Robotik: Wo bitte geht's zur intelligenten Navigation?
Die amerikanische Firma United Rentals ist einer der größten Geräteverleiher der Welt. Auf einigen der rund 900 Lagerplätze der Firma fahren mächtige Hebebühnen schwere Gerätschaften durch die Gegend – scheinbar vollautomatisch. Doch in Wirklichkeit zumeist ferngesteuert. Nun hat sich der Roboterentwickler 5D Robotics mit United Rentals zusammengetan und eine so genannte Behaviour Engine entwickelt, eine Software, die ferngesteuerten Fahrzeugen das autonome Fahren beibringen soll. Die Installation dauert nur wenige Stunden – und sie soll auf beliebige ferngesteuerte Systeme anwendbar sein.
5D Robotics ist eine Ausgründung des Idaho National Laboratory, wo Forscher gewöhnlich die Logistikprobleme des amerikanischen Militärs lösen sollen, etwa wie man schwere Last im Kampfeinsatz automatisch durch unbekanntes Terrain transportiert. Meist navigieren solche Systeme mit Hilfe einer Kombination aus GPS und eingebauter Sensorik wie Laserscannern und Kameras. 5D Robotics fügte dem System einen Ultrabreitband-Empfänger hinzu – eine Funktechnik für den Nahbereich. Der Empfänger erhält Signale von stationären Beacons, also kleinen "Funkbaken", die im Dauerbetrieb Funksignale aussenden.
Mit deren Hilfe kann sich dann die Hebebühne noch in bis zu 60 Meter Entfernung zum Beacon auf zwei Zentimeter genau lokalisieren. Würde die Bühne lediglich ein GPS-Signal empfangen, läge die Genauigkeit bei etwa drei bis vier Metern. Und im Gegensatz zu Laserscannern oder Kameras, die ebenfalls Robotern bei der räumlichen Orientierung helfen, funktionieren Funksignale auch bei schlechtem Wetter oder staubiger Umgebungsluft. Sie sind also für Lagerplätze unter freiem Himmel ideal.
Das ist nur eine Idee, mit der Entwickler ihren Robotern die Navigation und Orientierung beibringen möchten. Wer bereits einen Rasenmäherroboter zu Hause einsetzt, weiß, dass die aktuellen markttauglichen Roboter bei der Navigation noch auf erstaunlich primitive Hilfsmittel angewiesen sind – meist verlegt der Nutzer ein Kabel rund um das zu mähende Gras, damit der Roboter nicht auf die Idee kommt, den Nachbargarten oder das Gemüsebeet mitzumähen. Auch andere Roboter brauchen solche Hilfen: Der Parkhausroboter RAY, der am Düsseldorfer Flughafen Autos Platz sparend einparken kann, ist auf Reflektoren angewiesen, die an der Wand befestigt sind. Sie reflektieren den Laserstrahl des Roboters, und die Software kann mittels Triangulation – der Winkel- und Abstandsmessung bei Dreiecken – seine Position genau bestimmen. Dafür muss er allerdings stets freie Sicht auf die Reflektoren haben. Auch dieser Roboter muss also immer noch an der Leine geführt werden.
Kreativer GPS-Ersatz
"Diese Methoden nutzt man, weil sie zuverlässig und kostengünstig sind", sagt Christof Röhrig von der Fachhochschule Dortmund. "Wie man die Navigation bei Robotern bewerkstelligt, hängt immer stark vom Anwendungsfall ab – und vom Aufwand, den man investieren möchte." Im Außenbereich sei das immer noch die Kombination aus GPS und den am Roboter befestigten Scannern, im Innenbereich muss das GPS kreativ ersetzt werden. So richten zum Beispiel einige Staubsaugerroboter ihre Kamera in Richtung Decke und orientieren sich an den Mustern, die sie dort sehen. Der Staubsauger kann daran zumindest erkennen, wo er schon war. Viele Staubsauger machen es sich freilich einfacher und fahren die Räume mehr oder weniger nach dem Zufallsprinzip ab.
Der Staubsaugerroboter HOM-BOT Turbo+ von LG Electronics, der dieses Jahr auf der Messe CES 2016 vorgestellt wurde, ist nun mit drei Kameras ausgestattet, die die Umgebung erfassen sollen – eine blickt auf die Decke, eine nach vorne und eine nach unten auf den Boden. Sie erfasst die Bewegung des Roboters wie eine optische Maus. Die vordere Kamera kann auch genutzt werden, um die Wohnung vom Smartphone aus live zu beobachten. Das Besondere ist aber die Augmented-Reality-Funktion: Da der Roboter die Wohnung bei ersten Fahrten vermisst, kann man ihm mittels Smartphone später einen schmutzigen Bereich zuweisen, in dem man sich die Wohnung einfach über die Kamera anschaut und die entsprechende Stelle anklickt.
Die Orientierung per Kamera funktioniert allerdings nicht gut in großen Gebäuden, in denen gleichförmige Decken wenig Anhaltspunkte bieten – etwa in Krankenhäusern. Sofern man sich nicht die Mühe machen möchte, dreidimensionale Karten der kompletten Innenräume zu erstellen – was aufwändig ist –, gäbe es die Möglichkeit, WLAN-Signale zu suchen und ihre Stärke zu messen. Man müsste dafür einmal das Gebäude mit dem Roboter abfahren und eine WLAN-Signalkarte erstellen. "Das Problem ist, dass es in Räumen viele Abschottungen gibt – die Signale können sich ändern, wenn Möbel neu positioniert werden", sagt Röhrig.
Ein U-Bahn-Plan für den Hausstaubsauger
Die bessere Lösung sind auch hier die so genannten Beacons. Sie senden permanent Signale aus und brauchen nicht viel Energie. Sie funktionieren mit Knopfzellen und ermöglichen eine recht genaue Positionsbestimmung. "Im Grunde erstellen wir statt der dreidimensionalen Karte eine Art U-Bahn-Plan, also einen Plan mit den möglichen Laufwegen, in denen grobe Anhaltspunkte wie Gänge und Türen berücksichtigt werden", sagt Röhrig. "Da Roboter nicht durch Wände gehen können, reicht an vielen Stellen ihre ungefähre Position als Orientierung aus. Die bekommt der Roboter, indem er die Laufzeit der Funksignale misst." Die Software ortet den Roboter auf einen Meter genau. Bei einem langen Flur etwa ist die Genauigkeit nicht so wichtig. Die Beacons werden daher an den Stellen installiert, an denen der Roboter genauere Daten braucht, etwa wenn es Abbiegemöglichkeiten gibt. Je näher der Roboter sich einem Beacon nähert, desto genauer kann er seine Position bestimmen.
Bei einem Rasenmäherroboter ersetzen die Kabel diese Funktion. Die Roboter fahren bislang ihre Bahn wenig intelligent ab und bekommen am Kabel immer wieder das Signal zum Umkehren. Aber je größer das Grundstück, desto ungenauer arbeiten die Roboter, und es bleiben Grasbüschel stehen. In der Landwirtschaft werden differenzielle GPS-Systeme eingesetzt. Dabei wird das GPS von einer genau vermessenen, fixen Antenne empfangen und korrigiert – so können die Fahrzeuge auf wenige Zentimeter genau arbeiten. Für einen Rasenmäher wäre so ein System zu teuer.
Um die Roboter präzise arbeiten zu lassen, setzen die Entwickler daher künftig neben dem Kabel wahrscheinlich auf das Beacon-System. Genau das plant zumindest die Firma iRobot. Wobei sie jedoch auf unerwarteten Widerstand stieß.
Funkstille für die Weltraumforschung
Die Beacons werden als Funkstäbe in den Boden gesteckt, und zwar an Grenzen der Mähfläche. Für eine Fläche von etwa 1000 Quadratmetern bräuchte man etwa fünf bis zehn solcher Beacons – je nachdem wie unförmig die Fläche ist. Die Funkfrequenz der Beacons liegt jedoch unglücklicherweise genau in den Bereichen, die Astronomen nutzen, um mit ihren Radioteleskopen beispielsweise die Sternentstehung in fernen Galaxien untersuchen. Die Astronomen fürchteten, dass sich die Rasenmähersignale mit den Weltraumsignalen vermischen, sobald jemand in der Nähe eines Observatoriums einen Rasen pflegt, und verlangten deshalb bei Teleskopen einen Mindestabstand von knapp 90 Kilometern für Rasenmähereinsätze. iRobot hingegen hielt 20 Kilometer für ausreichend. Laut dem Roboterhersteller gebe es in Teleskopnähe ohnehin wenig private Rasenflächen, was die Astronomen als dämliche Ausrede empfanden. Man einigte sich darauf, dass iRobot die Funksignale einschränkt, in dem es unter anderem die Beacons auf eine maximale Höhe von 60 Zentimeter beschränkt. Die genaue Markteinführung hat iRobot noch nicht bekannt gegeben.
Die Firma Bosch brachte im Jahr 2015 mit Indego einen Rasenmäher auf den Markt, der zwar immer noch mit Kabel auskommen muss, dafür aber wenigstens intelligent mäht. Der Indego baut zunächst eine Karte der Rasenfläche auf, indem er die Außengrenze einmal abfährt, und bestimmt dann seine Position in Relation zu dieser Karte. Er misst die Umdrehungen der Räder, die Beschleunigung und per elektronischem Kompass seine absolute Orientierung. Die bereits gemähte Fläche wird dann jeweils in der virtuellen Karte gespeichert. Möglicherweise verfolgt iRobot einen ähnlichen Ansatz, nur eben ohne das Kabel.
Laser macht Fußgänger-Roboter verkehrstauglich
Noch schwieriger wird es, wenn Roboter in einem Außenbereich navigieren sollen, der weder mit Funksignalen noch mit Kabel absteckbar ist. Selbstfahrende Autos wie das von Google nutzen neben GPS aufwändig erstellte 3-D-Umgebungskarten, auf die Forscher aber gerne verzichten würden. Ein Team um Wolfram Burgard von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg will zum Beispiel Roboter-Fußgänger verkehrstauglich machen. Die erste elegante Lösung für diese Idee war der Autonomous City Explorer der Technischen Universität München, der sich vor einigen Jahren zurechtfand, indem er einfach Passanten ansprach und sich nach dem Weg erkundigte. Ein weiterer Ansatz war, vorab Wegpunkte festzulegen, an denen sich ein Roboter entlanghangeln muss.
Der Roboter aus der Forschungsgruppe von Burgard wurde indes mit sechs Lasern ausgestattet, die den Boden und die Umgebung in verschiedenen Richtungen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus abtasten. Mit einem Joystick muss der Roboter die Strecke aber einmal ferngesteuert abfahren. Die Forscher brauchten zum Beispiel drei Stunden, um eine 7,4 Kilometer lange Strecke mit den Lasern zu erfassen. Der Roboter lernt dabei, wie er einen Bürgersteig von der Straße oder einem Rasen unterscheiden kann. Er muss auch verstehen, wie ein Hindernis beschaffen ist, das beim erstmaligen Abfahren noch nicht da war. Ist es ein Zweig oder ein Stein? Muss er es umgehen, oder kann er darüberfahren? Auch mit Werbeschildern, die plötzlich vor Geschäften aufgestellt werden, kann der Roboter umgehen. Und natürlich mit beweglichen Hindernissen: Menschen, Hunden, Kinderwagen.
Der Roboter erstellt mit den Lasern Lichtmuster – also eine Art Karte, die zeigt, wie die Laserstrahlen in der Umgebung reflektiert werden. Die Muster werden zusammen mit GPS-Daten gespeichert. Wenn der Roboter später von der geplanten Strecke abweichen muss, um ein Hindernis zu umfahren, vergleicht er die aktuellen Lichtmuster mit denen in der Datenbank. Wenn er sich bewegt und dabei das neue Muster dem alten immer ähnlicher wird, weiß er, dass er sich der alten Strecke annähert. "Die Technik ist so zuverlässig, dass wir sie in einem überschaubaren Gebiet einsetzen könnten, zum Beispiel um Essen auszuliefern", sagt Burgard. "Aber es fehlt ein Markt. Der Roboter kostet derzeit etwa 100 000 Euro. Er müsste also ziemlich viele Pizzas liefern, damit sich das lohnt."
Orientierungssuche nach Vorbild des Gehirns
Für Rettungsaktionen, in denen Roboter zum Beispiel Verletzte in Katastrophengebieten aufspüren sollen, wollen Forscher zusätzlich Drohnen einsetzen. Denn bei einem solchen Szenario ist es ausgeschlossen, vorher die passende Orientierungshilfe zu verlegen. Das Autonomous Systems Lab der ETH Zürich entwickelt solche Kombisysteme. Die Drohne überfliegt zunächst das Gebiet und sieht sowohl die Position des Roboters als auch das zu untersuchende Terrain. Der Roboter nutzt dann die Karte, die von der Drohne beim Flug erstellt wird, um den schnellsten Weg um Hindernisse herum zum Ziel zu finden. Mittels Laserscanner kann er auf aktuelle Änderungen reagieren, wenn etwa ein Hindernis in den Weg fällt, das noch nicht da war, als die Drohne flog. Er korrigiert dann seine Route. Der Laufroboter ist mit Hilfe der Drohne schneller am Ziel.
Forscher der Singapore's Agency for Science, Technology and Research (A*STAR) stellten ein Robotersystem vor, das sich noch ausgefeilter orientieren soll: wie ein Mensch oder ein Tier. Dazu simuliert es die entsprechenden Gehirnzellen. Insbesondere geht es um zwei Arten von Neuronen – die so genannten Gitterzellen und die Ortszellen. Beide tragen maßgeblich dazu bei, dass wir uns in der Umgebung zurechtfinden. Für die Entdeckung dieser Zelltypen wurden John O'Keefe, May-Britt und Edvard Moser mit dem Medizin-Nobelpreis 2014 ausgezeichnet.
Das Team ließ seinen Roboter durch ein 35 Quadratmeter großes Büro fahren, während die künstlichen Neurone ihre Signale abfeuerten. Immerhin gelang es der Maschine, sich dabei grob zu orientieren und wieder an den Ausgangspunkt zurückzufinden. Das Verfahren ist allerdings derzeit noch weniger präzise als die anderen Kartierungsmethoden. Künftig aber könnten Roboter dank solcher neuronalen Netzwerke besser auf dynamische Umgebungen reagieren, so hoffen es jedenfalls die Forscher. Die perfekte Orientierung draußen oder drinnen – sie wird wohl erst mit der smarten Kombination aus verschiedenen Methoden möglich.
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