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Die großen Fragen der Wissenschaft: Hat der Mensch einen freien Willen, Michael Pauen?

Handeln wir frei und selbstbestimmt – oder sind wir nur Marionetten unseres Gehirns? Die Antwort hat Konsequenzen für unser Selbstbild, die Rechtsprechung und unseren Umgang mit KI. Ein Gespräch mit dem Neurophilosophen Michael Pauen.
Eine hölzerne Marionette, die an Fäden aufgehängt ist, vor einem hellblauen Hintergrund. Die Marionette hebt einen Arm, während der andere Arm nach unten zeigt. Die Szene vermittelt den Eindruck von Bewegung und Kontrolle.
Was macht uns zu autonom handelnden Wesen? Diese Frage wird in der Philosophie seit Jahrhunderten kontrovers diskutiert.

Im Podcast »Die großen Fragen der Wissenschaft« gehen wir den größten Rätseln des Universums auf den Grund. Dieses Interview ist eine gekürzte und angepasste Fassung der Folge »Hat der Mensch einen freien Willen, Michael Pauen?«.

Herr Pauen, seit mehr als 2000 Jahren beschäftigen sich Philosophen mit der Willensfreiheit. Ist es da nicht lästig, wenn sich heute Neurowissenschaftler und Forschende anderer Disziplinen einmischen?

Nein, für die Philosophie ist es extrem wichtig, sich auszutauschen und auch mit anderen Fachrichtungen ins Gespräch zu kommen. Ernstzunehmende Philosophen haben das schon immer gemacht. René Descartes etwa ist in die Schlachthäuser gegangen und hat sich Augen von Ochsen genommen, um anatomische Erkenntnisse zu gewinnen. Immanuel Kant hat sich intensiv mit Astrophysik auseinandergesetzt. Natürlich gibt es einige Heroen der Philosophie, die versucht haben, auch ohne empirische Wissenschaft auszukommen. Aber bei vielen Fragen ist das nicht sinnvoll.

Michael Pauen | ist Professor für Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität und arbeitet seit mehr als 25 Jahren im Grenzgebiet von Philosophie, Hirnforschung und Psychologie. Im Jahr 2006 gründete er gemeinsam mit anderen Forscherinnen und Forschern die Berlin School of Mind and Brain.

Wie hat sich die Neurophilosophie seit der Jahrtausendwende entwickelt?

Sie ist zunehmend institutionalisiert worden. Es entstanden Studiengänge, die sich an der Schnittstelle von Philosophie und Neurowissenschaften bewegen. Das hing auch damit zusammen, dass die Hirnforschung auf einmal im Mainstream angekommen war: Neurowissenschaftler sollten plötzlich zu allem Möglichen Auskunft geben – bis hin zu Fragen der Erziehung in Kindergärten. Das war schon etwas überzogen. Aber die Kooperation von Philosophie und Neurowissenschaften war dringend nötig. Denn in der Philosophie gibt es immer die verhängnisvolle Neigung, fehlende fachliche Expertise durch eigene Intuition zu ersetzen.

Wie arbeiten Philosophen und Neurowissenschaftler zusammen, wenn es um die Frage nach dem freien Willen geht?

Philosophie ist auf begriffliche Schärfe spezialisiert. Wenn Sie als Hirnforscher den ganzen Tag im Labor stehen, steht das natürlich nicht im Fokus. Philosophen helfen zu klären, was wir überhaupt meinen, wenn wir von Freiheit sprechen. Was sind gerechtfertigte Kriterien von Freiheit? Die kann man nicht aus Experimenten ableiten.

»Urheberschaft schließt Zufall aus, Autonomie schließt Fremdbestimmung aus«

Und was sind die Kriterien von Freiheit?

Frei zu sein, heißt zum einen, dass eine Person selbstbestimmt handeln kann. Wir nennen das Autonomie: Es gibt niemanden, der die handelnde Person unter Druck setzt oder zwingt, etwas zu tun. Das andere Kriterium ist Urheberschaft: Die Handlung, die wir einer Person zuschreiben, muss von ihr selbst ausgehen. Urheberschaft schließt Zufall aus, Autonomie schließt Fremdbestimmung aus. Diese beiden Kriterien resultieren in Selbstbestimmung.

Podcast-Tipp »Die großen Fragen der Wissenschaft«

Was ist Zeit? Woher kommt das Leben? Wie ist das Universum entstanden? Im Podcast »Die großen Fragen der Wissenschaft« laden die Spektrum-Redakteure Katharina Menne und Carsten Könneker ein zu faszinierenden Reisen an die Grenzen unseres Wissens – von Quantenphysik bis Neurowissenschaft, von Meeresforschung bis Kosmologie. Sie fragen, was Forscherinnen und Forscher über die Welt, die Naturgesetze und das Leben wissen, wie sie arbeiten und was sie motiviert.

Wie unterscheiden Sie Willensfreiheit von genereller Freiheit? Kann ich frei sein, aber keinen freien Willen haben, oder kann ich einen freien Willen haben, aber dennoch nicht frei sein?

Freiheit ist zunächst eine Eigenschaft von Handlungen. Nehmen wir als Beispiel meine Entscheidung, bei diesem Interview mitzuwirken: Eine Voraussetzung dafür, dass ich freiwillig hier bin, ist, dass das nicht einfach zufällig passiert ist. Nehmen wir nur einmal kurz an, ich wäre unter einer Straßenlaterne durchgegangen, die nicht richtig funktioniert, und irgendwie hätte ein Elektronengewitter der Lampe bestimmte Nervenzellen in meinem Kopf so stimuliert, dass ich daraufhin zugesagt habe. Das wäre Zufall, aber Zufall schließt Verantwortung aus. Dieser Umstand wird noch viel wichtiger, wenn es um Fragen der Schuld geht. Sollte ein Verteidiger nachweisen, dass es an einer zufälligen neuronalen Entladung im Gehirn seines Mandanten lag, dass dieser den Abzug der Pistole betätigt hat, dann ist der Angeklagte schnell aus dem Schneider. Dann können wir ihn nicht verantwortlich machen für seine Tat.

Welche Vorteile hat dieses Konzept von Freiheit?

Es ist nicht nur begrifflich plausibel, Freiheit so zu verstehen, sondern auch sozialphilosophisch gerechtfertigt. Es ist für eine Gesellschaft nämlich nur dann sinnvoll, eine Person für eine Normverletzung zu bestrafen, wenn diese der autonome Urheber der Handlung war. Eine Strafe, die nicht den wirklichen Urheber einer Normverletzung trifft, verfehlt ihre Wirkung – schon allein weil der wahre Täter straffrei ausginge. Dies bestätigt die bereits genannten Kriterien: Autonomie und Urheberschaft.

Anfang der 2000er Jahre entbrannte in Deutschland eine breite öffentliche Debatte über die Willensfreiheit – angeregt durch Experimente des US-amerikanischen Physiologen Benjamin Libet, die dieser bereits mehr als 20 Jahre zuvor durchgeführt hatte. Worum ging es da?

Libet hatte ein Experiment entwickelt, mit dem er ursprünglich zeigen wollte, dass es so etwas wie Willensfreiheit gibt. Seiner Meinung nach setzt das voraus, dass bestimmten Prozessen im Gehirn eine bewusste Entscheidung vorausgeht, und darauf würde dann die tatsächliche Handlung folgen. Die konkrete Handlung, die er für sein Experiment wählte, war eine einfache Handbewegung, die Versuchspersonen zu frei gewählten Zeitpunkten ausführen sollten. Seit Mitte der 1960er Jahre wussten Forscher bereits, dass einer solchen willentlichen Handlung ein sogenanntes Bereitschaftspotenzial im Gehirn vorausgeht. Das ist eine im EEG sichtbare Aktivität in den prämotorischen Arealen des Gehirns, die etwa 500 Millisekunden vor einer Handlung entsteht. Libet erwartete nun, dass das Bereitschaftspotenzial und damit die Initiierung der Handlung durch das Gehirn erst einsetzt, nachdem die Person sich entschieden hat, diese Handlung zu vollziehen, also zum Beispiel ihre Hand zu bewegen. In Libets Experiment kam aber heraus, dass das Gehirn zuerst die Handlung einleitet und die Versuchsperson erst danach ihre willentliche Entscheidung äußert.

Noch einmal der Übersicht halber: Es gibt also drei Ereignisse, die in Libets Versuchen betrachtet wurden: der Moment, in dem eine Versuchsperson entscheidet, dass sie ihre Hand bewegen will; die Bewegung der Hand, die auch ein Beobachter sehen kann; und das Bereitschaftspotenzial im Gehirn, das der Handbewegung vorausgeht. Und im Experiment ging es um die zeitliche Abfolge dieser drei Ereignisse?

Genau. Libet erwartete, dass die Hirnaktivität erst nach der willentlichen Entscheidung auftritt. Das Experiment schien aber zu zeigen, dass es umgekehrt ist: Erst kommt die Hirnaktivität, dann trifft die Person die Entscheidung, und dann bewegt sie ihre Hand. Das ist dann so interpretiert worden, dass eine Entscheidung in Wirklichkeit nicht frei ist, sondern längst unbewusst durch das Gehirn getroffen wurde.

Elektrodenkappe | Mit der Methode der Elektroenzephalografie (EEG) lässt sich die elektrische Aktivität des Gehirns messen und grafisch darstellen. Das Verfahren wird verwendet, um kognitive Prozesse zu verstehen oder direkt mit dem Gehirn zu interagieren. (Symbolbild)

Wie kam es dazu, dass dieses Experiment mit einem Zeitverzug von mehr als zwei Jahrzehnten wieder aufgegriffen und sogar öffentlich diskutiert wurde?

Das hatte mehrere Gründe. Einer war das erwachte Interesse an den Neurowissenschaften zu Beginn der 2000er Jahre. Ein zweiter war, dass dieses Experiment bis dahin in Deutschland noch recht unbekannt war. Es wurde dann von manchen so eingeführt, als wäre damit endgültig bewiesen worden, dass es keine Willensfreiheit gibt. Als dann noch gesagt wurde, dass wir in der Konsequenz Strafen durch Mitleid ersetzen müssten, erregte das viel Aufsehen.

Der deutsch-britische Hirnforscher John-Dylan Haynes hat die Libet-Experimente in den späten 2000er Jahren noch einmal wiederholt. Was kam dabei heraus?

Eines der Probleme der Libet-Experimente bestand darin, dass der Handlung, also der Bewegung der Hand, keine echte Entscheidung vorausging. Die Versuchspersonen konnten lediglich den Zeitpunkt bestimmen, wann sie ihre Hand bewegten, und diese Bewegung sollten sie innerhalb einer bestimmten Zeitspanne x-mal wiederholen. Aber wenn Sie schon wissen, dass Sie eine vorgegebene Bewegung x-mal durchführen sollen, ist es fraglich, ob Sie bei jeder einzelnen Bewegung wirklich eine Entscheidung treffen. John-Dylan Haynes hat seinen Versuchspersonen daher stattdessen vorgegeben, dass sie zwei einstellige Zahlen entweder addieren oder subtrahieren sollen. Und dann hat er im Hirnscanner geguckt, welche Areale jeweils aktiv sind. Dabei interessierte ihn auch, ab welchem Punkt man voraussagen konnte, was die Versuchsperson machen wird: addieren oder subtrahieren.

Haynes konnte also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit voraussagen, ob seine Probanden sich dafür entscheiden würden, zwei gegebene Zahlen entweder zu addieren oder zu subtrahieren?

Genau. Das ist aus methodischer Sicht sehr wichtig und interessant. Er konnte sechs bis acht Sekunden vorher voraussagen, was die Probanden tun würden. Aber das heißt nicht, dass unsere Entscheidung sechs oder acht Sekunden, bevor wir uns entscheiden, schon feststeht. Da würde man zumindest in Berlin niemals lebend über eine Straße kommen.

Sondern? Was heißt es dann?

Es heißt, dass im Labor, in dem sich ansonsten nichts ändert, schon früh vorausgesagt werden kann, was die Person tun wird. Es heißt aber nicht, dass die Person in dieser Zeit nicht mehr auf neue Informationen reagieren kann.

»Die Naturgesetze bestimmen nicht, was wir machen, sondern beschreiben nur, was so oder so passiert«

Es gibt sehr verschiedene Arten von Entscheidungen: Ob ich jemanden heirate oder ein Haus kaufe, ist etwas völlig anderes als die Frage, ob ich einen gemeldeten Stau spontan zu umfahren versuche. Ist das ein Problem?

Das ist einer der Kritikpunkte an den Libet-Experimenten: In dem Versuch ging es für die Probanden um überhaupt nichts, sie drückten nur zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einen Knopf. Wann, war vollkommen egal, es hatte keine Konsequenzen. Bei Willensentscheidungen, die verantwortungsrelevant sind, geht es aber immer um etwas. Sie übertreten zum Beispiel irgendeine Norm oder machen etwas Verdienstvolles. Das heißt, Sie haben bestimmte Aspekte, die Sie bei Ihrer Entscheidung berücksichtigen.

Lassen Sie uns einmal kartieren: Was sind in der Frage der Willensfreiheit die wichtigsten Positionen, die im Lauf der Jahrhunderte entwickelt wurden?

Zunächst einmal: Das Problem der Willensfreiheit war zu unterschiedlichen Zeiten aus sehr unterschiedlichen Gründen relevant. Anfang des 5. Jahrhunderts beispielsweise spielte es für Augustinus eine herausragende Rolle bei der Frage, ob Gott für das Elend in der Welt verantwortlich ist. Augustinus sagte: Nein, die Menschen sind selbst dafür verantwortlich, weil sie einen freien Willen haben. Die erste wichtige Unterscheidung beim Kartieren ist in jedem Fall die zwischen Kompatibilismus und Inkompatibilismus. Kompatibilisten sagen, dass freier Wille und Determinismus miteinander vereinbar sind. Mit Determinismus ist gemeint, dass die Ereignisse in unserer Welt durch die Naturgesetze eindeutig festgelegt sind.

Wie passt das zusammen?

Kompatibilisten sind der Meinung, dass Willensfreiheit darin besteht, Handlungen ohne äußeren Zwang und entsprechend den eigenen Wünschen und Überzeugungen ausführen zu können – selbst wenn diese vorher festgelegt sind. Inkompatibilisten hingegen haben zwei Optionen: Sie können sagen, dass wir einen freien Willen haben, weil unsere Welt nicht determiniert ist; das ist der weiche Determinismus. Oder sie sagen, dass wir nicht frei sind, weil unsere Welt determiniert ist; das nennen wir den harten Determinismus. Und dann gibt es noch den Impossibilismus, der sich in den letzten Jahren stärker herausgebildet hat. Seine Anhänger sagen: Willensfreiheit ist sowohl mit dem Determinismus als auch dem Indeterminismus unvereinbar. Es gibt also keine Freiheit.

»Bei Willensentscheidungen, die verantwortungsrelevant sind, geht es immer um etwas«

Und Ihre eigene Position?

Ich glaube, dass Freiheit mit Determination vereinbar ist. Ob wir frei sind oder nicht, hängt davon ab, ob wir selbst einen Einfluss haben. Die Naturgesetze bestimmen nicht, was wir machen, sondern beschreiben nur, was so oder so passiert. 

Haben wir nun einen freien Willen, oder ist das, was wir dafür halten, nur eine nützliche Illusion, die uns hilft, im Leben zurechtzukommen?

Philosophen können nur die Kriterien dafür festlegen, welche Anforderungen eine Handlung erfüllen muss, damit wir sie als frei und verantwortlich bezeichnen können: Autonomie und Urheberschaft. Die Frage, ob es solche Handlungen gibt, ist aber eine empirische Frage, die die Neurowissenschaftler beantworten müssen. Wenn die Libet-Experimente so zu interpretieren wären, wie man sie ursprünglich interpretiert hat – dass Handlungen von unbewussten Prozessen abhängig sind, die irgendwo im Gehirn ausgelöst werden –, dann würde mir der Kompatibilismus überhaupt nicht helfen. Denn dann wären wir de facto ja nicht zu selbstbestimmten Handlungen imstande. Ich halte das aber für extrem unwahrscheinlich, denn dann wären sämtliche Formen von rationalen Entscheidungen letztlich unmöglich.

»Willensfreiheit ist eine zentrale Frage in der Rechtsprechung«

Wie wichtig ist das Konzept der Willensfreiheit für die Rechtsprechung?

Willensfreiheit ist eine zentrale Frage in der Rechtsprechung. Es gibt explizite Paragrafen und Gerichtsentscheidungen dazu, welche Kriterien gelten, um in Strafgerichtsprozessen von verminderter oder überhaupt nicht bestehender Schuldfähigkeit sprechen zu können. Ein besonders eklatanter Fall sind antisoziale Persönlichkeitsstörungen. Weil ihnen die Empathiefähigkeit fehlt, können diese Leute furchtbare Verbrechen begehen. Und weil die Verbrechen oft so schlimm sind, werden sie in der Regel schwer bestraft – obwohl man ihnen die Verantwortung für ihre Taten nach philosophischen Maßstäben nur begrenzt zuschreiben kann. Das ist ein großes Dilemma, weil man solche Täter natürlich nicht frei herumlaufen lassen kann. Eine systematische Lösung für dieses Problem wird wahrscheinlich erst dann möglich sein, wenn es Therapieansätze gibt.

Wie steht es mit der Willensfreiheit in der digitalen Welt? In vielen Bereichen werden uns Entscheidungen von Algorithmen vorgebahnt oder fast schon abgenommen. Ist das ein schleichender Rückbau unserer Entscheidungsfähigkeit?

Ich finde das furchtbar. Doch Tatsache ist, dass das auch bei mir funktioniert. Wenn Sie nach irgendeiner Sache im Internet geguckt haben, das Produkt aber nicht kaufen, wird Ihnen das anschließend ständig wieder gezeigt. So lange, bis Sie es dann schließlich doch kaufen. Das ist eine Einschränkung von Freiheit – keine dramatische, aber eine unangenehme.

Müssen wir uns auf eine Zukunft vorbereiten, in der wir uns fragen, ob künstliche Intelligenz einen freien Willen hat?

Ich glaube, die heutigen KI-Systeme sind noch sehr weit entfernt von Fähigkeiten, die etwas mit einem Willen zu tun haben. Zum Beispiel fehlt ihnen ein Belohnungssystem oder auch die Motivation, etwas aus freien Stücken zu tun. Insofern können wir da noch lange nicht von einer freien oder verantwortbaren Handlung sprechen.

Wer trägt die Verantwortung dafür, wenn eine KI Schäden oder Leid verursacht?

Für mich tragen die Leute, die die KI-Systeme konstruiert haben, sie betreiben oder möglicherweise auch beide die Verantwortung für negative Konsequenzen. Aber nicht die Maschinen, die diese Entscheidung treffen. Wenn es eines Tages völlig neuartige Systeme gäbe, die über neue Fähigkeiten verfügen, dann könnte sich eine solche Frage jedoch stellen.

Muss uns die Philosophie darauf vorbereiten?

Ja.

Wie machen Sie das?

Das beschäftigt mich intensiv. Zuletzt ging es oft um die Frage, ob wir Systemen wie ChatGPT ein Sprachverständnis zuschreiben können. Darauf eine eindeutige Antwort zu geben, ist praktisch unmöglich, weil unser Begriff von Bedeutungsverstehen nicht klar definiert ist. Es geht dabei noch gar nicht um den kognitiven Prozess des Verstehens, sondern einfach nur darum, wie eigentlich Bedeutung von Sprache entsteht. Da herrscht Chaos. Die Aufsätze, die es zu dem Thema gibt, verwenden völlig unterschiedliche Begriffe oder Kriterien von Bedeutung.

»Wir haben keinen Intelligenzbegriff, der sich von Menschen auf Maschinen übertragen ließe«

Hier ist also die Philosophie gefordert?

Ja. Die Verantwortung der Philosophie besteht meiner Meinung nach darin, Kriterienkataloge zu entwickeln, die es überhaupt erlauben, Maschinen bestimmte menschliche Fähigkeiten zuzuschreiben. Nehmen Sie sowas Einfaches wie Intelligenz. Wir haben keinen Intelligenzbegriff, der sich von Menschen auf Maschinen übertragen ließe. Es gibt einfach kein Maß dafür. Die Intelligenz-Messverfahren, die gut funktionieren, sind Verfahren zur Voraussage von Erfolg in der Schule. Und bei Themen wie Verantwortung oder Bewusstsein wird alles noch viel schlimmer. Hier brauchen wir Klarheit.

Es scheint so zu sein, als würden die Fortschritte in der KI uns dazu zwingen, mehr Tempo reinzubringen bei der Suche nach Antworten auf Fragen wie: Was ist Intelligenz? Was ist Willensfreiheit? Was ist Bewusstsein?

Das sehe ich ganz genauso.

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