Überraschender Fund: Wiener Forscher finden Wiener Alligator im Wiener Museum

Manchmal hält auch die Auswertung längst bekannter Museumsbestände eine Überraschung bereit. Diese Erfahrung machte jetzt Ursula Göhlich, die Wirbeltierpaläontologin des Naturhistorischen Museums Wien. Bei der Untersuchung von Material, das im 19. Jahrhundert in der österreichischen Bundeshauptstadt ausgegraben worden war, stieß sie auf ein falsch katalogisiertes Fossil: Es handelte sich keineswegs um ein Stück von einem Schildkrötenpanzer, sondern um die Hautplatte eines Alligators.
Das berichtet das Museum in einer Pressemitteilung. Das Besondere: Mit einem Alter von 12,2 Millionen Jahren stammt die Platte aus einer Zeit, in der nach bisheriger Fachmeinung längst keine Krokodile mehr in der Gegend gelebt haben dürften.
Für eine Studie in »Historical Biology« verglich das Team das Wiener Fossil mit einer umfangreichen Sammlung fossiler Krokodile aus der Steiermark. »Die steirischen Alligatoren sind fast vier Millionen Jahre älter als das Wiener Reptil und gehörten zu einer anderen Art. Die Hautschuppen zeigen aber, dass beide eng miteinander verwandt sind«, erläutert Göhlichs Kollege Gross vom Universalmuseum Joanneum Graz in der Pressemitteilung.
Die Blütezeit europäischer Alligatoren sei vor 13,6 Millionen Jahren allmählich geendet, wohl auf Grund einer globalen Abkühlung. Mit seinem Alter von 12,2 Millionen Jahren belegt der Alligator aus dem Museum, dass die Tiere jedoch noch rund eine Million Jahre länger in der Gegend existierten als vermutet. Schließlich aber verhinderte ein nicht nur kühleres, sondern auch zu trockenes Klima, dass sie weiterhin ein geeignetes Ökosystem vorfanden.
In den Jahrmillionen davor hatten sie dagegen ein erträgliches Auskommen in und um das heutige Wien: Quer durch das Stadtgebiet zog sich einst eine Küste, der ein fischreiches, von Robben und Delfinen bevölkertes Flachmeer vorgelagert war. Beim Abbau von Ton in Hernals, dem heutigen 17. Bezirk, seien vor allem im 19. Jahrhundert immer wieder Knochen dieser Tiere aufgetaucht, erläutern die Wissenschaftler. Diese Fossilien lagern heute als Sammlungsbestand im Museum.
Der kleine, etwa zwei Meter lange Alligator der Gattung Diplocynodon lebte aber nicht im Meer, sondern in dessen Hinterland. In den dortigen Sümpfen und Flusslandschaften erbeuteten die Süßwasserbewohner wahrscheinlich Fische, Vögel, Schildkröten und kleinere Säugetiere. Das Tier, dessen Schuppen nun entdeckt wurden, dürfte als Kadaver über einen Fluss ins Meer getrieben sein. Dort sank das Tier zu Boden – und wurde zwölf Millionen Jahre später zum letzten bekannten Krokodil in Mitteleuropa.
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