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News: Zeuge aus der Vergangenheit

Die meisten Meteoriten fallen völlig unbemerkt auf die Erde. Nicht so der Tagish-Lake-Meteorit, der Anfang 2000 unter der Anteilnahme zahlreicher Augenzeugen mit großem Getöse auf einen zugefrorenen See im Westen Kanadas stürzte. Es schien geradezu, als habe der Meteorit auf sich aufmerksam machen wollen, denn im Labor zeigte sich, dass die kostbaren Fragmente aus dem ältesten Material bestehen, das der Mensch je in den Händen hielt.
Am 18. Januar 2000 wurden Bewohner im Westen Kanadas Zeugen eines seltenen Schauspiels. Es war noch früh am Morgen, als mit einem Mal ein Feuerball, hell wie die Sonne, den Himmel querte, so heftig explodierte wie fünf bis zehn Tonnen TNT und dann jenseits des Horizonts verschwand. Vermutlich war der Brocken so groß wie ein Kleinbus und wog um die 200 bis 250 Tonnen, bevor er in Tausend Stücke flog und über dem zugefrorenen Tagish Lake niederregnete.

Dass es sich dabei um einen ganz besonderen Meteoriten handelte, das wussten die Forscher schon, als sie die ersten Brocken aus dem Eis klaubten. Ganz offensichtlich war da ein besonders frühes Zeugnis der Entstehung unseres Sonnensystems auf die Erde gestürzt, denn die schwarzen und krümeligen Klumpen gehörten zu einem kohligen Chondriten.

Die kohligen Chondrite sind die primitivsten Meteorite und spiegeln die Zusammensetzung der Gas- und Staubwolke wider, aus dem unser Sonnensystem entstand. Sie enthalten Wasser und einige Prozent organischen Kohlenstoffs, der beweist, dass diese Gesteine niemals geschmolzen waren und somit am ehesten von den chemischen Bedingungen im solaren Urnebel zeugen. Einzelne Bestandteile der kohligen Chondrite sind sogar noch älter als unser Sonnensystem.

Takahiro Hiroi von der Brown University in Providence und seine Mitarbeiter konnten jetzt ziemlich genau sagen, wo der Tagish-Lake-Meteorit her kam, wo er also einst seine lange Reise zur Erde antrat. Dazu verglichen sie die Reflexionsspektren des Meteoriten mit Daten des Infrared Astronomical Satellite (IRAS), der in den frühen 80er Jahren Infrarotspektren von mehr als 20 000 Objekten im Sonnensystem aufnahm.

Demnach reflektiert der Tagish-Lake-Meteorit gerade einmal drei Prozent des einfallenden Lichts, sodass es sich dabei eindeutig um das Fragment eines so genannten D-Typ-Asteroiden handelt, von denen die meisten Forscher glauben, dass sie von allen Asteroiden die ältesten sind. Sie finden sich in den mittleren und äußeren Bereichen des Asteroidengürtels, der zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter liegt. Die Forscher haben sogar ganz bestimmte Brocken im Verdacht, nämlich 368 Haidea oder 773 Irmintraud.

Eine andere Arbeitsgruppe unter der Leitung von Sandra Pizzarello von der Arizona State University interessierte sich dagegen vornehmlich für die chemischen Eigenarten des Meteoriten. Und was für den Laien zunächst enttäuschend klingt, ist für die Forscher Grund heller Begeisterung. Denn obgleich der Tagish-Lake-Meteorit vier bis fünf Prozent Kohlenstoff enthält, fanden sich in ihm im Gegensatz zu anderen kohligen Chondriten keinerlei Aminosäuren.

Stattdessen enthielt er vornehmlich leichte Kohlenstoffverbindungen, wie Carbonsäuren, aromatische Kohlenwasserstoffe und die so genannten Buckyballs oder Fullerene, kugelige Kohlenstoffmoleküle in deren käfigartiger Struktur Helium und Argon gefangen waren - und zwar in ähnlichen Verhältnissen, wie sie auch für die Gas- und Staubwolke angenommen werden, aus denen die Planeten unseres Sonnensystems entstanden.

Der Tagish-Lake-Meteorit ist das älteste Material, das der Mensch je in den Händen hielt und enthält organische Substanzen, wie sie auf der Erde Grundstoff allen Lebens sind. Die im Vergleich mit anderen kohligen Chondriten einfachere Zusammensetzung dieser Moleküle weist darauf hin, dass die Kohlenstoffverbindungen in der Frühzeit des Sonnensystems vor mehr als 4,5 Milliarden Jahren bereits eine bedeutsame Entwicklung durchliefen.

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