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News: Wie macht man blau?

Wir alle kennen es: blaumachen. In unserer Umgangssprache heißt das, sich einen Tag frei zu nehmen. Aber die ursprüngliche Bedeutung war, daß man nicht in der Stadt erschien, weil man sehr lange auf etwas warten mußte. Es dauerte eben seine Zeit, bis blauer Farbstoff hergestellt war: Die Färber waren am 'blau machen'. Erst jetzt gelang es Forschern herauszufinden, was dabei abläuft und welche mikroskopischen Helfer die eigentliche Arbeit erledigen.
Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts und Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren davor lieferte das mit dem Senf verwandte Wildkraut Färberwaid (Isatis tinctoria) den einzigen blauen Farbstoff in Europa. Färberwaid war eine Quelle für Indigo, das dunkle purpurblaue Pigment, das zum Färben von Wolle, zum Bemalen von Wänden (z.B. in Pompeji), zur Herstellung von Tinte und sogar zur Tätowierung von Haut benutzt wurde. Von dieser Haut"bemalung" kommt sogar der Name eines schottischen Volksstammes der Eisenzeit – der Pikten. Die Nachfrage nach den blaugrünen Blättern dieser widerstandsfähigen, gelb-blühenden Pflanze war so groß, daß getrocknete Ballen aus ihren Blättern einst der zweitgrößte Importartikel Großbritanniens waren. Färberwaid wuchs nämlich hauptsächlich in Frankreich.

Es war eine langwierige Prozedur nötig, um das in Färberwaid enthaltene unlösliche Indigopigment in eine kleiderfärbende Lösung zu verwandeln. Traditionellerweise wurde eine Art aktiver, gärender und notorisch übelriechender Komposthaufen aus den Blätterballen hergestellt, wo sie zerstoßen, wieder aufgehäuft, befeuchtet und umgerührt wurden. Dann wurde diese Suppe aus Färberwaid langsam erhitzt. Kleie und Holzasche wurden hinzugefügt, und man erhielt an der Oberfläche des Bottichs eine Schicht blauen Indigos.

Sogar als Färberwaid im 17. Jahrhundert durch eine Pflanze mit höherem Indigogehalt ersetzt wurde, der subtropischen Indigofera tinctoria, wurde in die Färbebottiche noch immer Färberwaid hinzugegeben, da dies den Prozeß verbesserte. Der Schlüssel zu dieser mysteriösen mittelalterlichen Biotechnologie, so melden drei sich ergänzende Artikel in Nature (19. November 1998), im International Journal of Systematic Bacteriology und in Phytochemistry, ist ein Bakterium im Färberwaid. Philip John und seine Kollegen von der University of Reading, Großbritannien, haben zusammen mit John Edmonds vom Chiltern Open Air Museum in Großbritannien, herausgefunden, daß ein bisher unbekannter Stamm von Clostridium für die Umformung von Färberwaid-Indigo zu einer Lösung verantwortlich ist. Die Forscher möchten den neuentdeckten Stamm Clostridium isatidis taufen.

Um dieses hitzeliebende, zuckerfressende, höchst säureempfindliche Bakterium zufriedenzustellen, mußten traditionelle Wollfärber ihr Bottiche erhitzen und "gut füttern": Die zugegebene Kleie belieferte die Mikroben des Färberwaid-Bottichs mit Polysacchariden, und die Holzasche neutralisierte die durch die Fermentierung erzeugte Säure. "Und das alles zu einer Zeit als es noch gar keine Chemie gab", wundert sich Edmonds. "Die Färber hielten nur durch Erfahrung – und großteils mit Hilfe ihrer Nase – ihre Färbebottiche auf einem pH-Wert zwischen 8,5 und 9." (Das Chiltern Open Air Museum betreibt inzwischen einen solchen Bottich, in dem man mitgebrachte Handtücher färben kann.)

Andere Mitglieder der Clostridien verursachen übrigens Krankheiten wie Gangrän (auch Brand genannt), Wundstarrkrampf, Blutvergiftung, Magen-Darmentzündung, Dickdarmentzündung und Botulismus. Jedoch sind Mitglieder dieser Bakteriengruppe nicht das erste Mal treibende Kraft bei "volkstümlichen" Pflanzentechnologien. Zum Beispiel basiert das "Rötten", eine altägyptische Methode zur Gewinnung von Jutefasern aus Riedgras, auf der Pektin-verdauenden Fähigkeit eines Clostridiums. Professor Gareth Morris, Spezialist für Clostridien-Biotransformation der University of Wales sagt: "Clostridien sind dafür bekannt, ein stark reduktives Milieu zu erschaffen, aber bisher weiß noch niemand wie".

John und seine Mitarbeiter sind daran interessiert, die Clostridien-Reduktions-Färbemethode in einen industriellen Prozeß weiterzuentwickeln. "Indigo wird heutzutage durch Zugabe von Natrium-Dithionit reduziert und in eine lösliche Form überführt. Soweit wir wissen, entstehen beim Färberwaid-Prozeß keine Toxine. Entsorgung oder Recycling der Bakterien dürfte also leichter sein als die bisherige Entsorgung der umweltschädlichen Produkte der Dithionit-Oxidation", sagt John.

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