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News: Xenon versetzt in tiefen Schlummer

Das Edelgas Xenon wurde schon früher bei Operationen als Narkosegas eingesetzt. Es ist für die Patienten gut verträglich, war aber für den weiteren Einsatz zu teuer, da sehr große Mengen benötigt werden. Ulmer Wissenschaftler haben eine neue Methode entwickelt, mit der sie das Gas intravenös verabreichen. Die benötigte Menge reduziert sich dabei auf etwa ein Hundertstel des bisherigen Volumens.
"Xenon" ist Griechisch und bedeutet "das Fremde". Aber so fremd, wie sein Name will, ist das Element, 1898 von W. Ramsay und M. W. Tavers entdeckt, schon lange nicht mehr. Nun wird es bald noch viel bekannter werden. Die anästhetischen und analgetischen Eigenschaften des Edelgases kennt man schon seit Ende der dreißiger Jahre. Als Narkosegas bei einer Operation wurde es erstmalig 1951 eingesetzt. In weiteren Anwendungen erwies sich seine weitgehende Kreislaufneutralität, und so hätte es schon früh einen Siegeslauf antreten können, wenn seiner Verbreitung nicht die hohen Kosten entgegengestanden hätten. Bei respiratorischer Zufuhr werden für zwei Narkosestunden etwa zwölf Liter benötigt, die derzeit mit etwa 800 bis 1000 DM zu Buche schlagen. Ein auf auf zwölf Liter begrenzter Verbrauch erfordert bereits geschlossene Narkosesysteme mit Recycling-Komponenten, ist also kaum weiter reduzierbar. Es kommt allerdings noch ein weiteres hinzu: Die hohe Dichte von Xenon (das Litergewicht ist viermal so hoch wie das von Luft) kann zu einer Beeinträchtigung der Lungenmechanik führen, so daß die Anwendung in der Respirationsnarkose bei Patienten mit obstruktiven Lungenerkrankungen (Rauchern, Asthmatikern) sowie bei Kindern ausscheidet. Daß Xenon nun aber dennoch im Begriff ist, alle Hürden zu überwinden und die Narkose zu revolutionieren, verdankt sich vieljährigen Forschungsarbeiten an der Ulmer Universitätsklinik für Anästhesiologie, die hier von Michael Georgieff und seiner Arbeitsgruppe durchgeführt worden sind. Den Durchbruch brachte die Idee, Xenon intravenös zu applizieren.

Anlaß dafür, das Edelgas intensiv zu beforschen, um es für die Anästhesie auf breiter Basis fruchtbar machen zu können, gab es hinlänglich: es beeinträchtigt die Kreislaufstabilität nicht, läßt den Patienten sowohl den Schlaf als auch das Aufwachen aus der Narkose subjektiv nicht als unangenehm empfinden, gewährleistet – da es einen niedrigen Blutlöslichkeitskoeffizienten hat – kurze An- und Abflutungszeiten und ist infolgedessen sehr gut steuerbar. Und obwohl der Patient aus der Xenon-Narkose rasch aufwacht, bleibt die Schmerzhemmung gleichwohl noch mehrere Stunden nach dem Eingriff erhalten. Das hat insofern große Bedeutung, als die Schmerzmittel, die zusätzlich zu den gängigen Anästhetika verabfolgt werden müssen (in der Regel Opiatderivate), die Atmung deprimieren. Dadurch verlängert sich die Aufenthaltsdauer im Aufwachraum, und auch auf der peripheren Station ist eine mehrstündige Überwachung unerläßlich. Besonders groß ist die Gefahr der Atemdepression, wenn postoperativ weitere Schmerzmittelgaben erforderlich sind. Traditionelle Anästhetika haben darüber hinaus kardiovaskuläre Nebenwirkungen.

Den gebräuchlichen volatilen (flüchtigen) Anästhetika haften noch weitere Negativmerkmale an, die erheblich ins Gewicht fallen. Sie gehören überwiegend zu den Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKWs) und tragen damit zur Zerstörung der Ozonschicht in der Atmosphäre bei. Lachgas (N2O) gilt als Treibhausgas. Den Substanzen werden überdies teratogene (fruchtschädigende) Wirkungen nachgesagt, was zu einem Arbeitsverbot für Schwangere in Operationsbereichen während der Anwendung der Inhalationsanästhetika geführt hat. Die gleichfalls traditionellen intravenösen anästhetischen Pharmaka wiederum belasten durch ihre Abbauprodukte die Abwässer. Als besonders wassertoxisch ist Phenol eingestuft, das aus Alkylphenol entsteht.

Die Forschungen Georgieffs und seiner Mitarbeiter, deren Ziel es war, das medizinisch und ökologisch überlegene Xenon konkurrenzfähig zu machen, führten schließlich vom Recyclinggedanken im Kontext der respiratorischen Anwendung zu einer Verwandlung des Gases in ein intravenöses Pharmakon. Schon seit rund vier Jahrzehnten werden Fettemulsionen in der künstlichen intravenösen Ernährung angewendet. Dieselben Fettemulsionen lassen sich auch als Träger für Pharmaka nutzen. Xenon ist eine lipophile Substanz, wird mithin in Fett gut gelöst, das ihm deshalb als Transportvehikel dienen kann. Anders als bei der Aufnahme des Gases über die Lunge wird Xenon an einem Lipidträger im Körper nicht großflächig verteilt. Die Verringerung des Verteilungsraumes innerhalb der Kreislaufbereiche vermindert die erforderliche Dosis drastisch. Der Bedarf für eine zweistündige Narkose liegt bei etwa 0,15 Litern, also beinahe um den Faktor 100 unter dem der Xenon-Respirationsnarkose, und dürfte noch weiter verminderbar sein. Auch die analgetische Wirkung ist hoch, so daß keine zusätzlichen Schmerzmittel gegeben werden müssen. Darüber hinaus sinkt der Bedarf an muskelentspannenden Additiven (Muskelrelaxantien). Die Lungenmechanik bleibt unbeeinträchtigt, da die Xenongesamtmenge im Atemgas um mehr als neunzig Prozent vermindert wird. Jedoch erfolgt die Elimination ausschließlich über die Lunge, was die kontinuierliche exspiratorische, in der Atem-Abluft durchgeführte, Konzentrationsmessung und damit eine genaue Steuerung der Narkosetiefe ermöglicht.

Bis zur Marktreife und Zulassung des lipidgebundenen Xenons als intravenöses Narkotikum werden allerdings noch zwei bis drei Jahre vergehen. Doch hat Georgieff sowohl für das Shuttle-Modell der Lipide als auch für die Technik der Überwachung der Narkosetiefe anhand der vom Patienten ausgeatmeten Luft (im sogenannten "Closed-Loop-Verfahren") bereits weltweit Patente angemeldet.

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