erkrankungen werden im Kopf schnell zur »Ursache«. Betroffene meinen deshalb oft zu wissen, warum sie depressiv sind. Das ist allerdings nicht selten ein Trugschluss, denn der Einfluss von äußeren Belastungen wird überschätzt. Die Krankheit Depression lässt bestehende Schwierigkeiten größer erscheinen und rückt sie ins Zentrum des Lebens. Probleme hat aber jeder Mensch, Gesunde wie Kranke. Vermutete Auslöser können der Erkrankung auch einfach zufällig vorausgehen. Wer sich falsche Schuldige sucht – zum Beispiel in der Arbeit oder der Beziehung –, trifft vielleicht Entscheidungen, die er später bereut. Psychiater raten Betroffenen deshalb dazu, mit großen Veränderungen möglichst bis nach Abklingen der depressiven Episode zu warten.

Angehörige sollten nicht vorschnell nach einfachen Erklärungen suchen oder sich gar selbst die Schuld geben. Den Symptomen zu Grunde liegt die Krankheit Depression, und die ist weit mehr als eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände. Depression entsteht durch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Wer erkrankt, hat meistens eine entsprechende Veranlagung. Die kann man von den Eltern erben, oder sie entspringt Traumatisierungen und Missbrauchserfahrungen in der frühen Kindheit. Ist ein naher Verwandter betroffen, hat man ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, selbst Depressionen zu entwickeln.

Es hilft nicht, einem Betroffenen zu raten, sich einfach zu entspannen, mal abzuschalten oder in den Urlaub zu fahren. Die Depression reist immer mit

Partner oder Freunde können dem depressiv Erkrankten beistehen und ihn unterstützen – all das ist wichtig und hilft. Die Angehörigen sind jedoch nicht verantwortlich für seine Heilung. Liebe und Zuwendung ersetzen keine medizinische Behandlung. Depressionen sind ernste Erkrankungen, die einer angemessenen Therapie bedürfen. Diese bieten Fachleute, also Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten.

Wie jedes schwere Leiden belastet eine Depression auch das persönliche Umfeld. Ein Angehöriger, der sich ständig sorgt und hilflos fühlt, läuft Gefahr, sich selbst zu überfordern. Um das zu verhindern, sollten Sie weiterhin soziale Kontakte pflegen und regelmäßig etwas unternehmen, was Ihnen Freude bereitet: Kaffee trinken mit Freunden zum Beispiel oder einen Ausflug mit der Familie. In manchen Fällen ist es hilfreich, sich zusätzliche Unterstützung zu suchen. Der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen ist hier eine gute Anlaufstelle. Über den Verband werden unter anderem Selbsthilfegruppen für Angehörige organisiert. Sie bieten eine Möglichkeit, sich mit Menschen auszutauschen, die gerade eine ähnliche Situation durchleben. Inwiefern das Betroffenen hilft, ist bislang wissenschaftlich nicht gut untersucht. Viele Menschen berichten jedoch davon, dass es ihnen guttut, sich mit anderen in einer ähnlichen Situation auszutauschen.

Für Familie und Freunde ist der Umgang mit einer depressiven Person nicht immer einfach. Im gesunden Zustand sind die Betroffenen häufig sehr hilfsbereit und verantwortungsvoll, und nun erkennt man sie kaum wieder. Viele versinken in der Erkrankungsphase in Sorgen und Verzweiflung. Andere werden schweigsam und ziehen sich zurück. Halten Sie sich vor Augen, dass depressive Episoden in der Regel gut behandelbar sind und wieder abklingen. Bleiben Sie zuversichtlich und versuchen Sie besser nicht, dem Betroffenen seine Sorgen und Ängste auszureden. Vermeiden Sie es auch, körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen oder Ohrgeräusche als »nur psychisch bedingt« abzutun. Meistens liegen diese wirklich vor. Die Depression verstärkt sie bloß manchmal so sehr, dass sie für die Betroffenen kaum erträglich erscheinen.

Umgang mit suizidgefährdeten Personen

Menschen mit Depressionen empfinden einen sehr hohen Leidensdruck. Dazu kommt, dass ihnen die Situation womöglich ausweglos erscheint. In manchen kann das Suizidgedanken wecken, die mitunter auch zu entsprechenden Impulsen führen. Depressionen sind der größte Risikofaktor für die jährlich mehr als 9000 Suizide und schätzungsweise etwa 200 000 Suizidversuche in Deutschland.

Machen Sie sich Sorgen, dass eine Person in Ihrem Umfeld suizidgefährdet ist, erfordert das dringend eine rasche ärztliche Abklärung. Übernehmen Sie während einer akuten Krise unbedingt die Verantwortung für den Erkrankten. Begleiten Sie ihn zum Arzt oder in die Klinik. Nachts kann die örtliche psychiatrische Notfallambulanz oder der ärztliche Notdienst (Telefon: 116 117) Hilfe bieten. Ist eine Person unmittelbar suizidgefährdet und nicht gesprächsbereit, sollten Sie den Notarzt rufen. Bleiben Sie bei ihr, bis der Krankenwagen kommt.

Wichtig ist, dass Sie sich nicht abwenden. Dem erkrankten Angehörigen hilft es sehr, wenn Sie zuversichtlich an seiner Seite bleiben – selbst wenn er Ihnen abweisend erscheint. Bezugspersonen nimmt es besonders mit, wenn ein geliebter Mensch, der offensichtlich leidet, jede professionelle Hilfe ablehnt. In diesem Fall können sie ihn nur weiter dazu zu ermuntern, sich helfen zu lassen, und ihm den Weg zum Arzt erleichtern. Wenn man fürchtet, dass sich eine Person in akuter Lebensgefahr befindet, sollte man den Notarzt verständigen.

Bei allen Belastungen, die eine Depression für Angehörige mit sich bringt, ist eines vielleicht tröstlich: Die allermeisten Betroffenen erholen sich mit angemessener Behandlung von der depressiven Phase. Auch das Risiko von Rückfällen sinkt, wenn die Erkrankung richtig behandelt wird. Und während manche Partnerschaften an der Erkrankung zerbrechen, empfinden andere Paare danach eine noch tiefere Bindung: Bei einer Befragung, die wir bei der Deutschen Depressionshilfe zusammen mit der Deutsche Bahn Stiftung durchführten, berichteten 45 Prozent der Menschen mit diagnostizierter Depression davon, dass es auf Grund der Krankheit zu einer Trennung gekommen sei. Immerhin 36 Prozent gaben aber an, ihre Beziehung zum Partner sei gestärkt aus der Krise hervorgegangen. Wer die Depression und das mit ihr einhergehende Leid gemeinsam übersteht, fühlt sich danach oft noch enger verbunden.

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