Direkt zum Inhalt

Klima: Wo ist all das Kohlendioxid hin?

Knapp 250 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, so die Schätzungen, hat der Mensch seit der Industrialisierung in die Luft gepustet. Nur die Hälfte davon hat sich im Anstieg der atmosphärischen Kohlendioxid-Gehalte niedergeschlagen. Die andere Hälfte, das scheint jetzt klar, schluckten die Weltmeere.
<i>Clio pyramidata</i>
Die Mengenangaben, mit denen Klimaforscher hantieren, sind wenig anschaulich. Um Milliarden Tonnen Kohlenstoff geht es, die der Mensch der Natur mit seinem doch eigentlich noch so jungen industriellen und landwirtschaftlichen Gewerke schon zugemutet hat und immer weiter zumutet und dadurch wie mit der Brechstange in ein fein abgestimmtes Getriebe eingreift. Kaum zu glauben, dass eine Spezies allein mit ihrem Tun globale Auswirkungen hat – und doch traurige Tatsache.

Wasserprobenahme | Mit Hilfe von Wasserproben aus unterschiedlich tiefen Schichten der Meere können Wissenschaftler das Schicksal des eingetragenen Kohlendioxids verfolgen.
Wie diese riesigen Mengen an Kohlenstoff, die in Form von Treibhausgasen in die Luft gepustet werden, das weltweite Klimageschehen und die Lebewelt auf unserem Planeten beeinflussen, ist ein unübersichtliches, komplexes Wirkungsgefüge mit zahlreichen Rückkopplungen, Schleifen und Sackgassen – ein mehrdimensionales riesiges Puzzle, das noch mehr Lücken als fest zusammengefügte Teile aufweist. Eine Größe ist aus Modellrechnungen bekannt: 244 Milliarden Tonnen Kohlenstoff soll der Mensch seit 1800 dem System zugefügt haben, zu sehen unter anderem am Anstieg der atmosphärischen Kohlendioxid-Konzentrationen von 280 auf inzwischen 380 parts per million (ppm). Wäre allerdings der gesamte menschgemachte Kohlenstoff in der Luft geblieben, hätte der Wert um 55 ppm mehr ansteigen müssen. Etwa die Hälfte des freigesetzten Kohlenstoffs musste eine neue Bleibe gefunden haben – nur wo? In den Ozeanen? In den Landpflanzen? Und wer steckte wie viel ein?

Christopher Sabine von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und seine Kollegen begaben sich auf die Suche: Sie werteten die Daten von zwei internationalen Projekten aus, die an über 9000 Messstationen das Schicksal von CO2 im Meerwasser über mehrere Jahre hinweg verfolgt hatten. Bei ihren Analysen kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass rund 118 Milliarden Tonnen Kohlenstoff ihren Weg in die Ozeane gefunden hatten, also genau die gesuchte Hälfte – und damit etwa ein Drittel von dem, was die Meere ingesamt rein rechnerisch aufnehmen könnten [1]. Die terrestrische Vegetation hingegen hatte in den letzten 200 Jahre nichts zur Speicherung beigetragen, im Gegenteil: Laut den Modellrechnungen von Sabine und seinen Kollegen wurde sie sogar zur Quelle, wohl vor allem auf Grund der umwälzenden Veränderungen in der landwirtschaftlichen Nutzung.

Forschungsschiff Ronald H. Brown | Auch das Forschungsschiff Ronald H. Brown der NOAA wurde im Rahmen der internationalen Projekte genutzt, um Wasserproben an den verschiedenen Messstationen zu nehmen.
Der größte Anteil davon findet sich in den obersten Schichten der Wassersäule bis in etwa tausend Meter, die Hälfte sogar bis in 400 Meter Tiefe. Und hier wird es nun weiter interessant, denn in jenen Schichten sitzen viele Organismen, die Kalkschalen bilden – und denen wird es bei zu hohen CO2-Gehalten schlicht zu sauer: Durch den Kohlendioxid-Eintrag sinkt der pH-Wert, was dazu führt, dass sich Kalk – ihr Baumaterial – löst. Bewahrheitet sich das Szenario des Intergovernmental Panel on Climate Change, so wird durch den gesteigerten CO2-Eintrag in die Meere zum Ende des Jahrhunderts der pH-Wert um 0,4 Einheiten fallen. Das klingt zunächst vielleicht nach nicht viel, doch dürfte es die stärkste Schwankung der letzten 20 Millionen Jahre sein.

Schon jetzt sind diese Folgen des verstärkten CO2-Eintrags deutlich zu sehen. Denn wie Wissenschaftler um Richard Feely herausgefunden haben, wird Kalk nun schon sehr viel näher der Wasseroberfläche aufgelöst als in vorindustriellen Zeiten: Die Kalzit-Sättigungsgrenze hat sich um bis zu 200 Meter nach oben verlagert. Insgesamt werden dadurch inzwischen 50 bis 71 Prozent des neu gebildeten Kalkes bereits in den obersten Schichten wieder verfügbar, und nur ein knappes Drittel bis die Hälfte finden einen langfristigen Ruheplatz in den Tiefen des Meeres [2].

Welche Folgen hat das für die Lebewelt? Schon seit längerem beobachten Forscher eine verringerte Kalkbildung bei Korallen, Foraminiferen und Schalen bildenden Algen auf Grund der sinkenden pH-Werte nahe der Oberfläche. Experimente in künstlich mit CO2 angereichertem Wasser hatten gezeigt, dass die Kalkbildungsrate bei verschiedenen Arten um 25 bis 45 Prozent zurückgeht, wenn die Kohlendioxid-Konzentrationen das Dreifache der heutigen Werte betragen – entsprechend den Prognosen des IPCC. Steigt der Kohlendioxid-Gehalt des Meerwassers also wie befürchtet an, geraten die kleinsten Ozeanbewohner in ernsthafte Bedrängnis. Und angesichts ihrer Rolle als Basis der globalen Nahrungsnetze sind die daraus entstehenden Folgen für das gesamten System überhaupt nicht abzusehen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.