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Artenschutz: Zoff um Papageien in Deutschland

Ein Hurrikan hat ihre Zahl beträchtlich reduziert. Ein deutscher Züchter hat deshalb zwei bedrohte Papageienarten nach Deutschland geholt. Doch das gab internationalen Ärger.
Kaiseramazone

In der Nacht vom 18. auf den 19. September 2017 verwüstete Hurrikan »Maria« den karibischen Inselstaat Dominica. Die 70 000 Einwohner der kleinen Nation mussten 31 Tote und den nahezu kompletten Verlust ihrer Infrastruktur beklagen. Die meisten Häuser wurden zerstört, Straßen und Dörfer von Erdrutschen verschüttet, große Teile der Wälder wurden entlaubt, Landwirtschaft und Fischerei lagen am Boden. »Es fühlt sich an, als sei Dominica erledigt«, sagte eine Dominicanerin einige Wochen nach dem Sturm der britischen Zeitung »The Guardian«, und Premierminister Roosevelt Skerrit sprach von Zuständen »schlimmer als in einem Kriegsgebiet«. Mit internationaler Hilfe versucht die ehemals tropisch grüne Insel nun wieder auf die Beine zu kommen. Doch gleichzeitig hängt die neue Hurrikansaison, die im Juni beginnt, wie ein Damoklesschwert über dem Eiland. Dominica gehört zur karibischen Inselgruppe der Kleinen Antillen und liegt zwischen den französischen Exklaven Guadeloupe im Norden und Martinique im Süden, ist also nicht zu verwechseln mit der Dominikanischen Republik, die sich etwa 850 Kilometer weiter nordwestlich eine große Insel mit Haiti teilt.

Vor dem Hurrikan war der Naturtourismus neben Landwirtschaft und Fischerei die wichtigste Einkommensquelle für die Bevölkerung. Die bergige Vulkaninsel Dominica ist mit tropischem Wald bedeckt, Traumstrände umgeben die Insel und Wale tauchen vor der Küste: ein Paradies für Wanderer und Naturliebhaber. Die »Touristen«, die momentan kommen, krempeln die Ärmel hoch und wollen beim Wiederaufbau helfen. Auch der Wald wird sich erholen, aber es wird dauern – und für manche der einheimischen Waldbewohner ist es vielleicht schon zu spät. Denn auf Dominica leben zwei endemische, also ausschließlich dort vorkommende Papageienarten: die Kaiseramazone (Amazona imperialis), von den Einheimischen Sisserou genannt und als Wappentier der ganze Stolz der Dominicaner, sowie die Blaukopfamazone (Amazona arausiaca), vor Ort Jaco genannt.

Die Kaiseramazone war bereits vor dem Wirbelsturm sehr selten. Nach dem letzten verheerenden Hurrikan im Jahr 1979 hatten nur etwa 70 Tiere überlebt, dann erholte sich der Bestand langsam wieder. 2017 schätzte Birdlife International den Bestand auf maximal 350 Kaiser- und 1000 Blaukopfamazonen. Neben dem durch den Menschen verursachten Lebensraumverlust setzen vor allem schwere Stürme den Papageien zu. Gab es früher auch mal ein paar Jahre Ruhe in den Kleinen Antillen, wird die Insel seit 2011 jedes Jahr im August oder September von einem schweren Tropensturm heimgesucht. Nun könnte »Maria« dem dominicanischen Nationalvogel den Todesstoß versetzt haben. Wie viele Kaiseramazonen den Tropensturm überlebt haben, weiß niemand so recht: Bislang wurden insgesamt vielleicht nur 20 Tiere gesichtet. Eines davon wird nach dem Sturm aufgesammelt und in den Botanischen Garten von Dominica gebracht, wo bereits ein anderes Individuum gehalten wurde.

Kaiseramazone | Vielleicht haben nur 20 Kaiseramazonen den Wirbelsturm »Maria« überlebt. Damit wären die Papageien eine der seltensten Vogelarten weltweit.

Streit um gefiederte Raritäten

Am 17. März 2018 werden diese beiden Kaiseramazonen und zehn Blaukopfamazonen auf eine lange Reise von der staatlichen Aufzuchtstation in Dominica bis ins brandenburgische Schöneiche geschickt. Lokale Naturschützer sind entsetzt, sprechen von einer Nacht-und-Nebel-Aktion und starten eine Petition, um die Papageien auf die Insel zurückzuholen. Die offiziellen Reisepapiere der zwölf Amazonen stammen vom dominicanischen Landwirtschaftministerium und dem deutschen Bundesamt für Naturschutz. Und das Reiseziel sind die Volieren des Vereins zum Schutz bedrohter Papageienarten (Association for the Conservation of Threatened Parrots e. V., kurz ACTP), der seit 2006 an mehreren Standorten in Brandenburg große Volierenanlagen zur Nachzucht seltener Papageien aufgebaut hat. Hinter dem Verein steht der Berliner Martin Guth, seit seiner Kindheit passionierter Vogelliebhaber und Papageienzüchter. Guth hat, wie er sagt, aus seiner Zeit in der Bauwirtschaft gute Kontakte in die Immobilienbranche und konnte so mit der Unterstützung von Großspendern die aufwändigen und hochmodernen Zuchtanlagen mit mehr als 4000 Quadratmeter Volierenfläche finanzieren. Kritiker werfen ihm fehlende Transparenz vor und kreiden ihm an, dass Spender nicht genannt werden und es auf der ACTP-Website weder eine Satzung noch Jahresberichte abzurufen gibt. Das sei zum Schutz von Spendern, die Anonymität wünschten, erläutert Guth und fügt an, dass er sich primär dem Finanzamt und den Partnerregierungen zur Rechenschaft verpflichtet fühle.

Auf der anderen Seite des Atlantiks setzt sich die US-amerikanische Organisation Rare Species Conservation Fund (RSCF, Stiftung zum Schutz seltener Arten) seit rund zwei Jahrzehnten für die Erforschung und den Schutz der dominicanischen Natur und insbesondere auch der endemischen Papageien ein. Sie arbeitet dabei eng mit der Abteilung für Forst, Wildtiere und Nationalparks des dominicanischen Landwirtschaftsministeriums zusammen. Auch weitere international tätige Artenschutzorganisationen wie Birds Carribean und American Bird Conservancy mit Sitz in den USA sowie die deutsche ZGAP (Zoologische Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz e. V.) unterstützten immer wieder die Naturschutzarbeit vor Ort. In der örtlichen Wildtierrettungsstation konnten im Lauf der Jahre etliche verletzt gefundene Amazonen wieder aufgepäppelt und in die Freiheit entlassen werden. Eine Gefangenschaftsnachzucht der Kaiseramazonen gelang jedoch nur ein einziges Mal im Jahr 2010; sie gelten als notorisch schwierige Art in der Haltung.

Blaukopfamazone | Auch die Blaukopfamazone lebt auf Dominica: Sie ist dort weiter verbreitet und kommt häufig vor als die Kaiseramazone, hat aber ebenfalls Verluste durch den Wirbelsturm erlitten.
 

Martin Schaefer, Geschäftsführer der ecuadorianischen Naturschutzorganisation Fundación Jocotoco und Beirat der ZGAP mahnt jedoch zur Vorsicht: »Arten können schnell verschwinden, wie das Beispiel der Cozumelspottdrossel zeigt. Sie starb nach lokalem Missmanagement und einigen Stürmen in den 1990er Jahren in Mexiko aus.« Natürlich sei es immer besser, Nachzuchten direkt vor Ort zu fördern, aber wenn es die Umstände nicht erlaubten, sei auch die Haltung in Anlagen außerhalb des Verbreitungsgebietes der Art sinnvoll. Ziel sei es dann, eine Sicherungspopulation aufzubauen – für den Fall der Fälle. Etwa wenn nach einem weiteren Hurrikan auch noch die letzten verbliebenen Kaiseramazonen verschwinden sollten. Dazu wird das eine Paar Kaiseramazonen, das jetzt bei der ACTP in Deutschland ist, allerdings nicht ausreichen. Zumindest einige weitere Tiere aus Dominica müssten folgen.

Das aber wollen Lisa Sorenson von Birds Carribean und andere auf Dominica engagierte Naturschützer und Organisationen verhindern: »Wir sind überzeugt davon, dass sich die Amazonen am besten in ihrem natürlichen Lebensraum schützen lassen und fordern die Rückführung aller nach Deutschland gebrachten Tiere.« Die Papageien seien an Tropenstürme angepasst und hätten bereits wenige Wochen nach »Maria« wieder ausreichend Futter gefunden. Die Ausfuhrgegner unterstellen dem Staatssekretär im dominicanischen Landwirtschaftsministerium, dass er sich durch finanzielle Versprechungen von ACTP habe kaufen lassen. Martin Guth von der ACTP prangert hingegen unhaltbare Zustände in den Volieren auf Dominica an und spricht von einer Notrettung. Umstritten ist auch, ob die Nachzucht in Deutschland gelingen kann, selbst wenn einige weitere Tiere exportiert würden. Unklar ist beispielsweise, wie groß die genetische Vielfalt der Zuchtbasis sein muss, um Inzuchteffekte zu vermeiden.

Vom neuseeländischen Purpurhuhn lernen?

Ein Blick nach Neuseeland hilft da vielleicht. Dort gab es einen ähnlichen Konflikt unter Naturschützern, als es um die Strategie zur Rettung des flugunfähigen Purpurhuhns oder Takahe (Porphyrio hochstetteri) ging. Letztlich wurden dort einige der letzten 100 Wildtiere eingefangen und unter kontrollierten Bedingungen nachgezüchtet. Inwischen gibt es immerhin wieder rund 350 Takahes, die nach und nach in geeignete Lebensräume ausgewildert werden. Der neuseeländische Chathamschnäpper (Petroica traversi) konnte sogar aus nur einem fortpflanzungsfähigen Weibchen auf inzwischen wieder rund 500 Vögel nachgezüchtet werden, ohne dass gravierende Inzuchtprobleme aufgetreten wären. Es sei auch immer viel Zufall dabei, ob ungünstige vererbte Merkmale sich bei der Nachzucht durchsetzten oder nicht. Gerade bei ohnehin kleinen Inselpopulationen sei diese Gefahr aber geringer ausgeprägt, meint Martin Schaefer.

Bei den Amazonen existiert auch eine offizielle Stellungnahme des Bundesamts für Naturschutz: »In Dominica konnten nach dem letzten Hurrikan einzelne in Menschenobhut gehaltene Papageien nur unzureichend versorgt werden. Es bestand akuter Handlungsbedarf. Das Bundesamt für Naturschutz wurde in einem offiziellen Schreiben des Staatssekretärs im Ministerium für Landwirtschaft und Fischerei Dominicas um dringende Unterstützung beim Erhalt ihrer Nationalvögel gebeten.« Nach Angaben des BfN wurde ein Leih- und Zuchtvertrag abgeschlossen, der ausdrücklich vorsieht, dass die Tiere im Besitz des Staats Dominica bleiben und nachgezüchtete Tiere zur Auswilderung zurückgebracht werden. Außerdem engagiert sich ACTP auch vor Ort, etwa indem der Verein dem Forstdienst Geländefahrzeuge finanziert oder Mitarbeiter schult.

Martin Guth hat keinen wissenschaftlichen oder naturschutzfachlichen Hintergrund, aber er und die von ACTP beschäftigten Biologinnen, Tierpfleger und Tierärzte haben beachtliche Erfolge bei der Nachzucht seltener Papageien vorzuweisen. Bekanntestes Beispiel ist der brasilianische Spix-Ara (Cyanopsitta spixii), von dem der ACTP mittlerweile den größten Teil des bekannten Weltbestands hält. Die blaugrauen Vögel erlangten durch den Animationsfilm »Rio« weltweite Berühmtheit, sind aber in Freiheit seit dem Jahr 2000 ausgestorben. Neben dem Lebensraumverlust war vor allem der illegale Tierhandel maßgeblich an ihrem Verschwinden beteiligt. Um die Art zu erhalten, wurden vor einigen Jahren wohl fast alle der 55 in Gefangenschaft verbliebenen Tiere in drei Zuchtzentren versammelt; eines davon war das des ACTP in Brandenburg. Die Nachzucht läuft inzwischen sehr gut. »Nächstes Jahr werden wir 50 Spix-Aras aus dem aktuellen Bestand von 160 Tieren nach Brasilien zurückbringen, wovon 30 für die Auswilderung und 20 für die Nachzucht vor Ort bestimmt sind«, verspricht Guth – und diejenigen, die dem Berliner Papageienzüchter skeptisch gegenüber stehen, werden ihn daran messen.

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