Direkt zum Inhalt

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis 2025: Wie kreative Zerstörung das Wirtschaftswachstum ankurbelt

Technologischer Fortschritt lässt die Wirtschaft seit 200 Jahren stetig wachsen. Doch er sorgt auch für Konflikte. Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt haben die Zusammenhänge offengelegt. Dafür erhalten sie den Preis für Wirtschaftswissenschaften im Gedenken an Alfred Nobel.
Eine künstlerische Illustration von drei Personen in Anzügen, die nebeneinander dargestellt sind. Die Zeichnung verwendet schwarze und goldene Linien, um die Gesichtszüge und Kleidung zu betonen. Die Personen blicken freundlich nach vorne. Der Hintergrund ist schlicht und weiß, wodurch die Figuren im Vordergrund hervorgehoben werden.
Der Preis geht zur Hälfte an Joel Mokyr (links) und zu je einem Viertel an Philippe Aghion (Mitte) und Peter Howitt (rechts).

Für die meisten unserer Vorfahren wäre der Begriff »Wirtschaftswachstum« ein Fremdwort gewesen. Schließlich war die längste Zeit der Menschheitsgeschichte geprägt von Stagnation. Kinder konnten kaum einen höheren Lebensstandard erwarten als ihre Eltern. Daran änderten selbst gelegentliche Erfindungen wie neue Pflugtechniken oder Druckerpressen nichts. Doch vor ungefähr 200 Jahren wendete sich in einigen Gesellschaften das Blatt: Die Wirtschaft wuchs seither kontinuierlich, angetrieben von immer fortschrittlicheren Technologien. Neue Medikamente gehören dazu, ebenso wie sicherere Fahrzeuge, gesündere Nahrung, bessere Licht- und Wärmetechnik oder das Internet. Die Liste ließe sich fortsetzen. Zum Wesen neuer Technologien gehört allerdings auch, dass sie Bestehendes verdrängen: E-Mails statt Briefe, Smartphones statt Festnetztelefonen, Maschinen anstelle von Industriearbeitsplätzen.

Wie technologische Innovation zu nachhaltigem Wachstum führt, aber auch, welche Konflikte dadurch entstehen und wie die Politik damit umgehen sollte, das haben die Ökonomen Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt erforscht. Für ihre Arbeiten erhalten sie nun den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, den die Schwedische Nationalbank anlässlich ihres 300-jährigen Bestehens gestiftet und 1969 erstmals verliehen hat.

Der Preis geht dabei zur Hälfte an Joel Mokyr von der Northwestern University in den USA und zu je einem Viertel an Philippe Aghion, der am Collège de France, an der französischen Wirtschaftshochschule INSEAD und an der London School of Economics and Political Science lehrt, sowie an Peter Howitt von der Brown University im US-Bundesstaat Rhode Island. Joel Mokyr hat anhand historischer Beispiele identifiziert, unter welchen Voraussetzungen fortschrittliche Technologien die Wirtschaft anhaltend wachsen lassen, während Philippe Aghion und Peter Howitt die Theorie dazu entwickelt haben. Ihr Modell legt die Zusammenhänge von kreativer Zerstörung und fortwährendem Wirtschaftswachstum offen.

Zwischen dem 6. und dem 13. Oktober geben die Nobelkomitees die Preisträger des Jahres 2025 bekannt. Auf unserer Themenseite »Nobelpreise – die höchste Auszeichnung« erfahren Sie, wer einen der renommierten Preise erhalten hat. Dort können Sie außerdem das Wesentliche über die Laureaten und ihre Forschung nachlesen.

Joel Mokyr konnte in seinen Arbeiten erklären, wie der Umgang mit Innovationen vor 200 Jahren aus der Stagnation heraus in eine anhaltende Phase des Wachstums führte. Entscheidend war dabei der Übergang vom bis dahin weit verbreiteten Fähigkeitswissen zum propositionalen Wissen. Immer mehr Menschen konnten Geräte nicht mehr nur bedienen, sondern verstanden auch, warum sie funktionierten. Indem diese beiden Formen von Wissen zusammentrafen und miteinander wechselwirkten, entstanden Innovationen, die nach Mokyrs Verständnis zu fortwährendem Wachstum führten. Entscheidend war dabei stets, dass neue Ideen auch handwerklich umgesetzt und wirtschaftlich nutzbar gemacht wurden.

Mokyr zufolge muss eine Gesellschaft aber offen für Wandel sein, um von ihm zu profitieren. Denn technologischer Fortschritt ruft auch Verlustängste hervor. Oftmals kämpfen Menschen gegen Neuerungen an, so beispielsweise schon 1779, als sich englische Textilarbeiter – die Ludditen – gegen die Einführung von Maschinen in ihren Webereien wehrten. Gibt man jedoch allen Beteiligten und Betroffenen einer neuen Technologie ein Forum, um ihre Sorgen und Interessen zu äußern, wird der Wandel Mokyr zufolge gesellschaftlich eher begrüßt als abgelehnt. Im Zuge der Aufklärung habe diese Erkenntnis zunächst in Großbritannien und später auch in anderen Ländern zu konstantem Wachstum geführt.

Ein Modell für Wachstum

Die Arbeit von Philippe Aghion und Peter Howitt schließt daran an, wobei die beiden Ökonomen die kreative Zerstörung als ein Kernelement von anhaltendem Wirtschaftswachstum identifizierten. Sie entwickelten ein mathematisches Modell, das das durchschnittliche Wirtschaftswachstum als Ergebnis einer Vielzahl von Entscheidungen mit gegensätzlichen Interessen ausgibt. Treiber des Wachstums ist dabei die kreative Zerstörung: Unternehmen forschen an neuen Produkten – sind sie damit erfolgreich, übernehmen sie Märkte, die zuvor andere Unternehmen mit ihren Produkten besetzt hatten.

Die Politik, so fordern Aghion und Howitt, sollte diese Kraft mit zwei Maßnahmen flankieren: erstens, indem sie innovative Unternehmen unterstützt, und zweitens, indem sie jene, die aufgrund des technologischen Fortschritts ihre Arbeit verlieren, sozial absichert. Wie man beides optimiert, ergibt sich der Jury zufolge aus Aghions und Howitts Modell.

Philippe Aghion zeigte sich beim Anruf während der Verkündung gerührt und überwältigt. Gerechnet habe er mit dieser Auszeichnung nicht, sagt er. Seine Worte fand er in der anschließenden Pressekonferenz allerdings bald wieder. Die Frage, ob das nun seit 200 Jahren währende Wirtschaftswachstum in naher Zukunft kollabieren könnte, bejahte er zwar nicht, doch die zunehmende Entflechtung des internationalen Handels wie auch die neuen Zollschranken treiben auch ihn hörbar um. »Ich nehme wahr, dass hier aktuell dunkle Wolken aufziehen.«

Zwei Technologiefelder, die derzeit das Bild der kreativen Zerstörung bedienen, sind grüne Technologien und künstliche Intelligenz. Erstere verdrängen, sofern der industriepolitische Rahmen stimme, fossile Energieträger, Zweitere durchaus auch Menschen von ihren Arbeitsplätzen. Aghion begegnet dieser Sorge allerdings mit Gelassenheit. Noch nie habe eine neue Technologie – sei es die Einführung der Elektrizität, der Informationstechnik oder von Robotern in Fabriken gewesen – zu Massenarbeitslosigkeit geführt. So werde auf lange Sicht auch künstliche Intelligenz die Wirtschaft produktiver machen. Daneben brauche es aber gute Bildungsangebote und einen funktionierenden Arbeitsmarkt, um die negativen Auswirkungen dieser Technologie zu minimieren. »Wir müssen uns an die neue Technologie anpassen, dann werden wir von ihr profitieren«, sagte er.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.