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Flores-Mensch : Wurde der 'Hobbit' völlig falsch datiert?

Das neue Alter für den Flores-Menschen wird alle Überlegungen radikal verändern: Der "Hobbit" lebte offenbar deutlich früher - und traf vielleicht nie auf unsere Vorfahren.
Die Liang-Bua-Höhle

Der Flores-Mensch ist eines der größten Rätsel der menschlichen Evolutionsgeschichte, denn er entzog sich bislang einer eindeutigen Zuordnung: Gehört er noch zu einer eng mit dem Homo erectus verwandten Art? Oder handelte es sich bei den kleinwüchsigen Menschen sogar um Angehörige des Homo sapiens mit krankhafter Veränderung ihrer Anatomie? Eine aktuelle Veröffentlichung könnte nun die Wissenschaft eine Ecke weiterbringen, denn offenbar fußten alle bisherigen Überlegungen auf einer falschen Datierung der wenigen Funde.

Wie ein Team um Thomas Sutikna von der University of Wollongong in Australien berichtet, sind die Skelettfunde zwischen 100 000 und 60 000 Jahre alt. Zuvor hatte man sie auf ein Alter von 11 000 bis 13 000 Jahren datiert. Dabei hatte man jedoch wohl die komplexe Schichtenabfolge in der Höhle fehlinterpretiert.

Das zeigte sich nun bei einer mehrjährigen Grabungskampagne in der Liang-Bua-Höhle, dem bislang einzigen Ort, an dem Überreste des Homo floresiensis zum Vorschein kamen. Zum Team gehören auch einige der Forscher, die die ursprüngliche Entdeckung im Jahr 2003 gemacht hatten.

Nach dem Sensationsfund wurden zwischen 2007 und 2014 weitere Teile der Höhle systematisch ausgegraben. Dabei fiel den Forschern auf, dass die Schichten mit den Hobbit-Fossilien und die Schichten, die zur deren ursprünglichen Datierung herangezogen wurden, nicht identisch sind und in Wirklichkeit Jahrzehntausende auseinanderliegen. Den Irrtum bemerkten sie erst, als sie weitere Teile der Höhle aufdeckten und dabei auf ein natürliches "Podest" stießen, auf dessen schräger Seitenkante die alten Fundschichten höher lagen als im Rest der Höhle.

Die Forscher datieren nun das Alter der Knochenfunde auf zwischen 100 000 und 60 000 Jahre und den Bereich, in dem sie Steinwerkzeuge fanden, die mutmaßlich von Homo floresiensis angefertigt wurden, auf 190 000 bis 50 000 Jahre. Das legt nahe, dass der kleinwüchsige "Hobbit" zu diesem Zeitpunkt aus der Höhle verschwand – zeitgleich übrigens mit anderen Großtieren wie dem Riesenstorch, Geiern sowie dem Zwergstegodon, einem Elefantenverwandten, bemerken die Forscher.

Den Grund für das Verschwinden kennen sie allerdings nicht. "Viele Leute haben wahrscheinlich eine Menge interessanter Ideen, warum diese Tiergruppen gemeinsam verschwunden sind", sagt Erstautor Matt Tocheri vom Human Origins Program der Smithsonian Institution. In vielen Regionen der Welt starben große Tiere zu einem Zeitpunkt aus, der auffallend genau mit dem Eintreffen des modernen Menschen in der jeweiligen Gegend übereinstimmt.

Die Neudatierung hat in jedem Fall erhebliche Auswirkungen auf künftige Überlegungen zur Artzugehörigkeit des Homo floresiensis und seiner Geschichte. Da der anatomisch moderne Mensch erst vor 50 000 Jahren die indonesische Inselwelt und Australien erreichte, dürfte die Überlappung mit dem "Hobbit" nur äußerst kurz gewesen sein – sofern sie überhaupt stattfand. Möglich sei allerdings, erklären die Wissenschaftler, dass der Flores-Mensch auf andere, ebenfalls nur in Ansätzen bekannte Frühmenschen traf. Die Denisova-Menschen könnten sich gleichzeitig mit ihm in Südostasien aufgehalten haben.

Mehr Klarheit werden wohl nur weitere Funde bringen. Doch die Hoffnung darauf erfüllte sich bislang noch nicht. Die Erhaltungsbedingungen vor Ort sind alles andere als gut. Auch dass sich in den Knochenfunden noch verwertbare Erbgutreste erhalten haben, gilt als unwahrscheinlich.

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