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Hydroxychloroquin: Zweifel an zentraler Covid-19-Studie

Bestimmte Malariamittel sollen die Sterblichkeit von Covid-19-Patienten erhöhen. Das wollten Forscher kürzlich wieder belegt haben. Doch die genutzten Daten sind zweifelhaft.
Besser nur für Malaria? Ob Hydroxychloroquin gegen Covid-19 hilft ist nach wie vor unklar

Ende Mai haben zahlreiche Medien vermeldet: Die Malariamittel »Hydroxychloroquin und Chloroquin schaden mehr als sie nutzen«, darunter auch »Spektrum.de«. Grundlage für die Aussage war eine im renommierten Mediziner-Fachblatt »Lancet« erschienene Studie. Nun gibt es starke Zweifel an der Aussagekraft dieser Untersuchung. Die Quelle der annähernd 100 000 Patientendaten, aus denen die Autoren der Studie ihrer Schlussfolgerungen zogen, hat sich nach einer Recherche des britischen »Guardian« als überaus fragwürdig erwiesen.

Bereits eine Woche nach der Veröffentlichung der Studie hatten sich 120 Fachleute in einem offenen Brief an »Lancet« zu Wort gemeldet und Zweifel an der Untersuchung geäußert. Als Reaktion auf die Hinweise hat »Lancet« diese Studie nun mit einem Warnhinweis versehen.

Betroffen ist zudem eine weitere Studie, die im »New England Journal of Medicine« erschienen ist. Auch in diesem Fall distanzierte sich die Fachredaktion mit einem Hinweis von der Publikation. Offiziell zurückgezogen sind beide Veröffentlichungen damit nicht. Nun gilt es, zu klären, ob die Aussagen der Studien nach wie vor gedeckt sind.

In beiden Studien bezogen die Autoren ihre Daten von der in den USA ansässigen Firma Surgisphere. Diese will im Fall der Hydroxychloroquin-Studie die Wissenschaftler mit Patientendaten aus 671 Krankenhäusern aus elf Ländern versorgt haben. Insgesamt umfasse ihre Datenbank 1200 internationale Krankenhäuser. Dem immensen Aufwand, den die Beschaffung dieser Daten Fachleuten zufolge bedeutet, steht entgegen, dass die Firma nach Auskunft ihres Gründers Sapan Desai nur über elf Mitarbeiter verfügt. Von der britischen Tageszeitung »Guardian« kontaktierte Mitarbeiter australischer Kliniken gaben zudem an, nie mit der Firma Surgisphere zusammengearbeitet zu haben, was die Frage aufwirft, woher die Daten für die Studie tatsächlich stammen.

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Ähnliches steht es um den Fall der im »New England Journal of Medicine« veröffentlichten Studie. Die Autoren dieser Untersuchung haben Daten zu Covid-19-Patienten aus 169 Kliniken in elf Ländern analysiert, die ebenfalls Surgisphere zur Verfügung gestellt hat. Die Mediziner gingen dabei der Frage nach, wie sich bestimmte Herzmedikamente auf die Behandlung von Menschen auswirken, die an Covid-19 erkrankt sind. Dabei hatten sich keine Hinweise auf schädliche Nebenwirkungen ergeben.

Die Studienergebnisse in »Lancet« hatten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und weitere Forschungseinrichtungen dazu veranlasst, ihre klinischen Tests an den Malariamitteln einzustellen. Angesichts der Ungereimtheiten hat die WHO nun ihre Politik geändert. Die Untersuchungen könnten auf der Basis der vorhandenen Daten zur Sterblichkeit fortgesetzt werden, sagte der Generaldirektor der WHO Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Die »Lancet«-Studie, die unter Federführung von Mandeep Mehra vom Brigham and Women's Hospital der Harvard Medical School in Boston entstanden ist, war nicht die erste, die auf eine mangelnde Wirkung von Hydroxychloroquin und Chloroquin hinwies. Peter Lurie vom Center for Science in the Public Interest in Washington hatte sie damals der »Washington Post« gegenüber als einen »weiteren Sargnagel« für die Theorie bezeichnet, dass man mit den beiden Malariamitteln, die nur dank einer Ausnahmegenehmigung eingesetzt werden dürfen, etwas gegen Covid-19 unternehmen könne.

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