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Naturschutz: Wird bleihaltige Jagdmunition endlich verboten?

Bleischrot vergiftet Tier und Mensch. Daher wollte die EU-Kommission am Dienstag ein Verbot für Bleimunition bei der Jagd in Feuchtgebieten beschließen. Doch es gibt Widerstand.
Naturschützer plädieren seit Jahren dafür, die Jagd mit Bleimunition in Feuchtgebieten zu verbieten.

Update, 23. Juni 2020, 19:00 Uhr: Deutschland hat am Dienstag angekündigt, sich bei der schriftlichen Abstimmung über das Bleischrot-Verbot in Feuchtgebieten zu enthalten. Was das für das Vorhaben der EU-Kommission bedeutet, bleibt zunächst unklar. In Verhandlunskreisen wird befürchtet, dass es die Haltung anderer Staaten negativ beeinflusst. Für ihr Votum haben die einzelnen Länder nun 21 Tage Zeit.

Blei ist ein wirksames Gift. Schon in geringen Mengen kann es Nerven und Nieren schädigen sowie zu Hirnschäden und Verhaltensstörungen bei Mensch und Tier führen. Die Weltgesundheitsorganisation listet das Schwermetall unter den zehn der für Menschen gefährlichsten Stoffe. Aus gutem Grund also verbannen Europas Politiker Blei aus dem Alltag: Farben, Buntstifte, Benzin und Wasserleitungen – muss alles bleifrei sein. Selbst das traditionelle Bleigießen zum Jahreswechsel ist seit zwei Jahren in der EU verboten. Doch ein Gebiet ist noch immer schwer belastet: die Jagd.

Nach fünfjähriger Debatte könnte sich das nun ändern. Am Dienstag, 23. Juni 2020, planen Europas Politiker, die Jagd mit Bleischrotmunition in Feuchtgebieten zu verbieten. Die Entscheidung ist überfällig. Allerdings gibt es Widerstand – nicht nur von Jagdverbänden, auch die Bundesregierung zeigt sich bis kurz vor der Abstimmung zerstritten. Dabei sind die schädlichen Auswirkungen bleihaltiger Munition längst erwiesen.

Jährlich feuern Jäger in Europa mindestens 600 bis 700 Millionen Schrotpatronen ab. Nach Berechnungen der Europäischen Chemikalienagentur Echa gelangen so jedes Jahr 18 000 bis 21 000 Tonnen Blei in die Umwelt. Das bedeutet Abermillionen oft kleinster giftiger Partikel, die eine tödliche Gefahr für Tiere sind. Und damit auch für Menschen, wenn sie diese verzehren.

Allein in den ökologisch besonders sensiblen Feuchtgebieten landen EU-weit in jedem Jahr rund 5000 Tonnen Blei aus Bleischrot-Munition, die Menschen bei der Jagd auf Enten, Gänse, Schwäne und andere Wasservögel abfeuern. Als Schwermetall baut sich Blei dort nur langsam ab. Im Sediment der flachen Uferzonen von Gewässern, die regelmäßig für die Jagd genutzt werden, kommt es über die Jahre so zu enormen Konzentrationen der Munitionsreste. Flachwasserzonen in einigen Jagdgebieten gleichen oft mehr Sondermülldeponien als intakten Gewässern. Bis zu 400 Schrotkörner fanden Wissenschaftler in seichten Uferbereichen einiger europäischer Gewässer pro Quadratmeter.

Krämpfe, Koordinationsstörungen, Erbrechen

Die Folgen dieser Bleiverseuchung sind dramatisch. Mehr als eine Million Wasservögel sterben in jedem Jahr nach Schätzungen der EU-Kommission an den Hinterlassenschaften der Jäger einen langsamen und qualvollen Tod. Die Vögel nehmen die winzigen Bleischrote beim Gründeln im flachen Wasser auf oder picken sie gezielt vom Grund, weil sie die Giftkügelchen für kleine Kiesel halten, die sie natürlicherweise als Magensteinchen zur Förderung ihrer Verdauung schlucken. Krämpfe, Koordinationsstörungen, Erbrechen, Flugunfähigkeit und schließlich der Tod sind die Stationen einer Bleivergiftung für viele Vögel. Studien in Spanien ergaben, dass schon die Aufnahme einzelner Bleischrote bei Stockenten und kleinen Wasservögeln tödlich sein kann und über zwei bis drei Wochen lang schwere Leiden verursacht, bevor der Tod eintritt.

»Sobald Blei verwendet wird, taucht es auch irgendwann in der Nahrungskette auf«
Wildtoxikologe Oliver Krone, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Blei ist aber nicht nur ein Problem für Wasservögel, sondern auch für die Tiere, die sich von ihnen ernähren. Und nicht nur in Feuchtgebieten, auch in Wald, Feld und Wiese wird mit Blei geschossen. Auf kleinere Tiere mit Schrot; auf Reh, Wildschwein und Hirsch mit Kugeln. »Sobald Blei verwendet wird, taucht es auch irgendwann in der Nahrungskette auf und führt dann als hochtoxisches Schwermetall zu negativen Konsequenzen in der Nahrungskette«, sagt der Wildtoxikologe Oliver Krone vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin.

Greifvögel, die am Ende der Nahrungskette stehen, sind neben Wasservögeln besonders stark durch Blei bedroht. Sie erbeuten nicht nur durch das Nervengift geschwächte Vögel, sie fressen bevorzugt das Aas verendeter Tiere und nehmen so ebenfalls Blei auf. Jeder dritte bis vierte Seeadler, der in Deutschland tot aufgefunden werde, sei an einer Bleivergiftung gestorben, sagt Krone, der seit vielen Jahren die Auswirkungen der Bleibelastung auf Wildtiere erforscht. Regional könne die Todesrate von Seeadlern durch Blei sogar noch deutlich höher sein. Im Müritz-Nationalpark etwa habe er einen 50-prozentigen Anteil ermittelt. »Aus der Perspektive des Arten- und des Tierschutzes, wäre es eine ganz wichtige Entwicklung, wenn wir zu einem Verzicht von Blei in der Jagd kämen«, sagt der Leibniz-Forscher.

Uneinheitliche Regelungen in der EU

In den meisten EU-Staaten gibt es mittlerweile Gesetze, die den Einsatz von Blei in der Jagd reglementieren. Deutschlandweit ist beispielsweise die Verwendung von Bleischrotmunition »an und über Gewässern« verboten. Die Verwendung dieser Munition in anderen Lebensräumen ist aber in den meisten Bundesländern erlaubt, ebenso wie das Schießen mit bleihaltiger Kugelmunition. Ein komplettes Verbot von Bleimunition jeglicher Art und in allen Lebensräumen gibt es in der EU nur in Dänemark und den Niederlanden.

Die EU-Kommission sieht durch die unterschiedlichen Regelungen ein »inakzeptables Risiko für die Umwelt und ein potenzielles Risiko für die menschliche Gesundheit« und strebt seit einigen Jahren eine einheitliche Regelung an. Als erster Schritt auf dem Weg zu einem vollständigen Bleiverbot will sie zunächst die EU-Chemikalienrichtlinie Reach um ein Verwendungsverbot für Bleischrot in Feuchtgebieten erweitern. Ein zweites Verfahren zum generellen Verbot von Blei auch als Kugelmunition und in allen Lebensräumen ist noch in einem frühen Anhörungsstadium. Frühestens Ende des Jahres 2022 ist mit einer Entscheidung zu rechnen. Aber auch das Bleischrot-Verbot in Feuchtgebieten verzögert sich seit Monaten.

Besagte Beschränkung zumindest hätte längst in Kraft sein können. Denn bereits im Jahr 2018 hat die Echa klar empfohlen, Bleischrot in Feuchtgebieten vollständig zu verbieten. Doch der zuständige Ausschuss der Ländervertreter hat die Abstimmung in den vergangenen Monaten mehrfach vertagt.

»Es ist beispiellos, dass wissenschaftliche Empfehlungen so brutal missachtet werden«
Ariel Brunner, Vogelschutz-Dachverband Birdlife International in Brüssel

Europas Naturschützer vermuten dahinter die Lobbyarbeit von Jagdorganisationen und Munitionsherstellern. »Es ist beispiellos, dass wissenschaftliche Empfehlungen so brutal missachtet werden«, kritisiert Ariel Brunner vom Vogelschutz-Dachverband Birdlife International in Brüssel. »Die Tatsache, dass das so offenkundig plausible Verbot auf solchen Widerstand stößt, ist erstaunlich«, sagt auch ein neutraler Insider aus der Brüsseler Verwaltung. Normalerweise werde Empfehlungen der Echa, die am Ende oft jahrelanger Konsultationen stehen, gefolgt.

Jagdverbände sagen »Ja, aber«

Grundsätzlich stehe man hinter einem Ende der Nutzung von Bleischrot in Feuchtgebieten, versichert der Generalsekretär des europäischen Jagd-Dachverbands Face, David Scallan. »Wir unterstützen die schrittweise Abschaffung, wenn dies in einer für Jäger und Behörden verständlichen Weise geschieht.« Doch vielen ist der Kommissionsentwurf zu weit gefasst. Konkret kritisiert der Lobbyverband, der sieben Millionen Jäger vertritt, eine zu weitgehende Definition von Feuchtgebieten und damit des Gebiets, in dem das Verbot gelten soll. Auch das Verbot in einer vorgesehene Pufferzone um Feuchtgebiete herum lehnt Face ab. Der Jägerverband fordert zudem eine längere Übergangsfrist für die Umstellung auf bleifreie Munition als die von der Kommission ursprünglich geplanten 18 Monate. Dies sei nötig, weil es in einigen Ländern bisher gar keine Einschränkungen für Bleimunition gebe. »Bis zu 70 Prozent der Schrotflinten in Polen, Irland und Rumänien müssten getestet und möglicherweise für Stahlschrot umgerüstet werden«, argumentiert Scallan.

Einen zentralen Streitpunkt hat die Kommission inzwischen geklärt, indem sie ihre Vorlage abgeschwächt hat. Statt von einem »Besitzverbot« ist nun bloß noch von einem »Mitführungsverbot« während eines Jagdausflugs in Feuchtgebieten die Rede. Jäger hatten bei einem Besitzverbot eine mögliche Kriminalisierung befürchtet, während Befürworter argumentierten, nur so lasse sich die Einhaltung der Vorschrift wirksam kontrollieren. Auch die Bundesregierung hatte wegen dieses Punkts ihre Zustimmung für das Bleischrotverbot bisher verweigert. Nach diesem und weiteren Zugeständnissen an die Jäger – so wurde die Übergangsfrist in der Kommissionsvorlage von 18 auf 24 Monate verlängert und die Pufferzone um Feuchtgebiete von 300 auf 100 Meter verringert – schien das Bleischrot-Verbot nach fünfjähriger Debatte beschlossene Sache. Die Abstimmung im Reach-Regelungsausschuss wurde für den 23. Juni 2020 angesetzt.

Doch ausgerechnet ein Streit innerhalb der Bundesregierung gefährdet das Inkrafttreten in allerletzter Minute. Nach Angaben mehrerer Insider plädiert das Bundesumweltministerium für Zustimmung, während das Landwirtschaftsministerium die Kommissionsvorlage weiter ablehnt. Verhandlungsteilnehmer befürchten, dass die Abstimmung erneut verschoben wird, falls es zu Beginn der Woche keine Einigung zwischen den deutschen Ministerien gibt.

Das Agrarministerium argumentiert, bleifreies Schrot aus Stahl oder anderen Metallen habe bei größeren Arten wie Waschbären oder Nilgänsen keine ausreichende Tötungswirkung. Dem widersprechen Fachleute und verweisen auf die Praxis etwa in Dänemark, wo Jäger seit langem problemlos ohne Blei ihre Beute erlegten. Selbst der Jagdverband Face hält beispielsweise Stahlschrot für ebenso effektiv wie Blei. Es müsse lediglich ein größeres Kaliber gewählt werden, heißt es in einem Ratgeber.

Wirksamkeit bleifreier Munition gilt als erwiesen

Darüber, dass bleifreie Munition bleihaltiger bei richtiger Anwendung mittlerweile ebenbürtig ist und damit aus fachlicher Sicht keine Bedenken gegen eine Umstellung bestehen, sind sich auch die EU-Kommission und viele Experten einig. »Es ist heute eindeutig möglich, mit bleifreier Munition eine vergleichbare Tötungswirkung hinzubekommen wie mit bleihaltiger Munition«, sagt etwa IZW-Forscher Krone. Und die EU-Kommission sagt, gerade weil bleifreie Alternativen aus Stahl, Wolfram, Zink oder Wismut mittlerweile weithin verfügbar und technisch ebenbürtig seien, gebe es keine Rechtfertigung mehr für die weitere Verwendung von Bleischroten, die jährlich Gewässer verseuchten und eine Million Vögel qualvoll töteten.

Der Vogelschützer Ariel Brunner von Birdlife drängt die Kommission, ihren Vorschlag auch bei anhaltender Uneinigkeit nun endlich zur Abstimmung zu stellen. »Dann müssen die Mitgliedstaaten zeigen, ob sie diese absurde Massenvergiftung fortsetzen wollen«, sagt der Naturschützer. Er verweist auf den soeben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgelegten Plan für einen ökologischen Umbau der EU, den Green Deal. Darin wird ein »Null-Verschmutzungsziel für eine giftfreie Umwelt« bis 2030 ausgegeben. Im nächsten Jahr will die Kommission einen entsprechenden Aktionsplan verabschieden. »Ein Bleiverbot für die Jagd wäre ein sehr leichter Weg, damit zu beginnen«, sagt Brunner.

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