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Krebsmedizin: "Wir hemmen gezielt die Krankheitsursache"

Die Krebsforscherin Carola Ries hat mit ihrem Team eine neue Tumortherapie entwickelt. Im Interview mit spektrum.de beschreibt sie das Verfahren.
Blutproben im Labor

Carola Ries arbeitet als leitende Wissenschaftlerin im Forschungs- und Entwicklungszentrum des Roche-Konzerns in Penzberg (Oberbayern). Ihr Schwerpunkt ist die Krebsforschung. Gemeinsam mit Kollegen hat sie einen neuen Wirkstoff gegen Tumorerkrankungen entwickelt. Der Antikörper treibt bestimmte Immunzellen in den Tod, die sich im Tumorgewebe aufhalten, und schadet damit auch der Geschwulst selbst. Ries und ihr Team testen den Antikörper derzeit in einer klinischen Studie. Im Gespräch mit spektrum.de erklärt sie, wie er wirkt, gegen welche Erkrankungen er hilft – und was man daraus allgemein über Tumoren lernen kann.

Frau Ries, mit Ihrem neu entwickelten Antikörper behandeln Sie Patienten, die an einer sehr seltenen Tumorerkrankung leiden. An welcher?

Es handelt sich um den Tenosynovialen Riesenzelltumor, kurz TGCT. Er lässt sich gut lokalisieren, ist also klar vom umgebenden Gewebe abgrenzbar. Zeigt er ein diffuses Wachstum, dringt er also stärker ins umgebende Gewebe ein, wird er als Pigmentierte Villonoduläre Synovitis bezeichnet, abgekürzt PVNS. Für die Patienten bedeutet das letztlich immer das Gleiche, nämlich dass die Gelenke massiv eingeschränkt sind – denn dort entwickeln sich die Tumoren. Sind beispielsweise die Handgelenke befallen, können die Betroffenen nicht mehr schreiben und auch sonst ihre Hände kaum mehr benutzen. Das liegt an den starken Schmerzen, die diese Tumoren verursachen.

Carola Ries | Carola Ries ist leitende Wissenschaftlerin im Forschungs- und Entwicklungszentrum von Roche.

Tritt die Krankheit an allen Gelenken auf?

Bei den TGCT-Patienten sind vor allem die Handgelenke betroffen, bei den PVNS-Patienten häufig die Kniegelenke.

Wie verbreitet ist die Krankheit?

Auf eine Million Menschen kommen etwa ein bis zwei Erkrankungsfälle. Üblicherweise wird das Leiden operativ behandelt, was bei vielen Patienten zur Heilung führt. Bei einigen Betroffenen kehrt die Erkrankung aber immer wieder zurück, so dass wiederholte chirurgische Eingriffe nötig sind. Weil jede OP Schäden im Gelenk verursacht, bleibt nach einer gewissen Anzahl von Operationen nur noch die Amputation als letzte Behandlungsoption.

Warum forschen Sie ausgerechnet über diese Krankheit?

Der Antikörper, den wir entwickelt haben, unterbricht einen bestimmten Signalweg in Zellen, indem er die Wirkung des Wachstumsfaktors "Colony-stimulating factor 1", kurz CSF-1, unterbindet. Die PVNS ist eine der ganz wenigen Erkrankungen, bei der dieser Signalweg auf Grund einer genetischen Veränderung aus dem Ruder läuft. Die Mutation führt zu einer überschießenden Produktion von CSF-1, was – so glauben wir – die Krankheit antreibt. Wenn wir mit unserem Antikörper den CSF-1-Signalweg attackieren, hemmen wir also gezielt die Krankheitsursache. Das macht uns zuversichtlich, dass unser Therapieansatz tatsächlich funktionieren kann. In der Tat konnten wir an ersten behandelten Patienten bereits nachweisen, dass der Antikörper eine klinische Wirkung zeigt. Wir glauben, dass unsere Therapie auch gegen andere Tumoren helfen könnte, die über den CSF-1-Signalweg verfügen.

"Die Makrophagen werden von den entarteten Zellen umprogrammiert und entwickeln sich vom Freund zum Feind."

Was genau macht der Wachstumsfaktor CSF-1?

Er hält Makrophagen am Leben, das sind bestimmte Immunzellen. Es gibt zwar noch einen anderen Wachstumsfaktor, der das bewirkt, aber der wird normalerweise fast nur in der Lunge hergestellt. Die Makrophagen in den anderen Körpergeweben sind hauptsächlich auf CSF-1 angewiesen.

Inwiefern hat das mit der Tumorerkrankung zu tun?

Die Makrophagen können als fressende Immunzellen dem Tumorwachstum entgegenwirken. Allerdings werden sie während des Fortschreitens der Krankheit mehr und mehr von den entarteten Zellen umprogrammiert und entwickeln sich dabei vom Feind zum Freund. Der Tumor nutzt die Makrophagen aus, weil sie über besonders viele Funktionen verfügen, die ihn unterstützen können. Wenn etwa irgendwo in der Geschwulst ein Bereich nicht mehr genügend Sauerstoff erhält, dann bewegen sich die Makrophagen bevorzugt dorthin und schütten Signalsubstanzen aus, die neue Blutgefäße in das Gebiet einwachsen lassen. Sie helfen dem Tumor also, Anschluss ans Gefäßsystem zu finden, um ausreichend Sauerstoff und Nährstoffe zu bekommen ...

... was ihn besser wachsen lässt.

Richtig. Die Makrophagen tun aber noch mehr: Sie unterdrücken auch die Immunreaktion gegen den Tumor, indem sie den Stoffwechsel von weißen Blutkörperchen beeinflussen – was diese daran hindert, gegen die entarteten Zellen vorzugehen. Das lässt den Tumor weiterwachsen, obwohl Abwehrzellen zugegen sind, die ihn eigentlich bekämpfen könnten. Weiße Blutkörperchen brauchen ein paar essenzielle Aminosäuren wie Tryptophan. Die Makrophagen konsumieren diese, so dass nicht mehr genug für die weißen Blutkörperchen übrig bleibt, was letztlich zu deren Inaktivierung führt. Zudem können Makrophagen bei der Metastasenbildung eine Rolle spielen. In bestimmten Fällen unterstützen sie sogar Krebszellen dabei, sich aus dem Tumorgewebe zu lösen und ins Blutgefäßsystem überzutreten, um sich im Körper zu verbreiten.

Ihr Antikörper drängt die Makrophagen im Tumor zurück?

Genau. Er blockt deren Überlebensmechanismen, das heißt, er löst in den Makrophagen den programmierten Zelltod aus, die so genannte Apoptose. Im Laborexperiment können wir ganz gut zeigen, dass das funktioniert. Makrophagen lassen sich über verschiedene Proteine nachweisen; wenn wir Tumorpatienten mit unserem Antikörper behandeln, verschwinden diese Proteine zum größten Teil aus dem Tumorgewebe. Das ist ein starker Hinweis darauf, dass die Makrophagendichte dort erheblich verringert ist. Zudem gehen die Krankheitssymptome bei den PVNS-Patienten deutlich zurück und ihr Befinden bessert sich. Ähnliches sehen wir im Tiermodell, also in Versuchen an Mäusen. Allerdings ist es nicht leicht, den Antikörper in die Tumoren der Patienten hineinzubekommen.

Warum?

Weil das entartete Gewebe für medizinische Wirkstoffe schwer zugänglich ist – unter anderem wegen des hohen Drucks im Zwischenzellraum und der chaotischen Struktur der Tumorblutgefäße. Deshalb war es für uns so wichtig zu sehen, dass unser Antikörper im Tumor ankommt und dort die Makrophagendichte vermindert. Unsere Studie zeigt, dass es eine Dosis gibt, die für den Patienten noch sicher ist, bei der aber trotzdem genügend Antikörper im Tumor ankommt, um dort den CSF-1-Signalweg auszuschalten.

Mit Ihrem Therapieansatz bekämpfen Sie also Geschwulste, indem Sie indirekt die Immunabwehr gegen den Tumor verstärken und ihn darüber hinaus von der Blutzufuhr abschneiden.

Richtig. Ich möchte aber noch einmal betonen, dass die Tumorerkrankung, die wir behandeln – PVNS – ein Spezialfall ist, weil wir eben hier diese besondere Störung im CSF-1 Signalweg haben, die die Krankheit maßgeblich antreibt. Bei anderen Tumorleiden ist das anders. Zudem: Die Patienten, die wir in unserer Phase-I-Studie behandeln, sind im Endstadium der Krankheit. Sie haben hochaggressive Tumoren und etliche gescheiterte Behandlungen hinter sich. Bei so bösartigen Erkrankungen reicht es nicht, nur die Makrophagen im Tumor zurückzudrängen – hier müssen wir unsere Methode mit anderen Therapien kombinieren.

Gegen welche anderen Tumoren eignet sich Ihre Behandlungsmethode noch?

Es gibt zum Beispiel Patientinnen mit Brust- und Eierstockkrebs, deren Geschwulste sehr stark von Makrophagen infiltriert sind – bis zu einem Anteil von 50 Prozent. Das lässt uns vermuten, dass diese Patientinnen ebenfalls von unserem Antikörper profitieren könnten. Wir untersuchen das gerade in unserer Phase-I-Studie. Allerdings: Um herauszufinden, wie hoch der Makrophagengehalt in einem Tumor ist, müssen wir jedes Mal Gewebeproben nehmen. Das ist bei größeren Patientenzahlen nicht machbar; zudem gibt es Betroffene, bei denen das Entnehmen von Gewebeproben nicht möglich ist. Diese Menschen würden derzeit also durchs Raster fallen. Wir arbeiten daran, dass wir die Makrophagen-Infiltration irgendwann noch aus anderen Faktoren erschließen können, etwa aus bestimmten genetischen Tumormerkmalen.

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