News: Xenon versetzt in tiefen Schlummer
Anlaß dafür, das Edelgas intensiv zu beforschen, um es für die Anästhesie auf breiter Basis fruchtbar machen zu können, gab es hinlänglich: es beeinträchtigt die Kreislaufstabilität nicht, läßt den Patienten sowohl den Schlaf als auch das Aufwachen aus der Narkose subjektiv nicht als unangenehm empfinden, gewährleistet – da es einen niedrigen Blutlöslichkeitskoeffizienten hat – kurze An- und Abflutungszeiten und ist infolgedessen sehr gut steuerbar. Und obwohl der Patient aus der Xenon-Narkose rasch aufwacht, bleibt die Schmerzhemmung gleichwohl noch mehrere Stunden nach dem Eingriff erhalten. Das hat insofern große Bedeutung, als die Schmerzmittel, die zusätzlich zu den gängigen Anästhetika verabfolgt werden müssen (in der Regel Opiatderivate), die Atmung deprimieren. Dadurch verlängert sich die Aufenthaltsdauer im Aufwachraum, und auch auf der peripheren Station ist eine mehrstündige Überwachung unerläßlich. Besonders groß ist die Gefahr der Atemdepression, wenn postoperativ weitere Schmerzmittelgaben erforderlich sind. Traditionelle Anästhetika haben darüber hinaus kardiovaskuläre Nebenwirkungen.
Den gebräuchlichen volatilen (flüchtigen) Anästhetika haften noch weitere Negativmerkmale an, die erheblich ins Gewicht fallen. Sie gehören überwiegend zu den Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKWs) und tragen damit zur Zerstörung der Ozonschicht in der Atmosphäre bei. Lachgas (N2O) gilt als Treibhausgas. Den Substanzen werden überdies teratogene (fruchtschädigende) Wirkungen nachgesagt, was zu einem Arbeitsverbot für Schwangere in Operationsbereichen während der Anwendung der Inhalationsanästhetika geführt hat. Die gleichfalls traditionellen intravenösen anästhetischen Pharmaka wiederum belasten durch ihre Abbauprodukte die Abwässer. Als besonders wassertoxisch ist Phenol eingestuft, das aus Alkylphenol entsteht.
Die Forschungen Georgieffs und seiner Mitarbeiter, deren Ziel es war, das medizinisch und ökologisch überlegene Xenon konkurrenzfähig zu machen, führten schließlich vom Recyclinggedanken im Kontext der respiratorischen Anwendung zu einer Verwandlung des Gases in ein intravenöses Pharmakon. Schon seit rund vier Jahrzehnten werden Fettemulsionen in der künstlichen intravenösen Ernährung angewendet. Dieselben Fettemulsionen lassen sich auch als Träger für Pharmaka nutzen. Xenon ist eine lipophile Substanz, wird mithin in Fett gut gelöst, das ihm deshalb als Transportvehikel dienen kann. Anders als bei der Aufnahme des Gases über die Lunge wird Xenon an einem Lipidträger im Körper nicht großflächig verteilt. Die Verringerung des Verteilungsraumes innerhalb der Kreislaufbereiche vermindert die erforderliche Dosis drastisch. Der Bedarf für eine zweistündige Narkose liegt bei etwa 0,15 Litern, also beinahe um den Faktor 100 unter dem der Xenon-Respirationsnarkose, und dürfte noch weiter verminderbar sein. Auch die analgetische Wirkung ist hoch, so daß keine zusätzlichen Schmerzmittel gegeben werden müssen. Darüber hinaus sinkt der Bedarf an muskelentspannenden Additiven (Muskelrelaxantien). Die Lungenmechanik bleibt unbeeinträchtigt, da die Xenongesamtmenge im Atemgas um mehr als neunzig Prozent vermindert wird. Jedoch erfolgt die Elimination ausschließlich über die Lunge, was die kontinuierliche exspiratorische, in der Atem-Abluft durchgeführte, Konzentrationsmessung und damit eine genaue Steuerung der Narkosetiefe ermöglicht.
Bis zur Marktreife und Zulassung des lipidgebundenen Xenons als intravenöses Narkotikum werden allerdings noch zwei bis drei Jahre vergehen. Doch hat Georgieff sowohl für das Shuttle-Modell der Lipide als auch für die Technik der Überwachung der Narkosetiefe anhand der vom Patienten ausgeatmeten Luft (im sogenannten "Closed-Loop-Verfahren") bereits weltweit Patente angemeldet.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom zwölf.5.1998
"Lachgas – ernsthaft betrachtet"
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