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Zahnerosion: »Einmal zerstörter Zahnschmelz ist verloren«

Vieles, was wir im Sommer konsumieren, schädigt die Zähne. Experte Adrian Lussi über die zerstörerische Wirkung von Energydrinks, Sekt und Fruchteis. Und den Inhaltsstoff, der Bier und Rotwein zahnfreundlich macht.
Eine lachende Person hält ein Getränk mit einem Farbverlauf von Lila zu Rot in der Hand. Im Vordergrund ist ein weiteres rotes Getränk zu sehen. Die Szene spielt sich in einem Außenbereich mit Pflanzen und anderen Menschen im Hintergrund ab. Die Atmosphäre wirkt entspannt und fröhlich.

Herr Lussi, angenommen, Sie sind auf eine Sommerparty eingeladen: Welchen Drink wählen Sie?

Wasser! Ich trinke fast keinen Alkohol, höchstens mal ein Bier. Das ist zwar sauer, aber nicht erosiv, im Gegensatz zu vielen anderen Getränken.

Was bedeutet erosiv?

Viele saure Speisen und Getränke lösen unter anderem Kalziumionen aus dem Zahn. Dadurch wird die Zahnoberfläche weicher. Der Zahnschmelz wird dann eher abgerieben, sei es durch die Zunge, den Kontakt zur Wange oder eben auch durch das Putzen der Zähne.

Raten deshalb manche Zahnärzte, nach dem Verzehr von etwas Saurem zu warten, bis man sich die Zähne putzt?

Diese Ansicht ist veraltet. Heute empfehlen wir wieder: sofort nach dem Essen die Zähne putzen, um Zucker und Bakterien zu entfernen, damit diese möglichst wenig Zeit haben, Karies zu verursachen. Das ist immer noch das Hauptproblem in der Gesamtbevölkerung. Außerdem wissen wir mittlerweile: Es würde Wochen bis Monate nach dem Essen von etwas Saurem dauern, bis der Zahnschmelz wieder so hart wäre, dass er der Reibung durch Zahnbürste oder Zunge widerstehen könnte. Deshalb bringt es nichts, eine halbe Stunde zu warten mit dem Putzen.

Das heißt, wir haben ständig aufgeweichte Zähne?

Das kann man so sagen. Als junger Mensch hat man sehr kleine wulstförmige Erhebungen auf den Zähnen. Mit dem Alter werden diese abgeschliffen, die Zähne dadurch glatter. Wird der Zahnschmelz weiter abgetragen, erscheinen die Zähne gelblich – das ist das durchscheinende Dentin. Es ist ein normaler Alterungsprozess, der beschleunigt wird durch erosive Lebensmittel.

Adrian Lussi | Adrian Lussi studierte erst Chemie an der ETH Zürich (Diplom 1979), bevor er sich der Zahnmedizin verschrieb. Er war Direktor der Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin der Universität Bern, bis er 2018 emeritiert wurde. Heute forscht er in Teilzeit weiter, insbesondere zum Thema Zahnerosion. Vor zwei Jahren publizierte er eine umfangreiche Liste, die Erosivität von 226 Konsumartikeln analysiert.

Sind Erosionen mehr als ein optisches Problem?

Einmal zerstörter Zahnschmelz ist verloren, die Zähne können durch Erosion empfindlich gegenüber Kälte, Wärme und Saurem werden. Etwa jeder Dritte hat eine sichtbare Erosion. Diese Defekte nehmen im Alter zu. Besonders junge Männer haben aber mehr Zahnerosionen – weil sie oft Energydrinks trinken. Wir haben in umfangreichen Studien Zähne in die verschiedensten Getränke eingelegt und dabei gesehen, dass Energydrinks zu den erosivsten gehören.

Warum?

Sie enthalten, genau wie viele Sportgetränke und Softdrinks, viel Zitronensäure. Diese zerstört auch die Bilanz beim Bier: Radler oder auch Biermischgetränke mit anderen Fruchtgeschmackszusätzen sind ebenfalls sehr erosiv.

Heißt das denn, Zitronensaft ist sehr erosiv? 

Ja, sich einen Zitronenschnitz in die Backe zu legen, um sich zu erfrischen, ist kontraproduktiv.

Und die Zitrone im Wasser?

Macht das Wasser auch erosiv, aber in viel geringerem Umfang als etwa ein Energydrink, weil viel weniger Zitronensaft ins Wasser kommt. Die Zitrone wird ja meist nicht ausgedrückt.

Eine neue Studie aus Brasilien legt nahe, dass man Energydrinks durch Zusatz von Kalzium zahnverträglicher machen könnte. Was halten Sie davon?

Das haben wir schon vor zwei Jahren so publiziert! Durch Zusatz von Kalzium konnten wir das erosive Potenzial von Getränken und Speisen eindeutig reduzieren. Allerdings: Dadurch schmecken Getränke recht salzig und nicht mehr so erfrischend.

»Durch Zusatz von Kalzium konnten wir das erosive Potenzial eindeutig reduzieren«

Anders als ein reines Bier. Warum verursacht es trotz sauren pH-Werts keine Erosion?

Wir haben lange nach der Antwort gesucht und kennen sie erst seit Kurzem. Es gibt noch weitere Flüssigkeiten, auf die das zutrifft, etwa auf Karottensaft oder einen von uns getesteten Hustensaft. Auf die richtige Spur kamen wir durch Wein. Vom gleichen Hügel haben wir einerseits Rotwein und andererseits daraus gefilterten Weißwein getestet. Der Rotwein war sauer, der Weißwein auch. Der Rotwein hat jedoch im Gegensatz zum Weißwein keine Erosionen verursacht. Aus dem Weißwein waren die Polyphenole durch das Filtern verschwunden. Und genau diese Stoffgruppe findet sich ebenso in Rübensaft, dem Hustensaft – und dem Bier.

Wie wirken Polyphenole?

Sobald ein Zahn mit Speichel in Berührung kommt, bildet sich die sogenannte Pellikel, eine dünne Schicht aus im Speichel enthaltenen Proteinen. Die Hypothese ist, dass Polyphenole diese widerstandsfähiger macht und so den Zahnschmelz vor Erosionen schützt. Wir stellen uns vor, dass sich die Polyphenole sehr schnell einlagern und die Säure, die auch im Getränk erhalten ist, quasi das Nachsehen hat.

Kann man sagen, dass Weißwein generell erosiver ist als Rotwein?

Nicht immer, aber tendenziell schon, weil Rotwein einfach mehr Polyphenole hat. Champagner ist übrigens noch bedeutend erosiver als Weißwein.

Wie könnte man eine zahnfreundliche Bowle zubereiten?

Da ist doch Sekt drin? Also eine zahnfreundliche Bowle gibt es meines Wissens nicht. Da muss man halt mal ein bisschen sündigen.

Beugt es Zahnschmelzverlust vor, wenn man gleich nach dem sauren Getränk einen zuckerfreien Kaugummi kaut?

Kaugummi stimuliert die Speichelsekretion wunderbar, sodass die Säure neutralisiert wird. Das stoppt den Prozess, der Zahnschmelz wird also nicht mehr weicher. Hart wird er dadurch allerdings nicht mehr. Kaugummi kann keine Erosionsschäden reparieren.

»Energydrinks gehören zu den erosivsten Getränken«

Gerade im Sommer essen viele gerne saures Obst – Stachelbeeren, Johannisbeeren, Erdbeeren, Heidelbeeren. Ist saures Obst ebenfalls erosiv?

Schon, aber viele, vor allem dunkle Früchte enthalten auch Polyphenole. Und sie sind gesund. Nur an die Erosion denken, ist ja auch nicht zielführend. Wenn ich Heidelbeeren esse, sind sie übrigens ein bisschen erosiv. Doch wenn ich sie mit Wasser verdünne, werden sie erosiver. Die Säure löst sich im Wasser und kann dann besser überspringen auf den Zahn.

Obst als Ganzes zu essen ist also generell besser, als es in Form von Fruchtsaft zu trinken?

Sowieso ist das Obst am Stück gesünder, weil man dann noch die Ballaststoffe drin hat. Und wenn man kaut, wird der Speichelfluss angeregt, wodurch die Säure schneller neutralisiert und die Erosion gestoppt wird. Allerdings gibt es einen Trick, mit dem man die Erosivität von Obst verringern kann.

Nämlich?

Wenn ich etwa einen Fruchtsalat mache, dann tue ich einfach einen halben Naturjoghurt dazu. Der ist zwar auch sauer, aber dermaßen voller Kalzium, dass er die Erosivität rausnimmt.

Die Sauce beim herzhaften Salat ist durch den Essig auch sauer – hilft es da ebenfalls, ein Milchprodukt zuzugeben?

Ja. Milch oder Sahne helfen – und am besten ist Joghurt, weil er sehr viel Kalzium enthält. Da kommt die Säure gar nicht auf die Idee, den Zahn anzugreifen.

Beim Nachtisch ist Eis beliebter als Joghurt. Ist Milcheis denn besser als Fruchteis?

Viel Zucker haben sie beide, und Speiseeis haben wir nicht untersucht. Aber wenn Fruchtsaftkonzentrate enthalten sind und insbesondere Zitronensäure, dann ist Eiscreme erosiv. Wassereis mehr als Milcheis, denn in Milcheis haben wir Kalzium als Ausgleich.

»Bedenklich finde ich, wenn ausgerechnet Produkte für Kinder extrem sauer sind«

Heißt das, wenn ich nach Verzehr von etwas Saurem einen Schluck Milch trinke, kann ich die Erosion stoppen?

Wenn ich Milch nachtrinke oder Wasser, dann wird der Rest der Säure, der auf den Zähnen sitzt, weggeschwemmt. Eine Remineralisation findet zwar nicht statt, doch ein Stopp der Zahnschmelzerweichung.

Wie groß die Erosion wird, hängt also immer auch davon ab, wie lange die Säure im Mund wirkt?

Absolut. Ein Sportgetränk nimmt man schluckweise zu sich über eine halbe Stunde, Stunde, während man Sport macht. Wenn das sauer ist und kein Kalzium enthält, dann erweicht man den Zahnschmelz über eine lange Zeit.

Bonbons sind somit besonders problematisch?

Ja, und viele sind sehr erosiv, vor allem solche mit Fruchtgeschmack, denn hier ist wieder oft Zitronensäure drin. Bedenklich finde ich, wenn ausgerechnet Produkte für Kinder extrem sauer sind. Wir haben etwa Cola-Fruchtgummi getestet – und es gab kaum etwas Erosiveres in unserer Untersuchung.

Wenn die Milchzähne geschädigt werden – ist das ein Problem für die bleibenden Zähne?

Wenn sich ein Kind an erosive Getränke und Süßigkeiten gewöhnt hat, ist es schwierig, diese Gewohnheit wieder zu ändern, sobald die bleibenden Zähne kommen. Außerdem enthalten diese Genussmittel auch sehr viel Zucker und erhöhen das Risiko für Karies. Sie kann Kindern im fortgeschrittenen Stadium große Schmerzen bereiten – und wenn ihnen ein Milchzahn gezogen werden muss, fehlt der Platzhalter für den bleibenden Zahn. Ich rate dazu, Süßes und Saures Kindern nur sehr begrenzt zu geben. Wasser ist die beste Erfrischung!

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  • Quellen

Allegrini Kairalla, C. et al.: Journal of Dentistry 10.1016/j.jdent.2025.105935, 2025

Lussi, A. et al.: Swiss Dental Journal 10.61872/sdj-2023–07–08–01, 2023

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