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News: Zelluläre Fremdenintegration

Krankheiten und Ernährung hängen häufig eng zusammen. Vielleicht gilt dies auch für einen Bestandteil von rotem Fleisch und Milchprodukten, der sich interessanterweise in menschlichem Gewebe wiederfindet. Ob er gefährlich ist, lässt sich noch nicht sagen - aber das Immunsystem reagiert jedenfalls darauf.
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Ein Glas Milch zum Frühstück und sonntags Rinderbraten stehen bei vielen Menschen durchaus häufiger mal auf dem Tisch. Ersteres gilt durchaus als gesund, während über letzteres gelegentlich diskutiert wird: Die ungesättigten Fettsäuren und bestimmte, sich beim Kochen oder Braten bildende Substanzen stehen im Verdacht, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu fördern, vielleicht auch manche Entzündungsprozesse auszulösen.

Doch hinterlassen diese tierischen Produkte in unserem Körper offenbar noch ganz andere Spuren, berichten Ajit Varki von der University of California in San Diego und seine Kollegen. Die Wissenschaftler waren darüber gestolpert, dass in Krebsgewebe und Kindspech – dem Stuhl von Neugeborenen, der sich vor der Geburt angesammelt hat – eine Sialinsäureverbindung findet, die dort schlicht nicht sein dürfte: die so genannte N-Glykolylneuraminsäure (Neu5Gc). Für diese Verbindung fehlt uns Menschen das entsprechende Gen, wir können es also nicht herstellen. Aber wo kommt sie dann her?

Da viele Säugetiere – wie beispielsweise Rinder, Schweine und Schafe – Neu5Gc produzieren, vermuteten die Wissenschaftler Milch- und Fleischprodukte als Quelle des fremden Gastes. Zunächst einmal machten sie sich aber daran zu überprüfen, ob Neu5Gc tatsächlich den Weg ins menschliche Gewebe findet. Sie entwickelten einen Antikörper, der spezifisch auf die Substanz reagiert, und setzten ihn zunächst auf menschliche Zellkulturen an, die mit Neu5Gc versorgt wurden. Mit Erfolg: Schon zwei Tage nach Beginn der Diät in der Petrischale signalisierten die künstlichen Spürhunde Neu5Gc auf der Oberfläche der Zellen – die fremden Moleküle waren also offenbar bereitwillig aufgenommen und gleich weiter verarbeitet worden.

Ebenso fündig wurden die Wissenschaftler an Brustkrebstumoren, aber auch gesundem Gewebe von Föten wie von Erwachsenen, und zwar insbesondere in den Epithelien – den Abschlussgeweben – und den Blutgefäßen. Keine seltene Erscheinung also, die fremde Substanz im eigenen Körper.

Um nun zu klären, ob sie wirklich über die Nahrung dorthin gelangt, schritten die Wissenschaftler zum Selbstversuch. Nach einigen Tagen rein veganer Ernährung – also Abstinenz von jeglichen tierischen Produkten – gönnten sie sich einen Drink besonderer Sorte: Hundert Milliliter Wasser mit 150 Milligramm Sialinsäuren aus Schweinegewebe, darin auch die gesuchte Neu5Gc. Die nächsten sechs Stunden gab es Fruchtsaft und Sojamilch, während mehrmals Haare, Blutserum, Urin und Speichelproben entnommen und getestet wurden.

Den ungewohnten Morgentrunk überstanden die Forscher unbeschadet, und offenbar schieden sie auch das meiste der aufgenommenen Neu5Gc wieder aus. Nach zwei Tagen jedoch zeigte sich in den verschiedenen Proben plötzlich ein Anstieg der Neu5Gc-Gehalte, die dann nach vier bis acht Tagen wieder auf das niedrige Ausgangsniveau zurückkehrten. Die Schweine-stämmige Sialinsäure-Variante hatte also tatsächlich den Weg in die Zellen und von dort auf deren Oberfläche gefunden.

Besteht nun Grund zur Sorge? Dafür ist es aus wissenschaftlicher Sicht viel zu früh, warnen die Forscher. Stutzig macht sie allerdings, dass viele Menschen Antikörper gegen das Molekül tragen, es also in der Vergangenheit offenbar einmal eine Immunreaktion ausgelöst hat. Der Selbstversuch hatte nichts dergleichen gezeigt, vielleicht ist dafür eine langfristige Aufnahme oder eine andere Konzentration nötig, spekulieren Varki und seine Mitarbeiter. Eine solche Immunantwort könnte aber zu Entzündungsprozessen im Körper führen – passend zu Ergebnissen, wonach eine vegetarische Ernährung beispielsweise rheumatische Arthritis zu lindern scheint. Und vielleicht schlägt Neu5Gc auch eine Brücke zwischen Fleischkonsum und Krebs; ein Zusammenhang, für den normalerweise die gesättigten Fettsäuren in rotem Fleisch verantwortlich gemacht werden.

Um derartige Verknüpfungen zu klären und womöglich neu entstandene Ängste zu beruhigen, sind nun erst einmal groß angelegte Studien an ganzen Bevölkerungsgruppen nötig, betonen die Forscher. Dann erst wird sich zeigen, ob die zelluläre Fremdenintegration von Nachteil ist – oder einfach völlig nebensächlich.

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