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News: Wiederholtes Erfolgsrezept

Achtung giftig, warnt das farbenfrohe Aussehen einiger Pfeilgiftfrösche. Irgendwann in der Vergangenheit hatte wohl einer ihrer Vorfahren auf diese Strategie gesetzt, um sich der Fressfeinde zu erwehren, und die erfolgreiche Methode weiter vererbt. Oder gab es die Idee im Laufe der Evolution mehrmals?
Sie sind bunt, und sie sind tagaktiv – eine gefährliche Kombination, mit der man leichte Beute für Räuber werden kann, von denen es wahrlich genug gibt in den Regenwäldern Mittel- und Südamerikas. Doch nur wenige vergreifen sich an den hüpfenden und kletternden Farbklecksen mit den kleinen, kohlrabenschwarzen Augen – und wenn doch, dann ist das erste mitunter auch das letzte Ma(h)l: Manche Vertreter der Pfeilgiftfrösche oder Dendrobatidae sind ausgesprochen giftig. So giftig, dass die über die Haut abgesonderten Substanzen sogar von Einheimischen zur Jagd eingesetzt werden.

Doch nicht alle Familienangehörige neigen zu lebhafter Tracht, manche bevorzugen ein eher unauffälliges Auftreten in Brauntönen, teilweise etwas belebt durch weiße oder dunkle Streifen oder andere Muster. Sie sind – soweit dazu überhaupt Untersuchungen vorliegen – in der Regel nicht giftig. Ein Blick auf den Speiseplan könnte verdeutlichen, warum: Während die gedeckteren Vertreter sich alles mögliche in passender Größe einverleiben, zeigen sich die auffälligen Varianten wählerisch – sie bevorzugen Ameisen, Termiten oder Milben. Diese Beute ist zwar kleiner und damit wenig ergiebig, liefert den Tieren aber wahrscheinlich die Grundausrüstung für ihre chemische Abwehr.

Grelle Farbe und Spezialdiät mit weitreichenden Folgen für den Stoffwechsel, das bedeutet einiges an Umstellungen und Aufwand für den Organismus. Dementsprechend ist es höchst wahrscheinlich, dass die Merkmalskombination nur einmal im Laufe der Evolution entstand, um dann als Erfolgsrezept in dem Abstammungsast weitergegeben zu werden. Frühere Untersuchungen zu den Verwandtschaftsverhältnissen der Pfeilgiftfrösche hatten diese These unterstützt und so die ganze Familie in zwei Gruppen eingeteilt, die sich schon früh getrennt hatten: die bunten Vertreter mit Hautgift und die unauffälligen ohne chemische Abwehr.

Juan Carlos Santos von der University of Texas in Austin und seine Kollegen sehen das allerdings ganz anders. Die Wissenschaftler sequenzierten umfassende Bereiche des Genoms von 38 Arten der Pfeilgiftfrösche und erstellten daraus einen Stammbaum. Anstelle einer sauberen Trennung in auffällige und gut getarnte Abstammungslinien weit unten am Stamm erhielten sie dabei eine bunte Mischung: Die grell gefärbten, giftigen Vertreter fanden sich querbeet im gesamten Stammbaum wieder.

Damit aber kann die Farbextravaganz samt Spezialdiät und Hautgift nicht nur einmal entstanden sein, sondern muss sich in verschiedenen Abstammungslinien mehrmals unabhängig voneinander entwickelt haben. Die Forscher testeten mehrere Alternativen, und die wahrscheinlichste besagt, dass die chemisch-bunte Abwehr mindestens vier-, eher aber fünfmal aufs Neue erfunden wurde. Und das nicht etwa gleichzeitig, sondern im Laufe der Zeit hintereinander.

Nur – was kam zuerst? Die Farbe? Das Gift? Der abgespeckte Menüplan? Santos und seine Kollegen vermuten, dass die toxischen Substanzen den Anstoß für die anderen charakteristischen Merkmale gaben. Einige Beispiele unterstützen diese These: So zeigen zwei Arten trotz kryptischer Färbung zwar nicht die giftigen Alkaloide der bekannten, bunten Verwandten. Dafür aber besitzt die eine Tetrodotoxin, ein wasserlösliches Gift, das sonst in der Gruppe bisher nicht nachgewiesen wurde, während die andere einen unangenehmen Mercaptan-ähnlichen Geruch verströmt – zwei Abwehrmechanismen, die wohl ebenfalls unabhängig voneinander entstanden sind.

Darüber hinaus finden sich unter den Ton-in-Ton-Vertretern einige, die offenbar den ersten Schritt aus der Mauerblümchenecke wagen und auffälligere Muster und Zeichnungen tragen. Gleichzeitig sind sie auch nicht mehr ganz harmlos, sondern können Räubern mit einem noch eingeschränkten Reservoir an Alkaloiden womöglich schon den Magen verderben. Vielleicht sind sie gerade in einem Zwischenstadium auf dem Weg zur grellbunt-giftigen Variante, vermuten die Forscher. Doch seien die bisherigen Daten zu mager, sodass dieser Schluss noch auf tönernen Füßen steht.

Warum bisherige Analysen auf ein einmaliges Entstehen der bunten Abschreckungstracht hindeuteten, erklären die Wissenschaftler mit einer ganz einfachen Beobachtung: Die früheren Studien hätten nur die bunten Vertreter berücksichtigt, nicht aber die unauffällige Verwandtschaft. Erst der umfassende Blick konnte daher die verblüffenden fünf Einzelereignisse auflösen. Eines aber, das geben Santos und seine Mitarbeiter noch zu bedenken, muss wirklich an der Basis von allen gestanden haben – die Fähigkeit, aus der Nahrung Toxine für den Eigenbedarf zu gewinnen. Nur manche aber haben diese Möglichkeit genutzt, um so am Tag und kunterbunt durch den Regenwald hüpfen zu können.

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