Direkt zum Inhalt

Krebsforschung: Zelltausch

Mitochondrien, unsere zellulären Kraftwerke, führen genetisch ein Eigenleben. Das verleiht den lebenswichtigen Zellorganellen ein gefährliches Potenzial: bei Krebs.
Mitochondrium
Krebs – das Wort löst immer noch Angst und Schrecken aus. Besonders heimtückisch an dieser Krankheit ist die Fähigkeit mancher Tumoren quasi Ableger zu bilden, die den ganzen Körper überschwemmen. Wegen dieser Metastasen sind viele Krebsformen im Spätstadium nicht heilbar und enden tödlich.

Ausgelöst wird die fatale Krankheit häufig durch Veränderungen im Erbgut der Körperzellen, die sich daraufhin immer weiter teilen und so zu einer bösartigen Geschwulst heranwachsen. Doch nicht nur der Zellkern trägt genetisches Material, auch in den Mitochondrien, den Energiespendern der Zelle, befindet sich DNA. Wissenschaftler streiten sich daher um die Frage, ob Mutationen in diesen Zellorganellen ebenfalls Krebs verursachen können.

Tatsächlich reichert die mitochondriale DNA (mtDNA) deutlich mehr Mutationen an als ihre große Schwester im Zellkern. Dennoch bezweifeln etliche Forscher einen direkten Zusammenhang zwischen Krebs und Mitochondrien. Denn Gendefekte in der mtDNA werden – im Gegensatz zum Erbgut des Zellkerns – mütterlicherseits unweigerlich an den Nachwuchs weitergegeben. Dass sich bei diesen Kindern vermehrt Krebs bildet, ließ sich bislang jedoch nicht feststellen. Somit scheint die Entstehung von bösartigem Gewebe nicht in das unmittelbare Aufgabengebiet der Zellkraftwerke zu fallen.

Doch vielleicht löst eine fehlerbehaftete mtDNA erst zusammen mit weiteren Mutationen in der Kern-DNA die Krankheit aus. Könnte hier der Schlüssel für die gefährliche Metastasenbildung liegen?

Zur Klärung dieser Frage wählten die Forscher um Jun-Ichi Hayashi von der japanischen Universität Tsukuba zwei Lungenkrebs auslösende Mauszelllinien aus, die ein unterschiedliches Metastasierungspotenzial besitzen: P29-Zellen produzieren nur wenige Ableger, während sich die Linie A11 als besonders aggressiv erweist.

Mitochondrien-Tausch | Die Forscher entkernten P29- und A11-Zellen, um sie in einem zweiten Schritt mit kernhaltigen Zellen der jeweils anderen Linie zu fusionieren. Der Tausch der Mitochondrien veränderte im anschließenden Tierversuch die Fähigkeit der Zellen zu metastasieren: P29mtA11 entwickelten Metastasen, A11mtP29 nicht.
Die Krebsforscher führten nun einen eleganten Zelltausch durch: Sie fusionierten eine Linie, bei deren Zellen sie zuvor sämtliche Mitochondrien entnommen hatten, mit entkernten Zellen der zweiten Gruppe. So entstanden P29-Mischzellen mit A11-Mitochondrien sowie A11-Zellen, die nur P29-Mitochondrien enthielten.

Wie verhielten sich diese Mischgebilde? Die Forscher injizierten jeweils eine Zelllinie mit ausgetauschten Mitochondrien unter die Haut von Mäusen und fahndeten nach 18 Tagen in der Lunge der geopferten Tiere nach Metastasen-Knötchen.

Tatsächlich hatten die eigentlich stark metastasierenden A11-Zellen die Lunge nicht erreicht, wenn ihnen ihre eigenen Mitochondrien fehlten. Dagegen bildeten die an sich harmlosen P29-Zellen mit A11-Mitochondrien in der Lunge tödliche Metastasen. Es war also das mutierte mitochondriale Genom, das die Krebszellen auf Wanderschaft in ein anderes Gewebe geschickt hatte.

Ein zweites Tauschexperiment belegte, dass die Zellorganellen allein nicht als Schuldige gelten können: Mitochondrien aus den gefährlichen A11-Zellen konnten harmlose Körperzellen keineswegs in metastasierende Tumoren verwandeln.

Kontrolle der Atmungskette | Die Atmungskette wird sowohl durch Mitochondrien- als auch durch Kern-DNA reguliert. Bei defekter Atmungskette in den Mitochondrien steigt der Umsatz der Glykolyse im Zellplasma und erhöht die Sauerstoffmangel-Resistenz. Das wiederum könnte zu bösartigen Metastasen führen.
Was löst nun die Wanderschaft aus? Wie Hayashi und Co herausfanden, ist in den A11-Mitochondrien das Gen für das Protein NADH-Dehydrogenase mutiert. Dieses Enzym sitzt in der Mitochondrienmembran und spielt eine wichtige Rolle bei der Atmungskette, mit der die Zelle Energie produziert.

Auf Grund der Mutation entstehen in den Mitochondrien mehr reaktive Sauerstoff-Spezies als normal. Die gesteigerte Konzentration der Radikale aktiviert wiederum drei Gene im Zellkern, die unter anderem die Gefäßneubildung anregen – und somit auch die Ausbreitung der Tumoren fördern, die mit ausreichend Nährstoffen über das Blut versorgt werden wollen.

Als die Forscher die Sauerstoff-Verbindungen mit Radikalfängern wie N-Acetylcystein außer Gefecht gesetzt, verloren die Krebszellen ihre Fähigkeit, sich im Gewebe der Mäuse auszubreiten. Diese Chemikalien könnten damit – so hoffen die Wissenschaftler – therapeutisch eingesetzt werden, um die fatale Wanderung der Tumorzellen zu verhindern. Das Wort Krebs könnte damit vielleicht einmal seinen Schrecken verlieren.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.