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Jahresrückblick: Zu den Sternen und Grenzen des Wissens

Mit dem Reisebüro soll es demnächst ins Weltall gehen und möglichst gleich zur Feriensiedlung auf fremden Planeten. Dabei wissen wir noch nicht einmal, wie es am Rand des eigenen Sonnensystems aussieht. Immerhin liefern Raumsonden uns getreulich faszinierende Bilder von Mars und Saturn. Und zwischen den ganzen Rufen nach Wasser und Leben war tatsächlich sogar seriöse Wissenschaft zu erkennen.
Hubble
Wo werden Bausparer ihr Häuschen im Jahre 2030 errichten? Auf der Erde? Wie uncool! Wo doch ein 2004 gerade wiedergewähltes Staatsoberhaupt verkündet hat, die führende Raumfahrtnation der Welt werde möglichst schnell die kleinliche Internationale Raumsstation (ISS) hinter sich lassen und wirklich coole Trabantenstädte auf dem Mond errichten. Denn dort fließt das Gold in den reichlich vorhandenen Flüssen – und außerdem will man ja nur kurz zwischenstoppen auf dem Weg zum Mars. Die Crash-Serie der umbemannten Sonden auf dem roten Planeten war schließlich 2003, liegt also lange zurück und hat für die Zukunft, die jetzt beginnt, gar nichts zu bedeuten.
White Knight und SpaceShipOne | Noch am Boden, bald im Weltraum: SpaceShipOne und sein Trägerflugzeug
Apropos: In Zukunft reisen Herr und Frau Jedermann jedenfalls in den Orbit (Hawaii ist sowas von uncool!), in einem interplanetaren Greyhound-Shuttle mit Werbung für Cola und Zigaretten auf der Außenhülle. Das ist zumindest gar nicht so abwegig, denn in Sachen Raumfahrt könnte 2004 tatsächlich der private Durchbruch geschafft sein. Vorausgesetzt, man schreibt "raum" klein, denn in der Höhe von 112 Kilometern, die SpaceShipOne im Juni und Oktober erreicht hat, ist noch kein stabiler Orbit möglich. Wer so weit hinauffliegt, kommt schnell wieder herunter. Da werden die wenigen Sekunden oder allenfalls Minuten im "Weltall" schnell zur teuersten Zeit des Lebens, denn einige Hunderttausend Dollar dürfte der Trip später kosten. Ob das schon cool ist?

Venus-Transit | Kleiner Fleck mit großer Medienwirkung: Venus vor der Sonnenscheibe
Geld spielt keine Rolle – solange es um das private Vergnügen geht. Bei ernsthafter Forschung, die aus öffentlichen Mitteln gefördert wird, sieht es da schon ganz anders aus. So kämpfen die Fans des Weltraumteleskops Hubble das ganze Jahr über um das Überleben ihres Lieblings. Nach und nach kommt das berühmteste Fernrohr der Geschichte nämlich in die Jahre: Seine Messinstrumente fallen aus, die Kontrollmechanismen versagen, und die Batterien leeren sich. Ursprünglich war eine Space-Shuttle-Mission zur Wartung vorgesehen, doch die Nasa will dafür weder die finanziellen Mittel noch das Leben von Astronauten einsetzen – beides wird schließlich für den Flug zum Mars gebraucht. Die Schlacht gegen die Kürzungspläne ist Ende des Jahres noch nicht entschieden. Für Hubble sprechen die schönen Bilder aus dem All und die wissenschaftlich wertvollen Daten, aber ist das heutzutage noch cool?

Cassini-Huygens | Der Star des kommenden Jahres: Cassini-Huygens untersucht den Saturn
Beinahe ganz ohne Geld ging es am 8. Juni zu. Wer sich am Vormittag ein paar Minuten Zeit nehmen konnte, suchte mit hoffentlich geschützten Augen die Sonne, bei einigen freien Stunden fuhr er vermutlich zu einem Treffpunkt der Amateurastronomen, um einen Blick durch deren Teleskope zu erhaschen. Ein kleiner schwarzer Punkt war das Objekt der Medien-angefachten Begierde: Venus wanderte so genau zwischen Sonne und Erde hindurch, dass ihr Schatten vor der Sonnenscheibe zu sehen war. Was im 18. und 19. Jahrhundert noch eine seltene wissenschaftliche Gelegenheit war, um endlich einen brauchbaren Maßstab für die Entfernungen im Sonnensystem zu bekommen, war im Jahr 2004 sicherlich das größte Massenereignis im Science-Entertainment-Sektor. Einmal selbst den Abstand zwischen Erde und Sonne zu berechnen ... na, wenn das nicht cool ist.

Überhaupt hatten die Amateure 2004 ein gutes Jahr. Zwar sind ihre Teleskope bescheidene Winzlinge im Vergleich zu den immer größer werdenden Profiapparaten oder den Weltraumfernrohren für exotische Wellenlängen, aber dafür sind es viele. Praktisch überall auf der Welt wohnen die Liebhaber des Sternenhimmels, und einer guckt mit Sicherheit immer gerade nach oben. So bedeckt, dass kein einziger Amateur ausreichende Sichtbedingungen hat, kann es kaum werden. Das hat sich auch bemerkbar gemacht, als ein Forscherteam mit Teleskopen der gehobenen 4-Zoll-Amateurklasse regelmäßige Helligkeitsschwankungen eines Sterns registrierte. Den Wechsel verursachte ein Riesenplanet, der den Stern umkreiste – der erste Exoplanet, den ein kleines Fernrohr gefunden hatte. Was macht es da schon, wenn die "Großen" die Liste der Planeten außerhalb unseres Sonnensystems auf über 100 Einträge geschraubt haben, darunter sogar Exemplare, die möglicherweise nicht mehr ganz so riesig sind und vielleicht sogar Gesteinsanteile haben? Selber entdecken ist cool.

Die Profis entdeckten derweilen das eigene Sonnensystem wieder für sich. Vor allem die Frage, was denn eigentlich dort am Rand los ist, hat sie 2004 bewegt. Hinter dem Pluto geht es nämlich noch eine ganze Weile weiter. Mehr als 10 000 Objekte mit Durchmessern über 100 Kilometer gibt es da schätzungsweise im so genannten Kuipergürtel. Wohlgemerkt: "schätzungsweise". So ganz genau oder zumindest in etwa weiß das niemand, obwohl die Astronomen eines nach dem anderen aus dem fernen Inkognito gerissen haben. Rätselhaft ist auch, warum die Brocken aus Stein und Eis auf seltsam gekippten und lang gestreckten Bahnen um die Sonne wandern und warum in einer Entfernung, die dem 50fachen Abstand zwischen Erde und Sonne entspricht, ganz plötzlich Schluss ist. Immerhin gibt es erste Hypothesen. Danach ist mal der Neptun schuld, mal ein anderes junges Planetensystem, das mit unserem leicht zusammengerasselt ist. Wir sehen: Auf diesem Feld tut sich etwas. Vermutlich wird das Jahr 2005 uns mehr darüber beibringen. Könnte jedenfalls eine coole Sache werden.

360-Grad-Farb-Panorama | Ein Paradies für künftige Bausparer? Opportunitys Rundumblick auf dem Mars
Der Start ins nächste Jahr dürfte jedoch Cassini-Huygens gehören. Sieben Jahre war diese Doppelsonde auf dem Weg, im Juli ist sie endlich beim Ringplaneten angekommen. Schon unterwegs hat sie fleißig Daten gesammelt: Das Wetter auf dem Jupiter beobachtet, den Mond Phoebe als eingefangenen Fremdling aus dem Kuipergürtel identifiziert und festgestellt, das der Saturn sich immer langsamer um seine eigene Achse dreht. Kaum in der Umlaufbahn um den Planeten angelangt, entdeckte Cassini-Huygens gleich zwei neue Monde und einen zuvor unbekannten Ring. Und weil der Lander Huygens Mitte Januar auf dem Mond Titan mit seiner Stickstoff-Atmosphäre landen soll, haben die Forscher auch ihn etwas näher unter die Lupe genommen. Allerdings lässt Titan sich nicht so leicht unter seinen Dunstschleier schauen, und so werden wir abwarten müssen, ob Huygens dort unten fester Boden oder ein Meer aus flüssigem Methan und Ethan erwartet. Bei minus 179 Grad Celsius sicherlich nicht nur thermisch ein äußerst cooles Manöver.

Im Jahr 2004 stand aber ein anderer Planet unangefochten an der Spitze der Astro-Charts: der Mars. Die Wissenschaftler überboten sich gegenseitig mit der Neuigkeit: Es gibt Wasser auf dem Mars (in abgeschwächter Form sprachen einige besonnene Geister auch von "gab" oder bemühten sogar Vokabeln wie "vermutlich"). Dabei fing es gar nicht gut an. Die europäische Landesonde Beagle 2 flog los zum Mars und ward nie wieder gesehen oder gehört. Gar nicht so schlimm!, bemühten sich die Offiziellen zu verkünden, denn unsere Einheit in der Umlaufbahn hat gefrorenes Wasser auf dem Mars entdeckt! Gilt aber nicht, hielten die US-Amerikaner entgegen, weil unsere beiden Lander Spirit und Opportunity nämlich sicher auf der Oberfläche angekommen und schon fleißig am Untersuchen sind. Und außerdem haben sie Anzeichen für Wasser auf dem Mars entdeckt! So viel Wasser auf einem Schlag war dann doch ein bisschen viel. Erstmal für Spirit, der zwischenzeitlich den Dienst versagte und erst nach einer "Gehirnwäsche" mit frischer Software aus seiner Depression erwachte. Dann aber für das so vehement gesuchte Leben auf dem Mars: Bei diesen Mengen Wassereis an den Polen muss zwangsläufig der Anteil an gefrorenem Kohlendioxid viel kleiner sein als erwartet. Ohne Kohlendioxid kein Treibhauseffekt und kein Leben – der Mars wäre nass gewesen, aber tot. So schnell ist in der Wissenschaft allerdings nichts entschieden. Fleißig sammelten Spirit und Opportunity weiter Daten um Daten, vergaßen dabei, Feierabend zu machen und schuften bis zum Umfallen – oder bis die Batterien ausgehen.

Seien Sie darum nicht allzu sehr überrascht, wenn Sie 2030 in Ihrem coolen Vorgarten auf dem Mars stehen, ein kleiner, antik aussehender Roboter mutig an Ihrem Bein schnüffelt und dann zur Erde funkt: Es gibt Leben auf dem Mars! Hauptsache, Sie bleiben cool dabei!

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