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Genetik: Winziger Riese

Weit verbreitet und doch kaum bekannt: Trichomonas vaginalis, der Erreger der häufigen, aber wenig beachteten Trichomoniasis gibt sein Genom preis - und wartet mit Überraschungen auf.
<i>Trichomonas vaginalis</i> auf Vaginalzelle.
Wer kennt schon Trichomoniasis? Wohl kaum jemand – und doch verursacht Trichomonas vaginalis die am weitesten verbreitete, nicht virale, sexuell übertragene Krankheit: Schätzungsweise 170 Millionen Infektionen gibt es jedes Jahr weltweit.

Trichomonas vaginalis | Der begeißelte Einzeller Trichomonas vaginalis kann das Risiko erhöhen, sich mit HIV zu infizieren oder das Virus zu übertragen.
Beim Mann verursacht der begeißelte Einzeller oftmals überhaupt keine Symptome, und wenn, dann nur ein leichtes Brennen beim Wasserlassen. Bei der Frau jedoch ist die Infektion nicht ganz so harmlos: Weniger schwerwiegend sind das schmerzhafte Brennen der Scheide und der Ausfluss, problematisch ist aber, dass der Erreger die Gefahr erhöht, sich an HIV anzustecken oder das Virus auf den Partner zu übertragen. Bei schwangeren Frauen steigt bei einer Trichomonas-Infektion auch das Risiko für eine Frühgeburt, und die Kinder kommen häufig mit einem geringen Geburtsgewicht auf die Welt.

"Es ist erstaunlich, dass diese Krankheit nicht die Beachtung erhält, die sie verdient hätte"
(Jane Carlton)
"Es ist erstaunlich, dass diese Krankheit nicht die Beachtung erhält, die sie verdient hätte", meint Jane Carlton von der Universität New York. Die Wissenschaftlerin leitete am Institut für Genomforschung in Rockville ein Konsortium aus 66 Forschern aus zehn Ländern, das dem Einzeller nun seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmete und sein Genom entschlüsselte.

Trichomonas vaginalis auf Vaginalzelle | Der Parasit Trichomonas vaginalis (grün) flacht sich ab, wenn er eine Vaginalzelle (rosa) infiziert.
Als erstes hielt der kleine Parasit eine große Überraschung für die Forscher parat: Sein Erbgut ist unwahrscheinlich umfangreich. "Das Genom war viel, viel größer als wir erwartet hatte – tatsächlich war es zehnmal größer als vermutet", erläutert Carlton. 26 000 Gene konnten die Wissenschaftler bereits identifizieren, die Gesamtzahl schätzen sie aber auf rund 60 000 Erbfaktoren. Damit hat T. vaginalis eines der größten bekannten Genome – und mehr Gene als der Mensch.

"Das Genom war zehnmal größer als vermutet"
(Jane Carlton)
Allerdings sind rund zwei Drittel der Gene in vielfacher Ausfertigung vorhanden: Mehr als 65 Prozent des Erbguts bestehen aus repetitiven Genfamilien mit nahezu identischen Wiederholungen. Die Forscher vermuten, dass der Parasit seine genetische Ausstattung dermaßen vergrößerte, als er vom Magen-Darmtrakt in den Urogenitaltrakt umzog. Denn die Vergrößerung des Genoms würde auch die gesamte Zelle voluminöser machen – ein Vorteil bei der Besiedlung des besonderen neuen Lebensraumes.

T.-vaginalis-Logo | Als Teil des T.-vaginalis-Genomprojekts entwarfen die Wissenschaftler ein Logo, um das öffentliche Bewusstsein für die Trichomoniasis-Erkrankung zu wecken.
Infiziert der kugelige Einzeller die Vagina, so flacht er sich ab, reckt lange Fortsätze ins Gewebe und setzt zahlreiche Proteine frei, die dieses zerstören. 800 Gene stehen T. vaginalis zur Verfügung, um sich an die Zellen des Urogenitaltraktes anzuheften. 400 weitere reserviert sich der Parasit für sein so genanntes Degradom – eine Sammlung von Genen, die Protein abbauende Peptidasen herstellen lassen.

Die Energie für all seine Aktivitäten bezieht T. vaginalis nicht wie die meisten Eukaryonten aus Mitochondrien, sondern aus anderen, auf die Produktion von ATP – dem Universal-Energieträger der Zelle – spezialisierten Organellen, den Hydrogenosomen. Die Gene des Parasiten hielten eine weitere Überraschung bereit: Diese Hydrogenosome produzieren offenbar nicht nur Energie, sondern verstoffwechseln außerdem Aminosäuren.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Entschlüsselung der Gene dazu beitragen wird, die Diagnosemöglichkeiten dieser wenig beachteten Krankheit zu verbessern und neue Therapien zu entwickeln.

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