Tag der Arbeit: Ostdeutsche sind mit ihrem Lohn unzufriedener
Hohe Anforderungen, wenig Lohn – diese Konstellation ist ein Risikofaktor für das körperliche und seelische Wohlbefinden. Ein solches Ungleichgewicht beklagen Beschäftigte in den neuen Bundesländern häufiger, berichtet ein Team um die Soziologin Lisa Braunheim, inzwischen am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden, in der Fachzeitschrift »Social Science & Medicine«.
Grundlage waren Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), einer deutschen Langzeitstudie, die in den Jahren 2006 und 2011 unter anderem nach Arbeit und Einkommen gefragt hatte. Das Team um Braunheim wertete nun die Angaben von jenen 3848 Erwachsenen aus, die zu beiden Zeitpunkten mindestens 15 Stunden pro Woche derselben Arbeit entweder in Ost- oder in Westdeutschland nachgegangen waren. Ausgeschlossen hatten sie diejenigen Beschäftigten, die extrem wenig oder extrem viel verdienten. Gefragt wurde unter anderem nach Kosten und Nutzen der Arbeit, gemäß dem Effort-reward-imbalance-Modell (ERI-Modell) von Ulrich Siegrist, dem zufolge Stress entsteht, wenn Beschäftigte den Eindruck haben, für ihre Anstrengungen nicht angemessen entlohnt zu werden. Außerdem wurde Überengagement erfasst, gemessen zum Beispiel daran, ob sie abends nach der Arbeit abschalten können.
Die Befragten in den neuen Bundesländern beschrieben sich demnach eher als überengagiert und fühlten sich häufiger nicht angemessen entlohnt. Zwar stieg das Nettoeinkommen zwischen 2006 und 2011 sowohl im Westen als auch im Osten deutlich – doch das Gefälle blieb. Überdies fanden im Osten weniger als die Hälfte der Befragten, dass sie ihrem Einsatz gemäß angemessen bezahlt würden.
Wer ein Missverhältnis zwischen Kosten und Nutzen seiner Arbeit sah, war tendenziell auch weniger zufrieden mit seinem Leben – im Osten wie im Westen. Aber nur in den neuen Bundesländern bedeutete ein hohes Einkommen an sich schon deutlich mehr Lebenszufriedenheit als ein niedriges: Auf einer Skala von null bis zehn machte das einen ganzen Punkt mehr aus. Im Osten lag die Lebenszufriedenheit im Schnitt bei knapp unter sieben Punkten und damit ein wenig niedriger als im Westen mit knapp über sieben Punkten.
Ein Ost-West-Gefälle in der Lohnzufriedenheit konnten die Forschenden unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildungsgrad und Arbeitsstunden nachweisen. In den alten wie in den neuen Bundesländern waren die Befragten zu Studienbeginn 2006 jeweils im Schnitt 42,6 Jahre alt; im Mittel arbeiteten sie im Osten pro Woche 42 Stunden, im Westen 40 bis 41 Stunden. Die Zahlen sind zwar schon mehr als zehn Jahre alt. Doch wie Lohnspiegel sowie Daten des Statistischen Bundesamts immer wieder belegen, ist die Lohnlücke zwischen Ost und West weiterhin groß.
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