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Psychologie: Wie mächtig Framing wirklich ist

Das Framing-Manual der ARD hat im Februar 2019 für Schlagzeilen gesorgt. Doch was verbirgt sich genau hinter dem Begriff des Framing – und wie mächtig ist es wirklich?
Halb voll oder halb leer? Die Formulierungen die wir wählen haben einen Einfluss auf unser Denken.

Wer in das Thema Framing einsteigt, merkt schnell, dass die Forschung zum Thema ein zerklüftetes Gebiet ist. Schon Robert Entman, Koryphäe der Framing-Forschung, schrieb im Jahr 1993: »Trotz der Allgegenwart des Framing in den Sozialwissenschaften sucht man vergebens nach einer Theorie, die erklärt, wie Frames sich in Texte einbetten und sich dort manifestieren oder wie Framing das Denken beeinflusst.«

Mehr als 20 Jahre später fällt der Befund immer noch ähnlich aus. So erklärt der Psychologe und Medienwissenschaftler Jörg Matthes von der Universität Wien in seinem Buch »Framing« von 2014: »Wir finden in der Literatur kein kohärentes Theoriegebäude oder ein Netz von theoretischen Aussagen. Vielmehr gibt es eine Reihe von ganz unterschiedlichen Arbeiten, die den Frame-Begriff verwenden, ohne jedoch konkrete Vorhersagen aus einer Framing-Theorie abzuleiten.« Das mache es schwierig, die Framing-Forschung zu fassen und wissenschaftlich zu beschreiben.

Es gibt aber bereits eine ganze Reihe empirischer Studien, die die Wirkung verschiedener Framing-Ansätze aufzeigen. Ein Klassiker darunter ist eine Untersuchung zur Risikofreudigkeit von Menschen in verschiedenen sprachlichen Kontexten, die Daniel Kahneman und Amos Tversky 1981 im Journal »Science« veröffentlichten. Die beiden Psychologen legten ihren Versuchspersonen folgende Geschichte vor und baten sie dann um ihre Einschätzung (Hervorhebungen von der Redaktion):

»Stellen Sie sich vor, die USA bereiten sich auf den Ausbruch einer […] Erkrankung vor, die unbehandelt 600 Menschen töten wird. Zwei alternative Programme zur Bekämpfung der Krankheit wurden vorgeschlagen. […] Durch Programm A würden 200 Personen gerettet. Bei Programm B gäbe es eine 1/3-Wahrscheinlichkeit, dass alle 600 Menschen gerettet werden, und eine 2/3-Wahrscheinlichkeit, dass niemand gerettet wird. Welches der beiden Programme würden Sie bevorzugen?«

Vor die Wahl gestellt, entschieden sich 72 Prozent der Teilnehmer für das erste Programm, 28 Prozent für das zweite. Anschließend wiederholten die Wissenschaftler den Versuch mit einer zweiten Probandengruppe – die die Geschichte allerdings aus einem anderen Blickwinkel präsentiert bekam. Nun hieß es:

»Durch Programm C würden 400 Menschen sterben. Bei Programm D gibt es eine 1/3-Wahrscheinlichkeit, dass niemand stirbt, und eine 2/3-Wahrscheinlichkeit, dass 600 Menschen sterben werden.«

Unter den Versuchspersonen, die diese Beschreibung gelesen hatten, wählten lediglich 22 Prozent das erste Programm, 78 Prozent entschieden sich hingegen für Programm Nummer zwei.

Das Risikoverhalten beeinflussen

Wer genau hinschaut, bemerkt schnell: Beide Textvarianten beschreiben exakt dieselben Konsequenzen. Im jeweils ersten Programm (A und C) sterben 400 Menschen und 200 überleben. Und im jeweils zweiten (B und D) überleben alle mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 – oder alle sterben mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3. Ob die Teilnehmer eher auf die sichere Option setzten oder aber ein Risiko eingingen, schien also von der Art und Weise der Darstellung abzuhängen. Kahneman und Tversky bezeichneten das als »Framing-Effekt« (von to frame = einrahmen).

Bis heute wird die Studie in der Psychologie und den Wirtschaftswissenschaften immer wieder zitiert. Die Arbeiten von Kahneman und Tversky sind zu einem der wichtigsten Pfeiler der so genannten Verhaltensökonomik und der psychologischen Risikoforschung geworden. Im Jahr 2002 wurde Daniel Kahneman für seinen Beitrag sogar mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet.

Auch in der Kommunikationswissenschaft beruft man sich auf die beiden. »Hier hat man den experimentellen Ansatz allerdings etwas abgewandelt«, sagt Christian Schemer, Professor für Allgemeine Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik an der Universität Mainz. »De facto werden häufig Experimente gemacht, in denen Menschen nicht der gleichen, sondern unterschiedlichen Situationen ausgesetzt sind und dann zu unterschiedlichen Urteilen kommen.«

Im Gegensatz zu den Experimenten von Kahneman und Tversky werden Framing-Probanden in den Kommunikationswissenschaften mit ganz verschiedenen Geschichten konfrontiert

Eine dieser Studien erschien im Jahr 2007 im »Journal of Communication«. Die Autoren Adam Simson von der Yale University und Jennifer Jerit von der Florida State University analysierten darin, welche Begriffe Journalisten und Politiker in den USA rund um das Thema Abtreibungsverbot verwendeten. Dabei entdeckten sie, dass Befürworter und Gegner eines Abtreibungsverbots jeweils ein recht exklusives Vokabular nutzten, um für ihre Position zu werben: So sprachen Befürworter zum Beispiel fast ausschließlich von »Babys« statt von »Föten«. Bei den Gegnern war es hingegen genau umgekehrt.

In einem Experiment konnten Simson und Jerit zeigen, dass Menschen, die Medienberichte lasen, in denen ausschließlich eines der beiden Wörter verwendet wurde, ihre Meinung der einen oder anderen politischen Position anglichen: kontra Abtreibungsverbot beim Wort »Fötus« oder aber in Richtung pro Abtreibungsverbot beim Wort »Baby«. Ähnliche Ergebnisse hatten Forscher aus Stanford bereits 2005 im Fachjournal »Psychological Science« zu einer ganz anderen Frage vorgestellt. Sie konnten zeigen, dass der Fleischkonsum bei Probanden abnahm, die in Medienberichten häufiger mit dem Wort »Rinderwahnsinn« konfrontiert waren. Die Verwendung des Wortes »Creutzfeld-Jakob-Krankheit« hatte hingegen keinen solchen Effekt.

»Was Eltern mit ›Baby‹ und Mediziner mit ›Fötus‹ meinen, sind zwei verschiedene Dinge«, sagt Schemer. Während der eine Begriff ein Kind mit Gesicht und Händen beschreibe, transportiere der andere das Bild eines Zellhaufens. Und während sich »Rinderwahnsinn« auf ein bestimmtes beobachtbares Verhalten beziehe, sei »Creutzfeld-Jakob« der medizinische Fachbegriff für eine komplexe Erkrankung. Im Gegensatz zu den Experimenten von Kahneman und Tversky werden Framing-Probanden in den Kommunikationswissenschaften also eher mit ganz verschiedenen Geschichten konfrontiert. »Eine Wirkung auf den Rezipienten haben beide Ansätze«, sagt Schemer.

Mächtige Metaphern?

Es gibt noch eine weitere Denkschule, die sich mit dem Framing befasst: die so genannte kognitive Linguistik. Begründet wurde sie Anfang der 1980er Jahre von dem Linguisten und Chomsky-Schüler George Lakoff von der University of California in Berkeley. In seinem Buch »Moral Politics« aus dem Jahr 1996 argumentiert Lakoff, dass ein Großteil des Denkens unbewusst stattfinde und unsere Urteile, inklusive moralischer Urteile, von »konzeptuellen Metaphern« abhingen, die durch Sprache aktiviert würden. »Bei der Diskussion moralischer Fragen nutzen wir etliche Metaphern«, schreibt Lakoff. »Wir nutzen diese Metaphern, um moralische Fragen zu framen; um sie zu interpretieren, sie zu verstehen und um ihre Konsequenzen abzuschätzen.« (»Moral Politics«, S. 44)

Auf dieser Auffassung gründet Lakoff seine »Moral Politics Theory«. Die Kernaussage darin lautet, dass die amerikanische Politik von zwei moralischen Weltsichten geprägt ist, die von Familien-Metaphern getragen sind: Liberale (Demokraten) orientierten sich bei politischen Urteilen an der Metapher der »nährenden Familie«, Konservative (Republikaner) dagegen an der Metapher eines »strengen Vaters«. Nach Lakoffs Theorie werden diese Erziehungsmodelle mittels der Metapher einer »Nation als Familie« auf die nationale Politik abgebildet. Der Sprachgebrauch stehe im Einklang mit den beiden Modellen und beeinflusse (durch das jeweilige Framing) die Wahrnehmung der Bürger bei politischen Themen.

Aber Lakoffs Denkschule geht noch weiter. In seinem Buch »Metaphors we live by« heißt es: »Unser gewöhnliches konzeptuelles System, in dem wir sowohl denken als auch handeln, ist grundsätzlich metaphorischer Natur. […] Metapher ist nicht nur eine Frage der Sprache, das heißt der bloßen Worte. Wir argumentieren, dass im Gegenteil menschliche Denkprozesse weitgehend metaphorisch sind.« Zwar beginne alles Denken mit wenigen nichtmetaphorischen, körperlichen Eindrücken: Sinnesempfindungen, Handlungen und Emotionen. Spätestens aber wenn ein aktueller Eindruck mit früheren assoziiert wird, entstünden neue konzeptuelle Metaphern: etwa wenn man eine Beziehung als Reise auffasst, die »etwas holprig« sein kann.

»Autoren wie Lakoff sind so genannte Konstruktivisten«, sagt Christian Schemer. »Für sie gibt es so etwas wie Wirklichkeit nicht und damit auch keine letztgültige Wahrheit.« Stattdessen sei in der Weltsicht der Konstruktivisten alles Politische nur ein Kampf konkurrierender Meinungen.

Einer anderer Experte, der mit der »Metapher-Metapher« des Denkens wenig anfangen kann, ist der Psychologe Steven Pinker von der Harvard University. Besonders deutlich wird das in einer Buchbesprechung aus dem Jahr 2006: »Lakoffs Denken über Politik ist ein Desaster«, schreibt Pinker dort. »In Lakoffs Welt sind politische Debatten reine Wettbewerbe zwischen Metaphern. Die Bürger sind nicht rational und achten nicht auf Fakten, es sei denn, die Fakten passen ihnen in einen Frame, der durch schiere Wiederholung ›in den neuronalen Strukturen ihres Gehirns fixiert‹ wird.«

Das umstrittene Handbuch zum Framing, das die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling im Auftrag der ARD verfasst hat, liest sich ganz ähnlich wie Lakoff: »Jedes einzelne Wort aktiviert einen Frame im Kopf des Rezipienten. Das trifft zu für alle Sprachen«, schreibt sie. Und: »Nur durch die ständige Wiederholung neuer sprachlicher Muster über längere Zeit hinweg ist es möglich, den neuen Frames kognitiv Geltung zu verschaffen und sie damit zu einer realistischen Wahrnehmungsalternative werden zu lassen.« Dass Frau Wehling das schreibt, kommt nicht von ungefähr: Ihre Doktorarbeit hatte zum Zweck, Lakoffs »Moral Politics Theory« zu belegen. Auch das ist kein Zufall: Wehlings Doktorvater ist George Lakoff.

Die Wirkung des Framing wird oft überschätzt

Wie mächtig aber ist Framing wirklich? In seinem Buch »The Stuff of Thought« argumentiert Steven Pinker, Lakoffs Behauptungen über die Bedeutung von Metaphern und Frames seien weder aus philosophischer noch aus psychologischer Sicht haltbar. Nichts spreche dafür, dass Menschen Metaphern immer auch als solche wahrnehmen und verarbeiten. Pinker zitiert dazu eine Studie der Psychologen Boaz Keysar, Samuel Glucksberg und ihrer Kollegen von der Princeton University. Darin ließen die Forscher ihre Probanden eine kurze Geschichte lesen:

»Ich habe das Gefühl, dass diese Beziehung in den letzten Zügen liegt. Wie sollen wir eine starke Ehe führen, wenn du weiterhin andere Frauen bewunderst?«, sagte Lisa. »Deine Eifersucht ist das Problem«, sagte Tom.

Die Forscher vermuteten, dass Leser nach der konzeptuellen Krankheitsmetapher »in ihren letzten Zügen« den Satz »Diese Krankheit hat dich infiziert« schneller verarbeiten würden als nach einer Geschichte, die mit den Worten »Liebe ist eine Herausforderung« beginnt. Das war jedoch nicht der Fall. Stattdessen schienen die Probanden von der Phrase »Diese Krankheit hat dich infiziert« überrascht und brauchten entsprechend länger, um sie zu lesen. Anders sah es hingegen aus, wenn die Krankheitsmetapher auf ungewöhnliche Art vorgestellt wurde, wie in diesem Anfang der Geschichte:

»Ich glaube, dass sich unsere Beziehung einer Nulllinie nähert. Wie sollen wir ihr ein Medikament geben, wenn du immer wieder andere Frauen bewunderst?«, sagte Lisa. »Deine Eifersucht ist das Problem«, sagte Tom.

In diesem Fall lasen die Probanden den Satz »Diese Krankheit hat dich infiziert« im Anschluss deutlich schneller. Die Autoren interpretieren das Ergebnis so, dass sprachliche Frames vor allem dann eine Wirkung haben, wenn sie neu und überraschend sind.

Die Wirkung des Framing kann extrem individuell ausfallen

Diese Beobachtung ist mittlerweile mehrfach repliziert, unter anderem auch für politische Framings. Wehlings Behauptung, wiederholtes strategisches Framing beeinflusse auf Dauer die Urteile der Zuhörer, steht etwa die Studie einer internationalen Forschergruppe um Marc Helbling vom WZB in Berlin entgegen. Die Autoren konnten darin zeigen, dass Schweizer Wähler auf Framing in der Regel damit reagieren, dass sie ihre eigene politische Position nur noch stärker vertreten als zuvor – und zwar unabhängig davon, ob das Framing ihre eigene Position unterstützt hat oder nicht.

Dass die Wirkung des Framing darüber hinaus auch extrem individuell ausfallen kann, zeigt eine Studie aus dem Jahr 2006. Benedetto De Martino und seine Kollegen vom University College London untersuchten die Hirnaktivität ihrer Teilnehmer, während diese Risikoentscheidungen trafen. Die Aufgaben entsprachen dabei den klassischen Experimenten von Kahneman und Tversky. Die Ergebnisse zeigten, dass die Probanden im Hirnscanner verschieden stark durch das Framing beeinflusst wurden – und zwar abhängig davon, wie stark ihr präfrontaler Kortex arbeitete, der unter anderem an der Handlungsplanung beteiligt ist. Die Autoren schließen daraus, dass Menschen dem Framing-Effekt nicht schutzlos ausgeliefert sind, sofern sie darüber nachdenken, was ihnen präsentiert wird.

Elisabeth Wehling hat also Recht, wenn sie der Führungsriege der ARD berichtet, dass Framing eine Wirkung auf den Zuhörer, Zuschauer oder Leser haben kann. Framing-Effekte verschiedener Art sind seit Langem belegt. Doch über die Stärke, Richtung und Grenzen dieser Wirkung hat sie ihre Auftraggeber, ob bewusst oder unbewusst, in die Irre geführt. So ist das Framing-Handbuch wohl selbst mehr ein Werbe-Framing für Frau Wehlings Berkeley International Framing Institute als eine ausgewogene Darstellung der verfügbaren Erkenntnisse – das Institut hat übrigens zu der Universität in Berkeley keine Verbindung.

»Frau Wehling und Lakoff tun so, als würde sich durch das Framing die Welt ändern«, sagt Christian Schemer. »Das suggerieren manche Autoren. Es ist aber Quatsch und dient wahrscheinlich der Eigenwerbung und Verkaufszwecken.« Mit Framing könne man als Organisation zwar am eigenen Image feilen, doch auch nur dann, wenn der Frame erkennbar zur Wirklichkeit passt, so Schemer. »Die Leute merken das sonst.«

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