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Influenza A/H3N2: Wie schlimm wird die Grippewelle?

In Australien verursachte der Influenza-Subtyp H3N2 die schlimmste Epidemie seit Jahren. Nun kommt die "Australische Grippe" nach Deutschland.
Ein Mann im Bademantel liegt im Bett und schneuzt sich in ein Taschentuch.

Schon die Zahlen aus Australien ließen nichts Gutes ahnen. Als die Grippesaison der Südhalbkugel im September endete, verzeichnete der Inselkontinent nahezu 170 000 Grippefälle, doppelt so viele wie im Jahr davor. In den USA schlägt die saisonale Seuche derzeit ebenfalls hart zu – bedingt durch einen frühen Start der Grippewelle trugen Reisende während der Feiertage das Virus durchs ganze Land. In Großbritannien warnen die Medien vor "Aussie Flu", der "Australischen Grippe", durch die das Gesundheitssystem nun endgültig zusammenbrechen werde.

Gerade beginnt die Grippesaison auch in Deutschland, und die Zeichen stehen auf Sturm. Der Erreger vom Subtyp Influenza A/H3N2, der in den USA und Australien die meisten Krankheitsfälle verursachte, ist der unangenehmste unter den saisonalen Grippestämmen. Historische Daten zeigen, dass in Jahren mit hohem H3N2-Anteil im Durchschnitt fast dreimal so viele Menschen an Influenza und ihren Folgen sterben wie in normalen Jahren, vor allem ältere Menschen über 65 Jahre.

Ältere sind besonders gefährdet

Weshalb H3N2 speziell für diese Altersgruppe besonders gefährlich ist, erklärt Silke Buda vom Robert Koch-Institut damit, dass das Virus noch jung ist. "H3N2 begann erst 1968 unter Menschen zu zirkulieren. Menschen, die deutlich früher geboren sind, konnten in ihrer Jugend und Kindheit keine so breite Immunantwort gegen diesen Virentyp aufbauen, sondern hatten ihren Erstkontakt eher mit einem H1N1-Stamm." Solche älteren Menschen hätten ohnehin ein höheres Risiko, an Grippe zu erkranken, weil ihr Immunsystem nicht optimal reagieren kann ist und weil sie mehr Vorerkrankungen haben, erklärt die Infektionsepidemiologin. Deswegen gebe es in dieser Altersklasse mehr schwere Erkrankungen und auch mehr Todesfälle bei Grippewellen, in denen H3N2 dominiert.

Ein weiteres für H3N2 typisches Problem ist, dass die Impfung bei diesem Subtyp einen deutlich geringeren Schutz bietet als bei anderen Grippeviren. Die Grippeimpfung enthält gewöhnlich drei Impfstämme: ein H1N1-Virus, Influenza B und H3N2. Selbst gegen die ersten beiden Virentypen bietet die Impfung nur zu 40 bis 60 Prozent Schutz; erste Analysen zeigen jedoch, dass während der Epidemie in Australien lediglich 5 bis 19 Prozent der Geimpften vor H3N2 geschützt waren. Letztes Jahr berechnete eine Arbeitsgruppe in Europa bei den über 65-Jährigen eine Effektivität von 17 Prozent, und in der Saison 2013/2014, der letzten H3N2-Saison davor, waren nach Angaben der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention nur ein Viertel der Geimpften geschützt.

"Ein Grund ist sicherlich, dass die H3N2-Viren sich schneller verändern als zum Beispiel Influenza B oder der H1N1-Subtyp", sagt Silke Buda. "Zwischen der Empfehlung der WHO für die Impfstoffzusammensetzung und der tatsächlichen Grippewelle liegt fast ein Jahr, und so kann es vorkommen, dass die Viren nicht mehr zu der vorgeschlagenen Impfstoffkomponente passen."

Wie wirksam ist die Grippeimpfung wirklich?

Man bezeichnet dieses Phänomen als "antigenic mismatch", und es ist ein grundsätzliches Problem der bisherigen Grippeimpfung. In jeder Saison kursieren im Windschatten der hauptsächlichen Übeltäter auch andere Grippeviren, und selbst innerhalb eines Subtyps ist die Vielfalt groß genug, dass auch eine gut wirkende Impfung nicht alle Varianten erfasst.

Einen zweiten Mangel sehen Fachleute im Produktionsprozess der Impfstoffe. Die allermeisten Impfstoffe basieren auf in Hühnereiern gezüchteten Virenstämmen. Dabei passt sich der Erreger an die Vermehrung in den Hühnerzellen an – besonders das Hämagglutinin verändert sich, jenes Molekül, mit dem das Virus an seine Wirtszellen bindet.

Das zeigte sich in der Saison 2016/2017, als einem in Eiern gezüchteten Impfvirus durch so eine Mutation eine entscheidende Zuckerstruktur verloren ging – der Impfstoff erwies sich als wenig effektiv. Man vermutet: H3N2-Impfviren sind besonders anfällig für diese Form von Veränderung, so dass die Impfung auch dieses Jahr vergleichsweise wenig Schutz vor H3N2 bietet. Trotz dieser Probleme empfiehlt das Robert Koch-Institut, sich immunisieren zu lassen. Eine Impfung mache auch jetzt noch Sinn, da wir erst am Beginn der Grippewelle stehen.

Kommt die Australische Grippe – oder doch nicht?

Zusätzlich täuschen die deprimierenden Zahlen über die H3N2-Impfung ein wenig. Da sehr viele Menschen von einer Grippewelle betroffen sind, verhindert selbst ein ineffektiver Impfstoff womöglich zehntausende Erkrankungen. Tatsächlich sinkt das individuelle Risiko, an Grippe zu erkranken, um mehr als die Hälfte, wie 2010 eine Arbeitsgruppe der Cochrane Collaboration berechnete. Eine normal effektive Vakzine reduziere das Risiko sogar um nahezu drei Viertel.

Außerdem ist keineswegs gesagt, dass H3N2 dieses Jahr in Deutschland zuschlägt – es spricht sogar manches dagegen. Zwar grassierte der Erreger bereits in Australien und den USA recht heftig, doch die Situation in Deutschland ist etwas anders, erläutert Silke Buda. "Wir haben die typische H3N2-Welle mit vielen erkrankten älteren Menschen bereits letzte Saison erlebt, und das war ja auch eine schwere Saison. Weil 2016/2017 eine sehr heftige Grippewelle war, gibt es möglicherweise schon eine stärkere vorbestehende Immunität in der Bevölkerung."

In den USA und Australien sei die vorherige Grippewelle dagegen bei Weitem nicht so schwer verlaufen. Diese unterschiedlichen Muster zeigen sich auch in der Verteilung der bisher nachgewiesenen Erregerstämme: Während H3N2 in den USA flächendeckend grassiert, dominiert in Deutschland derzeit Influenza B zusammen mit H1N1, schreibt das Robert Koch-Institut. Die Australische Grippe, das gefürchtete H3N2, sei bisher nur vereinzelt aufgetaucht.

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