Proteine: Wie sich Erbsen gegen Feinde wappnen
Pflanzensamen müssen einiges aushalten: kein Wasser, kein Licht – und überall lauern Fressfeinde. Damit sie dennoch auskeimen und das Weiterleben der Pflanze sichern, sind sie mit allerhand Raffinessen ausgestattet. Eine davon hat ein Team um den Biochemiker Anton Nizhnikov von der Staatlichen Universität in Sankt Petersburg nun durchschaut. Erbsen enthalten demnach ganz besondere Eiweißstrukturen, die Fachleute als Fibrillen bezeichnen, berichten sie in der Fachzeitschrift »PLOS Biology«. Sie dienen der Erbse offenbar als gut verschlossene Vorratskammern: Denn sie sind extrem stabil gegenüber den Verdauungsenzymen ihrer Fressfeinde und entsprechend wenig attraktiv für diese. Die Erbse selbst hingegen kann sie bei der Keimung mit Hilfe passender Enzyme wieder zerlegen und nutzen.
Dass Pflanzen in ihren Samen Proteine bevorraten, die den neuen Trieben als Quelle für Aminosäuren dient, war bereits bekannt. Dass die Speicherproteine der Gartenerbse (Pisum sativum) selbst aggressiven Chemikalien standhalten, konnte sich das Team um Nizhnikov zunächst nicht erklären. Darum extrahierte es die stabilen Eiweißkomplexe aus den Pflanzensamen und bestimmte deren Zusammensetzung. Ein Protein mit dem Namen Vicilin kam darin besonders häufig vor. Als die Forscher dieses genauer untersuchten, stellten sie fest, dass es faserartige Strukturen, so genannte Fibrillen ausbildet. Diese sind hauptsächlich für ihre Beteiligung an Krankheiten bekannt – zum Beispiel bei der Alzheimerdemenz oder bei Morbus Parkinson. Hier lagern sich bestimmte Proteinfibrillen im Gehirn der Patienten ab und schädigen Nervenzellen.
Für die Erbse scheinen die Vicilin-Fibrillen aber äußerst hilfreich zu sein. Wie die Forscher feststellten, machen sie die Proteinspeicher der Pflanze unempfindlich gegen Verdauungsenzyme, die üblicherweise in unserem Magen-Darm-Trakt vorkommen. Auch in Dosenerbsen namhafter Hersteller fanden die Proteinforscher die stabilen Aggregate, sie halten also industriellen Konservierungsprozessen stand.
Zudem waren sie giftig für Hefezellen – ein Hinweis darauf, dass die Proteine auch zur Abwehr von Schädlingen wie Pilzen dienen könnten. Auf menschliche Zellkulturen wirkten die Fibrillen ebenfalls leicht toxisch. Die Konzentrationen, die sich in Dosen- oder frischen Erbsen finden, seien aber um ein Vielfaches geringer und deshalb unbedenklich, schreiben die Forscher. Weil sie so schwer verdaulich sind, könnten sie allerdings für Allergien gegen Hülsenfrüchte verantwortlich sein. Diesen Verdacht hegten bereits andere Forscher – sie wussten aber noch nicht, dass das Protein Fibrillen ausbildet. Um allergische Reaktionen auf die Aggregate zu vermeiden, empfehlen Nizhnikov und Kollegen nun, Erbsen- und andere Pflanzensamen vor dem Verzehr auskeimen zu lassen. Dann, so beobachteten sie, sinkt die Konzentration der Fibrillen nämlich. Der junge Spross baut sie offenbar ab und zehrt davon.
Die Entdeckung zeige, dass die Funktion von Fibrillen als Lagerungsform für Proteine möglicherweise verbreiteter ist als bislang angenommen, sagt Rüdiger Groß vom Universitätsklinikum Ulm. Der Biochemiker forscht ebenfalls an Proteinen, die Fibrillen ausbilden. Meist werden aggregierte Proteine mit Krankheiten in Verbindung gebracht. Dass die enorme Stabilität der Strukturen nicht nur Schäden anrichtet, sondern sich auch als Aminosäurespeicher und Schutz gegen Fressfeinde nutzen lasse, sei einleuchtend, sagt Groß. »Diese Studie liefert einen ersten konkreten Beweis, dass dieser Mechanismus von Pflanzen tatsächlich eingesetzt wird.« Bei Menschen sind ähnliche Phänomene für die Speicherung von Hormonen oder dem Farbpigment Melanin bekannt. Zu verstehen, wie die Pflanze die Fibrillen bei der Sprossung wieder abbaut, könne Bedeutung über die Pflanzenbiologie hinaus haben.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.