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Ökologie: Wie reagiert die Natur im Klimawandel?

Können Pflanzen und Tiere an Land überhaupt mit dem Klimawandel mithalten, der ja bereits in vollem Gang ist? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Kapitel im zweiten Teil des fünften Klimaberichtes des Weltklimarates IPCC, das am 31. März 2014 im japanischen Yokohama veröffentlicht wird. Ein europäischer Schmetterling belegt, wie komplex die Zusammenhänge sind.
Thymian-Ameisenbläuling

"Wie kannst Du Wahnsinniger das machen?" Seit Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle für eines der zentralen Kapitel im zweiten Teil des neuen Weltklimaberichtes die Fäden koordiniert, hat er solche Fragen von seinen Forscherkollegen mehr als einmal gehört. Immerhin: Wenn am 31. März 2014 im japanischen Yokohama die 153 Manuskriptseiten zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur des Festlandes veröffentlicht sind, findet dieser Wahnsinn erst einmal ein Ende. Seit 2011 hat der Agrarbiologe und Insektenforscher gemeinsam mit Robert John Scholes von der südafrikanischen Forschungsorganisation CSIR in Pretoria, sowie 33 weiteren Autoren aus aller Welt wissenschaftliche Studien zu diesem Thema ausgewertet, von denen jede Woche einige Dutzend erscheinen. Inzwischen ist der Stand der Forschung in einem langen Text zusammengefasst. Einige tausend Kommentare von Regierungen, Wissenschaftlern und engagierten Bürgern wurden gesichtet, bewertet und viele davon mit eingearbeitet. Insgesamt vier große Runden hat der Text durchlaufen, bis er fertig war.

Das Endergebnis dieser Sisyphosarbeit zeigt ein äußerst kompliziertes Bild von vielen Faktoren, die in der Natur ineinandergreifen: Das Klima und dessen Wandel ist zwar nur einer von vielen Einflüssen, oft spielt es aber eine sehr große Rolle. Ein gutes Beispiel für die komplizierten Zusammenhänge liefert der Thymian-Ameisenbläuling (Maculinea arion). Dieser blauschwarze, große Falter mit einer Spannweite von rund vier Zentimetern flattert auf den Schafweiden der Schwäbischen Alb zu einer Thymianblüte, um dort ein Ei zu legen. Blüte und Samen reichen der geschlüpften Raupe für ihre ersten drei Lebenswochen, dann lässt sie sich von der Pflanze auf den Boden fallen. Inzwischen produziert sie einen Körperduft, der täuschend echt dem Geruch der Brut der Knotenameise Myrmica sabuleti ähnelt. Kommt eines dieser Insekten vorbei, schleppt es den vermeintlich verloren gegangenen Nachwuchs seiner Kolonie in den Bau. Dort entpuppt sich die Raupe als eine Art Kuckucksei und verspeist munter die Ameisenbrut. Nach einem Winter und seiner Verpuppung schlüpft dann ein neuer Bläuling, verlässt die geplünderte Ameisenkolonie und beginnt einen neuen Zyklus.

Chaos im eingespielten Gefüge

Der Thymian-Ameisenbläuling hängt also unmittelbar von völlig anderen Arten ab, ohne die er nicht leben kann: Wachsen weder Thymian noch Oregano, überstehen die Raupen bereits ihre ersten drei Wochen nicht, da sie in dieser Zeit nur von diesen Arten fressen. Und krabbeln keine Wirtsameisen durchs Gras, schaffen es die Raupen nicht in den richtigen Ameisenbau: Sie werden zwar von anderen Sechsbeinern mitgenommen, können in deren Nestern aber nicht überleben. Die Verhältnisse sind zudem noch viel komplizierter, weil Pflanzen und Ameisen ebenfalls nur in einer bestimmten Umwelt leben. So haben Thymian und Oregano weder in der arktischen Tundra noch im dichten Wald eine Chance. Dort kann also der Thymian-Ameisenbläuling ebenfalls nicht leben.

Daneben können auch Kaninchen über das Auf und Ab der Falter entscheiden. Als in England vor Jahrzehnten die Kaninchenpest die Säugetiere dahinraffte, fehlte bald deren Hunger – und die Wiesen wucherten rasch zu, was dem sonnenhungrigen Thymian zu schaffen machte. Vor allem aber mochten die Ameisen das entstandene feuchtkühle Kleinklima nicht. 1979 war der Thymian-Ameisenbläuling auf den britischen Inseln ausgestorben.

Anpassen oder weichen?

Inzwischen ist die Art von den Toten wieder auferstanden. In anderen Regionen Europas hatte der Thymian-Ameisenbläuling überlebt, und britische Naturschützer überlegten, wie sie ihn zurückbringen könnten. Im Land selbst kann man die Thymianwiesen neu herstellen, wenn sie etwa durch Schafe beweidet werden. Auf diese Wiesen brachte man dann Thymian-Ameisenbläulinge aus dem Süden Schwedens, da dort ein ähnliches Klima wie in England herrscht. Die Wieder-Ansiedlung klappte, die Art fasste wieder Fuß, gilt aber in Großbritannien weiterhin als "vom Aussterben bedroht".

Lässt der Klimawandel die Temperaturen in England weiter steigen, käme das sowohl dem Thymian wie den Knotenameisen zugute, die beide das derzeitige feuchtkühle Klima weniger schätzen. Thymian-Ameisenbläulinge wären zumindest in nördlichen Regionen wie England und Schweden bei den Gewinnern der Erderwärmung. Ganz anders sieht die Situation dagegen in Südfrankreich aus. Dort treibt die Aufheizung die Temperaturen in Bereiche, in denen es die Wirtsameisen nicht mehr in ihrem Bau aushalten – gleichbedeutend mit dem Ende des Ameisenbläulings. Es sei denn, die Wiesen mit dieser Art werden nur noch selten gemäht oder weniger intensiv beweidet, denn dann beschattet das höhere Gras Boden und Ameisenbau und kühlt ihn.

Dem Thymian-Ameisenbläuling können also die Bauern und Hirten unter die Flügel greifen. Das Beispiel zeigt außerdem, wie viele Einflussfaktoren die Forscher berücksichtigen müssen, wenn sie die Folgen des Klimawandels auf die Natur abschätzen möchten. Im Gegensatz zu den Auswirkungen in der Atmosphäre, die auf vergleichsweise einfachen physikalischen Grundlagen basiert, unterliegen Pflanzen und Tiere weitaus mehr Wechselwirkungen, die sich nicht so einfach modellieren lassen: Wie flexibel sind die Arten? Welche Temperaturspektren können sie aushalten? Können sie nur in einem kleinen Temperaturfenster existieren? Mit diesen Fragen müssen sich die Klimaökologen auseinander setzen.

Der Schmetterlings deutet diese Komplexität an: Vernichtet der Klimawandel womöglich Lebensräume in Südfrankreich, verbessern sich die Chance gleichzeitig weiter im Norden. Entsprechende Wanderfähigkeiten vorausgesetzt, könnte das zumindest Schmetterlingen, aber auch Vögeln und Säugetieren einigermaßen gelingen, weil sie sich relativ flott fortbewegen können. Das untermauert zum Beispiel auch der Bienenfresser (Merops apiaster) : Dieser auffallend bunte Vogel schätzt größere Insekten als Beute, die ihrerseits umso häufiger sind, je wärmer das Klima ist. Lange jagten die Bienenfresser daher vor allem im Süden und Südosten Europas. Seit die Temperaturen aber steigen, finden die Vögel auch in Deutschland wieder genügend große Insekten. Besonders in den Wärmeinseln der Republik wie dem Donautal, dem Kaiserstuhl im Rheingraben und den aufgelassenen Tagebaugebieten in Sachsen-Anhalt sind die flinken Flieger inzwischen zuhause, nachdem sie zeitweise ausgestorben waren.

Thymian-Ameisenbläuling | Dieser Schmetterling ist ein gute Beispiel dafür, wie schwierig Auswirkungen des Klimawandels auf einzelne Arten zu erfassen sind. Denn es müssen sehr viele Faktoren wie Landnutzung oder Zusammenhänge mit ökologischen Partnern berücksichtigt werden.

Ein weiterer Klimagewinner ist der Segelfalter, der zwischen Frankreich und dem Westen Chinas in vielen Regionen außerhalb der Tropen und des kühleren Nordens gern über sonnige und trockene Hänge segelt. Solche Lebensräume sind vielerorts selten, die Falter gelten oft als "gefährdet". Der Klimawandel aber könnte das vor allem an der Nordgrenze des Vorkommens wie in Sachsen ändern. Wenn die Sommer wie vermutet wärmer und trockener werden, dürften die wenigen noch vorhandenen Segelfalter kräftigen Aufwind bekommen.

Die Verlierer

Die ohnehin gebeutelten Auerhühner Mitteleuropas könnte der Klimawandel dagegen aushungern. Ernähren sich diese imposanten Vögel im Sommer doch fast ausschließlich von Blaubeeren und deren Blättern, im Wintern knabbern sie an den Nadeln von Fichten und Kiefern. Genau diesen Gewächsen aber könnte es in Mitteleuropa durch den Klimawandel zu warm werden. Genau wie die letzten Auerhühner haben dann auch die verwandten Birkhühner schlechte Karten, die sich ähnlich ernähren. Und wenn der Klimawandel in einer anderen Region Nadelbäume und Heidelbeeren wachsen lässt, bringt das den Vögeln wenig. Da diese Hühnervögel nicht gerade zu den größten Flugkünstlern gehören, werden sie weiter entfernte Gebiete kaum erreichen. Wenn der Klimawandel in Island also Wald und reichlich Heidelbeeren wachsen lässt, wird das den Auerhühnern im Schwarzwald wenig nützen, weil sie den weiten Flug über den Nordatlantik nicht schaffen.

Aber auch sehr mobile Arten bringt der Klimawandel in Schwierigkeiten, wenn ökologische Partner die Reise nicht mitmachen – im Fall des Thymian-Ameisenbläulings etwa der Thymian oder Knotenameise. Oder es wächst dort mangels Kaninchen oder Schafen keine Wiese, sondern dichter und kühler Wald, in dem sich weder Thymian noch Knotenameise wohl fühlen. Ganze Biotope verlagern sich auf Grund der unterschiedlichen Wanderungsgeschwindigkeiten deutlich langsamer.

Je komplizierter ein System ist, umso größer scheint das Risiko, dass sich nicht alle Komponenten synchron ändern und sich weiter im Norden wieder richtig zusammensetzen. Aber selbst wenn man am gleichen Ort bleibt, kann immer noch einiges schiefgehen. So lässt der Klimawandel viele Gewächse in Mitteleuropa früher blühen, oft sind die Osterglocken am gleichnamigen Fest schon längst wieder abgeblüht und Maiglöckchen sollten eher den "April" im Namen tragen. Auf den ersten Blick scheint das eine positive Entwicklung, weil die Natur so länger Zeit zum Wachsen hat. Schmetterlinge aber können bei dieser Entwicklung leicht in Schwierigkeiten geraten, wenn ihre Winterpause von Tageslichtlängen gesteuert wird. Selbst wenn es noch so mild wird und viele Pflanzen einige Wochen früher blühen, die Tageslängen ändern sich nicht. Die Schmetterlinge könnten also zur gleichen Zeit wie bisher aus der Winterpause erwachen – genau dann, wenn die Pflanzen schon längst abgeblüht sind. Dann suchen die Falter eventuell vergeblich nach Pflanzen, von deren Nektar sie sich ernähren können.

Josef Settele hat sich gemeinsam mit einer ganzen Reihe von Kollegen 2012 einen Überblick geschafft, ob Vögel und Schmetterlinge in Europa mit dem Klimawandel Schritt halten können. Allein von 1990 bis 2008 verschoben sich die Bereiche mit der gleichen Temperatur um rund 250 Kilometer nach Norden. In derselben Zeit verlegten die Schmetterlinge ihre Gebiete um durchschnittlich 114 Kilometer nach Norden und auch die Vögel schafften immerhin 37 Kilometer auf diesem Weg. Damit aber hinkten die Schmetterlinge in nicht einmal zwei Jahrzehnten satte 135 Kilometer hinter der Verschiebung ihrer Lebensräume Richtung Norden her, Vögel lagen sogar 212 Kilometer zurück.

Rechnen die Forscher solche Zahlen auf die Lebensräume der fernen Zukunft um, erhalten sie erschreckende Zahlen: In Europa würden 230 von 294 untersuchten Schmetterlingsarten mehr als die Hälfte ihrer Lebensräume verlieren, sollten die Temperaturen bis 2080 um 4,1 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen. Im günstigsten Fall rechnen Klimaforscher bis dahin mit 2,4 Grad Celsius höheren Temperaturen, auch dann wäre immer noch knapp die Hälfte aller Schmetterlingsarten betroffen. Ähnlich sieht die Situation bei anderen Insekten aus, die immerhin zwei Drittel aller Tierarten stellen. Damit dürfte die Landwirtschaft Probleme bekommen. Viele dieser Insekten bestäuben Nutzpflanzen und bringen so jedes Jahr weltweit eine Wirtschaftsleistung bis zu 300 Milliarden Euro, ein Teil davon könnte dem Klimawandel zum Opfer fallen.

Dabei sieht es für die Natur in Europa noch vergleichsweise gut aus, weil hierzulande stärkere Klimaschwankungen in den letzten Jahrmillionen immer wieder vorgekommen sind. das zeigt sich zum Beispiel rund um den Bodensee, wo wärmeliebende Arten eingewandert sind, typische Vertreter nördlicher Regionen aber auch weiterhin vorkommen. Insgesamt ist die Artenzahl daher vor Ort gestiegen, und die veränderte Landwirtschaft macht der Natur viel stärker zu schaffen.

Ganz erscheint die Situation dagegen in den Tropen. Mangels größerer Schwankungen konnten sich die Arten dort nie an solche Umschwünge anpassen. "Dort ist die Grundvariabilität im Durchschnitt niedriger", erklärt Josef Settele. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Arten in den wärmeren Regionen also größere Schwierigkeiten mit dem Klimawandel als die europäischen Arten bekommen. Die Zeit wird aber erst zeigen, ob es tatsächlich so kommt.

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