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Hirnforschung: Xenongas löscht traumatische Erinnerungen

Das Edelgas Xenon macht Furchtlernen rückgängig - zumindest bei Ratten. Könnte der Stoff auch die Traumatherapie beim Menschen unterstützen?
Ratte

Traumaopfer kämpfen häufig mit so genannten Flashbacks. Dabei schießen ihnen immer wieder Erinnerungen an das quälende Erlebnis ins Bewusstsein. Oft reicht schon ein harmloser Außenreiz wie eine rote Ampel, um das Ereignis wieder hochkommen zu lassen.

Ein Forscherteam der amerikanischen Eliteuniversität Harvard will nun eine neue Methode gefunden haben, diese Symptome in den Griff zu bekommen: Offenbar löscht das Einatmen von Xenongas die Erinnerung an traumatische Erlebnisse vorübergehend – zumindest bei Nagern.

Den Schlüssel dazu liefert ein Prozess, den Psychologen "Rekonsolidierung" nennen: Rufen wir vergangene Erlebnisse aus dem Gedächtnis ab, werden unsere Erinnerungen für einen kurzen Moment instabil und somit offen für Änderungen. Anschließend werden die Ereignisse erneut im Langzeitgedächtnis abgespeichert.

Ein Gas gegen die Angst

Die Arbeitsgruppe um den Psychologen Edward Meloni versuchte nun, sich diesen Effekt zu Nutze zu machen. Zunächst lehrte sie Laborratten das Fürchten. Jedes Mal, wenn die Tiere einen schrillen Ton hörten, bekamen sie einen kurzen Elektroschock. Nach kurzer Zeit erstarrten die Ratten daher schon dann, wenn sie nur das Geräusch wahrnahmen. Atmeten die Tiere allerdings gleich danach eine schwache Dosis Xenon ein, linderte das die Furchtreaktion bei zukünftigen Begegnungen mit dem Reiz. Sie konnten den Ton dann hören, ohne in Schockstarre zu verfallen.

Verantwortlich für diese Verhaltensänderung ist eine spezielle Eigenschaft des Xenongases: Der Stoff blockiert die Andockpunkte der so genannten NMDA-Rezeptoren, die im menschlichen Gehirn Prozesse wie Lernen und Gedächtnis steuern. Gerade bei der Rekonsolidierung von angstvollen Gedächtnisinhalten spielen die Rezeptoren eine Schlüsselrolle. Vermutlich werden die Erinnerungen an den Schmerzreiz also durch das Einatmen von Xenon manipuliert – und anschließend in milderer Form wieder abgespeichert.

Ob eine solche "Behandlungsmethode" auch Menschen helfen könnte, die nach einem schlimmen Erlebnis unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden, bleibt bislang noch unklar. Gänzlich neu ist die Idee allerdings nicht. So zeigte der Psychiater Roger Pitman etwa, wie das Blutdruckmedikament Propanolol die Erinnerung an traumatische Ereignisse schwächt.

Berichte über gedächtnisverändernde Wirkstoffe ziehen oft eine Welle der Empörung nach sich. Schon im Jahr 2003 stellte sich der Bioethikrat des US-Präsidenten gegen sämtliche Pläne, das Gedächtnis von Traumaopfern durch Medikamente zu beeinflussen. Die Mittel könnten den Menschen ihr Identitätsgefühl nehmen und ihr Leben weniger authentisch machen. Der Neuroethik-Experte Adam Kolber hält dagegen: Die Medikamente würden die tief greifenden emotionalen Nachwirkungen der Traumata lindern. So würden sie den Betroffenen überhaupt erst ermöglichen, sich gefasst mit dem Vergangenen auseinanderzusetzen.

Zumindest aus medizinischer Sicht ist die Gabe von Xenon unbedenklich. Anästhesisten schätzen das Edelgas als sicheres und nebenwirkungsarmes Narkosemittel. Auf Grund des vergleichsweise hohen Preises wird es allerdings bisher nur selten eingesetzt.

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