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Botanik: WUSCHEL, übernehmen Sie!

Pflanzen verfügen dank totipotenter Stammzellen lebenslang über die Fähigkeit, ständig neue Organe zu bilden. Wie Hormone und genetische Faktoren zusammenwirken, damit Pflanzen weder verkümmern noch krebsartig wuchern, war jedoch unbekannt. Max-Planck-Forscher haben jetzt einen Rückkopplungsmechanismus entdeckt, über den ein wachstumsförderndes Hormon und ein regulatorisches Eiweiß in Pflanzen die Zahl an Stammzellen steuert.
Arabidopsis thaliana
Alle oberirdischen Teile einer Pflanze – Blätter, Blüten, Stängel, Samen – entspringen letztlich einem winzigen Gewebebereich an der Spitze des Sprosses. Diese von Biologen als Sprossmeristem bezeichnete Region enthält totipotente Stammzellen, die während der gesamten Lebenszeit einer Pflanze aktiv bleiben. Im Gegensatz zu Tieren, die nach dem Abschluss der Embryonalentwicklung nur noch über gewebespezifische Stammzellen verfügen, können Pflanzen daher über viele Jahre hinweg weiter wachsen und neue Organe ausbilden.

Diese Fähigkeit birgt jedoch zugleich auch Gefahren: Steigt die Zahl der meristematischen Stammzellen zu schnell an, drohen krebsähnliche Wucherungen. Schrumpft der Stammzellpool dagegen stark, dann verkümmert die Pflanze. Um lebensfähig zu bleiben und die eigene Fortpflanzung zu sichern, muss die Pflanze daher die Zahl ihrer Stammzellen genau ausbalancieren.

Wie man heute weiß, geschieht dies über zwei Regelwerke: zum einen über wachstumsfördernde Pflanzenhormone wie Auxin und Zytokinin, die bereits seit mehr als fünfzig Jahren bekannt sind. Auf der anderen Seite wirken auch genetische Faktoren an der Stammzellregulation mit. Vor rund zehn Jahren entdeckten Tübinger Forscher ein auf den Namen WUSCHEL getauftes, zentrales Steuerungsgen, das entscheidenden Einfluss darauf hat, wie viele Zellen als Stammzellen im Sprossmeristem verbleiben. Rätselhaft war bislang jedoch, auf welche Weise Hormone und Gene zusammenarbeiten, um die feine Balance in der Sprossspitze aufrechtzuerhalten.

Arabidopsis thaliana | Zwei Keimlinge von Arabidopsis thaliana: Der Wildtyp-Keimling im Vordergrund hat ein funktionelles Meristem, der dahinter liegende Keimling kann wegen einer Mutation im WUSCHEL-Gen nach den Keimblättern keine weiteren Organe anlegen. Im Hintergrund ist ein Detailausschnitt einer Microarray-Hybridisierung zu sehen.
Dieses Rätsel wollte die von Jan Lohmann geleitete Arbeitsgruppe am Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie jetzt lüften. Als Untersuchungsobjekt diente den Forschern die "Hauspflanze" der botanischen Forschung, die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana, deren Erbgut bereits vor einigen Jahren vollständig entziffert wurde. Mithilfe aufwändiger genetischer und biochemischer Experimente haben Lohmann und sein Team nun vier Gene identifiziert, die als mechanistische Verbindung zwischen den Pflanzenhormonen und den genetischen Steuerungselementen im Meristem gelten können.

Wie die Genanalysen der Tübinger Forscher zeigen, unterliegen die zu den so genannten Arabidopsis-Response-Regulatoren (ARR) zählenden Erbanlagen ARR5, ARR6, ARR7 und ARR15 der genetischen Steuerung durch das WUSCHEL-Gen. Unter seinem Einfluss wird besonders die Aktivität von ARR7 im Sprossmeristem deutlich gedrosselt. Die Biologen konnten damit zeigen, dass die ARR-Gene direkt an der genetischen Regulation des Stammzellpools beteiligt sind. Zugleich erfüllen die Gene jedoch auch eine wichtige Aufgabe im hormonellen Regelwerk: Sie sind Teil einer negativen Rückkopplungsschleife, mit der das wachstumsfördernde Pflanzenhormon Zytokinin seine eigene Wirkung begrenzt.

Das Hormon selbst regt die meristematischen Stammzellen zur Teilung an; gleichzeitig aktiviert es jedoch verschiedene ARR-Gene, die ihrerseits die Zytokinin-Signalkette unterbrechen. "WUSCHEL unterstützt den Zytokinin-Effekt, indem es dessen negative Rückkopplung unterbindet", erläutert Lohmann. So erkläre sich auch die frühere Beobachtung, dass Arabidopsis-Exemplare mit defektem WUSCHEL-Gen nur sehr kleine Meristeme ausbilden und in ihrem Wachstum gestört sind. Den gleichen Effekt fanden die Tübinger Forscher nun auch bei Mutanten, deren ARR7-Gen überaktiv war.

Zytokinin kann seine volle wachstumsfördernde Wirkung demnach nur in Geweben entfalten, in denen das WUSCHEL-Steuerungsgen aktiv ist. "Die meristematische Regulation ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Wirkung von frei zirkulierenden Hormonen auf bestimmte Gewebe begrenzt werden kann", schwärmt Lohmann. Erst über solche Mechanismen werde es möglich, dass ein und dasselbe Hormon in verschiedenen Geweben unterschiedliche Wirkungen entfaltet – je nachdem, auf welche genetischen Voraussetzungen es dort trifft.

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