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Resistente Bakterien: Wie MRSA & Co besiegt werden können

Im Kampf gegen resistente Bakterien läuft der Medizin die Zeit davon. Doch das Blatt beginnt sich zu wenden: Neue Wirkstoffe und neue Ideen sollen die Killerkeime stoppen.
Bakterien

»Leben verhindert Leben«, notierte Louis Pasteur, einer der Gründerväter der Mikrobiologie, im Jahr 1877. Er beschrieb damit, dass manche Bakterienarten sich gegenseitig am Wachstum hindern. Heute basieren drei Viertel aller Antibiotika auf dieser Einsicht – auf Naturstoffen, die entweder aus Bakterien oder Pilzen stammen. Diese Wirkstoffe revolutionierten die Medizin so weit, dass Infektionskrankheiten nahezu als besiegt galten. Doch das war voreilig. Immer mehr Bakterien werden gegen die Wirkstoffe unempfindlich.

Heute dauert es nach der Zulassung durchschnittlich nur zwei Jahre, bis die ersten Resistenzen auftreten. Solche Antibiotikaresistenzen sind eines der größten Probleme der modernen Medizin; das liegt auch daran, dass der Nachschub lange versiegt ist. In der goldenen Ära der Antibiotikaforschung vor 1962 fand man 20 verschiedene Antibiotikaklassen, in den fünf Jahrzehnten danach nur noch zwei. Dass die Forschung jetzt wieder fast bei null anfangen muss, hat mehrere Ursachen.

Zum einen war die Fachwelt lange davon überzeugt, genügend Antibiotika in den Händen zu halten, und wendete sich anderen biomedizinischen Themen zu. Außerdem sind die leicht zugänglichen und dabei wenig giftigen Wirkstoffe vermutlich alle schon gefunden. Als absehbar wurde, dass neue Wirkstoffe dringend gebraucht werden, nahmen die Fachleute die Suche zwar wieder auf – allerdings stellte sie sich schnell als viel schwieriger heraus als zunächst angenommen.

Ein teurer Fehlschlag

Anfang der 1990er Jahre starteten mehrere größere Pharmaunternehmen Programme mit dem heutzutage klassischen Ansatz der Medikamentenentwicklung: Sie untersuchten das Erbgut der Bakterien und identifizierten 150 bis 300 mögliche neue Angriffspunkte – Moleküle, die im Lebenszyklus der Keime eine wesentliche Rolle spielen. In großen Sammlungen künstlich hergestellter Substanzen suchten sie nach Hemmstoffen für diese Zielmoleküle und scheiterten spektakulär. Bis heute wurde kein neuer Wirkstoff aus dieser Suche zugelassen – ein teurer Fehlschlag, der dazu führte, dass sich viele große Firmen aus der Fahndung nach neuen Antibiotika wieder zurückzogen.

Heute besinnt man sich wieder der 130 Jahre alten Einsicht von Louis Pasteur und fahndet in der Welt der Mikroorganismen nach hilfreichen Molekülen. Dabei helfen neue Techniken: Lange Zeit krankte die Suche nach Naturstoffen daran, dass unter Laborbedingungen nur etwa ein Prozent der in der Umgebung vorhandenen Keime wachsen und somit nur wenige interessante Substanzen untersucht werden konnten. Dies änderte sich im Jahr 2010, als die zwei Mikrobiologen Slava Epstein und Kim Lewis von der Northeastern University in Boston ein spektakuläres neues Verfahren entwickelten – einen Chip mit kleinen Poren, in denen sich die Bakterien ansammeln und diese so in ihrer natürlichen Umgebung vermehrt werden können. Sie kultivieren damit statt einem Prozent jetzt bis zu 50 Prozent der in der Umgebung vorkommenden Keime, deren freigesetzte Wirkstoffe auf ihre antibakterielle Wirkung untersucht werden können – bis heute um die 10 000 neue Moleküle.

Der erste viel versprechende Kandidat kam 2015 von der gleichen Forschergruppe: Teixobactin, ein Antibiotikum mit völlig neuem Wirkprofil, isoliert aus dem Bodenbakterium Eleftheria terrae. Teixobactin bindet gleich an mehrere verschiedene Vorläufermoleküle der Zellwand grampositiver Bakterien, zerstört so die Zellwand und verhindert den Wiederaufbau – die Bakterien platzen. Da Teixobactin mehrere Zielstrukturen zugleich angreift, vermuten die Forscher, dass es deutlich länger dauern wird, bis Resistenzen gegen diesen neuen Wirkstoff auftreten. Teixobactin wirkt gegen eine Vielzahl verschiedener grampositiver Bakterienfamilien, darunter auch die gefährlichen multiresistenten Stämme von Staphylococcus aureus (MRSA) und Mycobacterium tuberculosis – ein Erreger, der Tuberkulose auslöst und durch viele Antibiotikaresistenzen zunehmend schwierig zu behandeln ist.

Eine weitere neue Wirkstoffklasse aus Bodenbakterien wurde dieses Jahr dann ebenfalls durch die neue Chip-Technologie an der Rockefeller University in New York von Sean Bradys Forschungsgruppe entdeckt, die Malacidine. Die Forscher untersuchten systematisch mehr als 2000 Bodenproben aus verschiedenen Regionen der USA und entdeckten dabei die zwei Malacidin-Klassen A und B, die in Anwesenheit von Kalzium an ein Vorläufermolekül der bakteriellen Zellwand binden und somit den Zellwandaufbau verhindern, ähnlich wie Teixobactin. Die Malacidine wirken daher auch gegen die verschiedensten grampositive Erreger, die gefürchteten multiresistenten S.aureus-Stämme (MRSA) mit eingeschlossen.

Alte Wirkstoffe neu entdeckt

Während einige Fachleute die Natur vom Meeresgrund bis zum Permafrost nach neuen Molekülen durchforsten, sind andere zuversichtlich, dass aus den alten Antibiotika noch etwas rauszuholen ist. Ihre Arbeitsgruppen optimieren zusätzlich chemisch die altbewährten Wirkstoffe, um schon vorhandene Resistenzen zu umgehen oder ihre antibakterielle Wirkung auf neue Bakterienfamilien zu erweitern.

So stellte ein Team um Christopher Heise vom Pharmaunternehmen Genentech das Molekül G0755 vor, ein neues Antibiotikum gegen gramnegative Bakterien. Der Wirkstoff stammt von den Arylomycinen ab, die bisher nur gegen die einfacher zu behandelnden grampositiven Bakterien wirkten und wurde in fünf Jahren Arbeit systematisch chemisch weiteroptimiert. Die Substanz wirkt nicht nur deutlich effektiver gegen die schon vorher damit behandelbaren Erreger, sondern tötet zusätzlich die beiden hochgefährlichen »high priority«-Keime Pseudomonas aeruginosa und Acinetobacter baumannii ab – und ist somit die erste neue Antibiotikaklasse gegen gramnegative Bakterien seit 50 Jahren, betonen die Autoren.

Die beiden Erreger führen die 2017 von der Weltgesundheitsorganisation veröffentlichten Prioritätenliste der gefährlichsten multiresistenten Krankenhauskeime an. Die zusätzliche Zellwand gramnegativer Bakterien blockt die meisten Wirkstoffe direkt ab, nahezu alle anderen verfügbaren Wirkstoffe versagen hier inzwischen. Bisher steht kein einziges neues Medikament vor der Zulassung oder ist auch nur in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium, der Bedarf nach neuen Antibiotika gegen diese Keime ist besonders prekär.

Die systematische chemische Optimierung schon bekannter Wirkstoffe ist nicht nur in diesem Fall eine sehr erfolgreiche Strategie – nahezu alle neu zugelassenen Medikamente seit 1962 wurden auf diesem Weg entwickelt. Auch heute noch können diese chemisch veränderten Varianten dringend benötigte Zeit verschaffen, allerdings ist die Methode limitiert – ein Molekül kann nicht unendlich verändert werden, und nicht alle Wirkstoffe lassen sich gleich gut modifizieren. Neue Antibiotikaklassen zu finden, ist zwar aufwändig und teuer, aber ohne sie geht es nicht.

Politischer Rückenwind für die Industrie

Ob die jüngst neu entdeckten Wirkstoffe Malacidin A und B, Teixobactin und G0775 halten, was sie versprechen, ist allerdings alles andere als sicher. Ihre wirkliche Bewährungsprobe kommt erst noch: die präklinischen und klinischen Studienphasen. Nur etwa zehn Prozent der Wirkstoffe, die in den präklinischen Studien starten, erweisen sich später als wirksam und unbedenklich genug, um tatsächlich als Medikament zugelassen zu werden. Der Weg eines neuen Medikamentes vom Reagenzglas bis zur Zulassung ist ein sehr teurer und langwieriger Prozess: Im Schnitt vergehen 13,5 Jahre und kostet die Unternehmen bis zu 1,6 Milliarden US Dollar.

Diese enorm hohen Kosten haben ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen, dass sich die Pharmaindustrie aus der Suche nach Antibiotika zurückgezogen hat. Antibiotika werden zwar sehr häufig verschrieben, aber meist nur für einige Tage vom Patienten benötigt – dadurch lässt sich mit ihnen weniger Geld verdienen. Um die großen Unternehmen wieder zurück ins Boot zu holen, diskutieren Fachleute zusätzliche finanzielle Anreize, wie zum Beispiel einen besonderen Patentschutz oder höhere Preise für neue Wirkstoffklassen.

Auch auf politischer Ebene widmen sich inzwischen Staaten und internationale Organisation dem Problem der Antibiotikaresistenzen: Unter anderem haben die G20-Staaten in einem internationalen Zusammenschluss der führenden Industrienationen gegen Antibiotikaresistenzen (Global AMR R&D Hub) zugesagt, die Wirkstoffforschung finanziell zu unterstützen, sich für eine Einführung einer Verschreibungspflicht für Antibiotika in möglichst allen Ländern einzusetzen und den Zugang zu bezahlbaren Arzneimitteln in ärmeren Staaten auszubauen, um den kontrollierten Einsatz der Antibiotika zu ermöglichen.

Bisher handelt es sich dabei um eine reine Absichtserklärung, und auch die Suche nach neuen Antibiotika steht trotz moderner Technologien und neuer Ansätze erst am Anfang. Nicht zuletzt ist es bisher nur teilweise gelungen, den übermäßigen Gebrauch von Antibiotika in Human- und Tiermedizin einzuschränken – eine wesentliche Ursache der Krise. Doch im September 2018 forderte die US-Seuchenschutzbehörde CDC, Industrie und Staaten zu einem Jahr der Verpflichtung gegen Antibiotikaresistenzen auf. Das Thema wird auch bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen 2019 Priorität haben; so gibt es immerhin Hoffnung, dass sich eine andere Einsicht von Louis Pasteur, notiert im Jahr 1870, bewahrheitet: »Der Wille öffnet die Türen zum Erfolg.«

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