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Wikinger: Warum die Nordmänner Grönland aufgeben mussten

Jahrhundertelang siedelten Nordmänner trotz harscher Bedingungen in Grönland. Am Ende des Mittelalters mussten sie aufgeben, schuld war aber wohl nicht die Kälte.
Reste einer Siedlung in Hvalsey, Südgrönland

Es ist ein ungelöstes Rätsel, warum der Süden Grönlands im frühen Mittelalter von Nordmännern erst erfolgreich besiedelt, nach ein paar Jahrhunderten dann aber ziemlich plötzlich verlassen wurde. Theorien über die Gründe für die Aufgabe der Siedlungen im frühen 15. Jahrhundert gibt es einige: Nahe liegt etwa, dass die weltweite Abkühlung in der Kleinen Eiszeit das Leben auf Grönland schleichend unerträglich gemacht hat. Dazu kam möglicherweise ein nicht nachhaltiger Umgang mit Ressourcen auf Grund wachsender globaler Konkurrenz. Eine neue Analyse rückt nun wieder das Klima als Hauptursache in den Fokus – allerdings war es auf Grönland wohl nicht auf Dauer zu kalt für die Besiedlung, sondern vor allem deutlich zu trocken.

Zu diesem Schluss kommt ein Forscherteam um Raymond Bradley von der Amherst University im Fachmagazin »Science Advances«. Die Forscher hatten als erstes Team vor Ort im alten Siedlungsraum Daten gesammelt, um das dortige Mikroklima im Mittelalter zu rekonstruieren. Frühere Studien hatten historische Klimarekonstruktionen anhand von Eisbohrkernen durchgeführt, die fast 1000 Kilometer weiter nördlich in größerer Höhe aus dem grönländischen Eis geholt wurden. Im Süden Grönlands herrschten auch im 15. Jahrhundert jedoch andere Bedingungen, wie die neuen Untersuchungen zeigen.

Bradleys Team nahm über drei Jahre hinweg Proben aus »Lake 578«, einem See, der in unmittelbarer Nähe zu einer der größten verlassenen Ansiedlungen der Nordmänner im Südosten Grönlands liegt. Aus den Eisbohrkernen rekonstruierte es die Wetterveränderungen über zwei Jahrtausende hinweg. Temperaturveränderungen verraten sich Forschenden über so genannte GDGTs, bestimmte verzweigte Lipidmoleküle, die von Bakterien und Archaeen produziert werden und im Jahr für Jahr angefrorenen Eis der Bohrkerne enthalten sind. Die Verzweigungsstruktur dieser Moleküle ist abhängig von der Umgebungstemperatur, in der die Bakterien gelebt haben. Zudem konnten die Forscher die Veränderung der Luftfeuchtigkeit über die Zeit ermitteln; dazu diente als Marker ein bestimmtes wachsartiges Molekül, das Pflanzen in mehr oder weniger großen Mengen auf ihren Blattoberflächen ausbringen, um sich stärker oder weniger stark vor Austrocknung zu schützen.

Wie die Analyse zeigt, ist es in der Kleinen Eiszeit im Süden Grönlands nicht unerträglich kalt gewesen. Zwar wuchsen die Eiszungen der Gletscher vor Ort: Nach Berechnungen der Arbeitsgruppe legte etwa der Kangiata Nunaata Sermia Jahr für Jahr bis zu 115 Meter an Eis zu und näherte sich rasch den Siedlungen der Grönländer. Das dürfte diese jedoch nicht sonderlich gestört haben. Vermutlich kalbte die rasch wachsende Gletscherzunge sogar weniger Eisberge ins Meer, was den Menschen vor Ort den Zugang zum Meer erleichtert haben kann.

Auffällig war allerdings: Während die Durchschnittstemperatur über die gesamte Siedlungsdauer der Nordmänner von 985 n. d. Z. bis ins 15. Jahrhundert nahezu gleich blieb, nahm die Trockenheit immer weiter zu. Das muss schwere Folgen vor allem im Winter gehabt haben: Die Nordmänner waren darauf angewiesen, ihr Vieh mit eingelagertem Futter bis ins Frühjahr am Leben zu halten. Wahrscheinlich konnte aber unter den trockenen Bedingungen schlicht nicht mehr genug angebaut werden, spekulieren die Autorinnen und Autoren der Studie. Den Siedlern war das Problem offenbar bewusst: Am Ende der Siedlungsphase hatten sie begonnen, Bewässerungsrillen für Felder zu graben – eine letztlich unzureichende Gegenmaßnahme. Außerdem mussten sie zunehmend auf andere Nahrungsquellen wie Fisch und Meeresfrüchte zurückgreifen.

In den östlichen Siedlungen hatten zur Hochzeit der Grönlandbesiedlung bis zu 2000 Menschen gelebt. Weitere Ansiedlungen gab es im Westen der Insel. Diese wurden noch früher aufgegeben: Ein norwegischer Priester hatte dort schon 1350 keinen lebenden »Grænlendingar« mehr angetroffen.

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