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Wirkstoffradio: Grenzwerte, Leitwerte und Studien am Beispiel Stickoxide und Feinstaub

Ein Auspuff produziert sichtbar Abgase

Bernd und André sitzen wieder zusammen bei Bernd im Wohnzimmer. Und wenn die beiden das tun, sprechen sie meistens von Dingen, die ihnen zu den letzten Folgen eingefallen sind, was ihnen aktuell so untergekommen ist und diverses mehr.

Diesmal dominiert das aktuelle, nämlich die Berichterstattung über die Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub: Daher ist Prof. Dr. Jan G. Hengstler zu Gast, vom Leibniz Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo). Er ist wissenschaftlicher Direktor und Leiter des Forschungsbereichs Toxikologie und Systemtoxikologie und kennt sich bestens mit Grenzwerten aus. Er war bereits in Folge WSR005 Was ist Toxikologie im Wirkstoffradio vertreten. Prof. Hengstler wird uns erklären, wie Grenzwerte eigentlich zustande kommen, was dafür nötig ist und berücksichtigt wird, und einig Beispiele und Hinweise auf Studien zum Thema Stickoxide und Feinstaub.

Die Wissenschaft in einem Grenzwert

Da es jede Menge Berichterstattung und auch Diskussion über die Grenzwerte zu Stickoxiden und Feinstaub gab, wollen wir versuchen, im Gespräch mit Prof. Hengstler, die Grundlagen für einen Grenzwert zu erfahren. Wissenschaftlich gehen vier Studientypen in die Ermittlung eines Grenzwertes ein: Humanstudien, Tierversuche, In-vitro-Versuche und epidemiologische Studien. Hier einige Links dazu:

Informationen zu Tierversuchen gibt es zum Beispiel bei Tierversuche-verstehen.de, die den Untertitel »eine Informationsinitiative der Wissenschaft« trägt und unter anderem von der Leibniz-Gemeinschaft, der Hochschulrektorenkonferenz, der Nationalen Akademie der Wissenschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und vielen anderen betrieben wird. Eine vollständige Liste aller beteiligten Organisationen und etwas Hintergrund zu der Initiative findet man hier.

Aus den vielen Studien der oben genannten vier Typen wurden unterschiedliche Stoffkonzentrationen ermittelt, bei denen Reaktionen oder Effekte beobachtet wurden. Einige davon sind in den Air Quality Guidelines von 2005 und den Guidelines for Indoor Air Quality von 2010 der Weltgesundheitsorganisation WHO enthalten. Bereits in der Veröffentlichung von 2005 wird ein Richtwert von 40µg/m³ für Stickoxide von der WHO empfohlen – den gleichen Wert, den die EU als Grenzwert vorgibt, und der auch in Deutschland Gültigkeit hat. Dazu gibt es ein paar weitere Information und Quellen beim Umwelt Bundesamt: Stickstoffdioxid-Belastung: Hintergrund zu EU-Grenzwerten für NO2.

Herr Hengstler via eMail schrieb zu den WHO-Papieren:

»Hier wird auf S. 334 ein Überblick über Tierversuche gegeben. Dort wird ausgeführt, dass es bei subchronischen Studien erst oberhalb von 3160 µg/m³ (2 ppm) NO2 zu toxischen Effekten kam. Dort wird auch diskutiert, dass es schon bei 752 µg/m³ nach 18 Monaten zu Lipidoxidation kam (WHO 2005, S. 334).«

Schließlich gehen wir auf die vier verschiedenen Typen von Studien genauer ein.

Was wird bei einer Humanstudie gemacht?

Beispiel für eine Humanstudie, die uns Herr Hengstler nach dem Gespräch hat zukommen lassen:

»Beispiel einer kontrollierten Humanstudie; key message: Asthmatiker zeigen bei Exposition gegenüber 474 µg/m³ (0.3 ppm) NO2 Bronchokonstriktion«

Die Studie befindet sich leider hinter einer Paywall, ist also nur für diejenigen zugänglich, die ein Abo der entsprechenden Fachzeitschrift haben. Daher werden wir nicht direkt auf den Artikel verlinken, sondern stellen euch den »Digital Object Identifier (DOI)« zur Verfügung:
10.1177/074823379000600110

Wie geht man bei einer Epidemiologischen Studie vor?

Wie ist der Ablauf bei einem Tierversuch?

  • erwähnte Studien reichen wir nach

Was wird in der Zellkultur (In-vitro-Studie) untersucht?

Ableitung von Grenzwerten

Nachdem Studien durchgeführt und ausgewertet wurden, bekommt man nicht automatisch einen Grenzwert. Es muss unterschieden werden, wie die Fragestellung ist. Beispielsweise sind für die Arbeitssicherheit andere Maßstäbe anzulegen als für den Schutz der Allgemeinheit. Ein paar Links dazu:

Herr Hengstler erwähnt auch eine epidemiologische Studie, zu der er uns nachträgliche weitere Informationen hat zukommen lassen:

»Beelen et al., Lancet, 2014: die im Interview erwähnte epidemiologische Studie. Dort wird für Feinstaub (PM2,5) eine Hazard Ratio (HR) von 1,07 mit einem 95%-Konfidenzintervall von 1,02-1,13 ermittelt. Konkret bedeutet das, dass das Risiko zu erkranken um 1,07 ansteigt, wenn man gegenüber 5 µg/m³ Feinstaub mehr exponiert ist. Für NO2 ist die HR=1,01 mit einem 95%-Konfidenzintervall von 0,99-1,03. Diese Werte beziehen sich auf den Anstieg des Risikos, wenn man gegenüber 10 µg/m³ NO2 mehr exponiert ist. In dieser Studie wird also für NO2 nur ein Trend aber kein statistisch signifikanter Zusammenhang berichtet. Im Interview wird die Schwierigkeit der Differenzierung von Confounder-Effekten erläutert. Die Autoren des Artikels diskutieren diese Schwierigkeit ebenfalls (»However, residual confounding … can never be excluded completely«; zweiter Absatz der Diskussion).«

Die Studie befindet sich leider hinter einer Paywall, ist also nur für diejenigen zugänglich, die ein Abo der entsprechenden Fachzeitschrift haben. Daher werden wir nicht direkt auf den Artikel verlinken, sondern stellen euch den »Digital Object Identifier (DOI)« zur Verfügung: 10.1016/S0140-6736(13)62158-3

Was sind Stickoxide und Feinstaub und was ist ihr toxischer Effekt?

Eine Linkliste von Stichworten, die dabei vor kommen, alle aus der Wikipedia:

Schwellenwerte

Bereits in der Folge WSR005 Was ist Toxikologie hat uns Herr Hengstler erklärt, dass es Substanzen ohne und mit einem Schwellenwert für ihre jeweilige Gefährlichkeit für den Menschen gibt. Dabei sind die Substanz ohne Schwellenwert die gentoxischen und krebserregenden Stoffe.

Substanzen, die Zellmembranen schädigen oder eine Entzündung auslösen wie beispielsweise NO oder NO2, sind Stoffe, die erst ab einer bestimmten Schwelle gefährlich für den menschlichen Organismus sind, sagt Herr Hengstler. Allerdings ist es ausgesprochen schwierig, experimentell diese Schwellenwerte genau festzulegen, weil diese von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein können. Beispielsweise, wenn es (vereinzelt) zu einer allergischen Reaktion kommt.

Raucher als Beispiel der Stickoxidbelastung

Herr Hengstler sagt, dass es generell nicht falsch sein muss, Raucher als Beispiel für die Stickoxidbelastung heran zu ziehen. Die Frage hierbei ist allerdings, wie man dies genau interpretiert und was man daraus ableitet.

Wenn man die Harmlosigkeit von etwas nachweisen will, so Herr Hengstler, benötigt man eine Exposition, bei der nachgewiesenermaßen nichts passiert. Das ist beim Rauchen nicht gegeben, und man kann daher aus der Tatsache »dass Raucher nicht alle sofort tot umfallen« nicht ableiten, dass die Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub zu hoch angesetzt sind. Anders ausgedrückt: Ein Raucher ist bereits mit seiner Feinstaub und Stickoxidbelastung in einem Konzentrationsbereich, bei dem eine Wirkung festzustellen ist und deswegen eignet sich dies nicht als Ausgangspunkt für eine Festlegung eines Grenzwertes oder Schwellenwertes, denn dafür bräuchte es eine Exposition, bei der keine Wirkung festzustellen ist – denn genau das soll ein Grenzwert am Ende ja erreichen: Ein Wert für eine Substanz, die niemandem schadet, also auch keine Wirkung zeigt.

Was ist eine Metastudie?

Mehr Hintergrundinformationen, zu dem was Herr Hengstler erklärt, gibt es im Wikipedia-Artikel systematische Übersichtsarbeit. Weitere Stichworte bei Wikipedia:

Hier verweist Herr Hengstler auch nochmal auf die Studie »Beelen et al.«, zu der oben bereits ein Zitat von Herrn Hengstler steht.

Wenn der Effekt nicht linear ist oder die Dosis-Wirkungsbeziehung

In den meisten Fällen kann man nicht davon ausgehen, dass eine Schädigung bei einer geringen Dosis linear mit einer Erhöhung der Dosis anwächst. Das kann man recht anschaulich an der Theorie zur Dosis-Wirkungs-Kurve sehen. Besonders wenn Entzündungserscheinungen und allergische Reaktionen eine Rolle spielen, kann man davon ausgehen, dass die Beziehung zwischen Dosis und Wirkung nicht linear ist aber auch, dass diese Beziehung sehr stark vom jeweiligen Individuum abhängt.

Der Sinn hinter Grenzwerten und der gesellschaftliche Konsens

Das ist vor allem von der Fragestellung oder der Zielsetzung eines Grenzwertes abhängig. Wenn die Allgemeinheit geschützt werden soll, müssen auch besonders Empfindliche, Anfällige, Kranke, sehr junge und sehr alte Menschen mit in die Abwägungen mit einbezogen werden – dies ist ein deutlicher Unterschied zu Grenzwerten aus dem Arbeitsschutz, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass Mitarbeiter*innen betriebssärztlich beobachtet werden und immer nur begrenzte Zeiten einer Substanz ausgesetzt sind.

Herr Hengstler stellt heraus, dass es sich hier immer um einen gesellschaftlichen Konsens handelt und es durchaus möglich ist, dass zu einer Substanz verschiedene Grenzwerte in verschiedenen Bereichen des Alltags existieren. Herr Hengstler nochmal aus einer eMail, die er uns nach dem Gespräch hat zukommen lassen:

»Die Begründung des MAK-Wertes (Arbeitsplatz-Grenzwert) von 950 µg/m3. Der Unterschied zu dem WHO-Richtwert von 40 µg/m3 in der Außenluft kommt dadurch zustande, dass der MAK-Wert nur für Gesunde in ihrer Arbeitszeit (40 Stunden pro Woche und 220 Tage im Jahr für 40 Jahre) gilt, und dass der WHO-Richtwert die gesamte Bevölkerung, einschließlich besonders empfindlicher Personen, vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen schützen soll.«

siehe dazu den Wikipedia-Artikel Maximal-Arbeitsplatz-Konzentration (MAK-Wert).

Die wissenschaftliche Seite des Prozesses, der dann später zu einem rechtlich bindenden Grenzwert führt, wird in unabhängigen Gremien gemacht. Beispielsweise in den Arbeitsgruppen der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), aber auch das Institut von Herrn Hengstler, das IfADo, hat eine eigene Informationsseite zu dem Thema.

  • Der angekündigte Link zur WHO-Seite über Luftverschmutzung, leider nur auf Englisch: WHO – air pollution

Herr Hengstler lieferte uns noch per eMail folgendes nach:

»MAK-Begründung für NO2: hier wird eine Studie diskutiert mit 13 Wochen NO2-Exposition; der NOAEC (no observed adverse effect level) liegt bei 2.14 ml/m³; einige weitere Tierstudien werden in diesem Dokument diskutiert.
Bei 632 mg/m³ (0.4 ppm) NO2 kommt es zu verstärkter Lipidperoxidation; Ratten mit Exposition für 18 Monate.«

Die Studie befindet sich leider hinter einer Paywall, ist also nur für diejenigen zugänglich, die ein Abo der entsprechenden Fachzeitschrift haben. Daher werden wir nicht direkt auf den Artikel verlinken, sondern stellen euch den »Digital Object Identifier (DOI)« zur Verfügung: 10.1016/0041-008X(84)90097-8

Persönliche Anmerkungen von Prof. Hengstler

Unser Gast merkt abschließend noch an, dass er etwas verwundert darüber war, dass zur Debatte um Stickoxide und Feinstaub gar nicht die Wissenschaftler befragt wurden, die mit der wissenschaftlichen Ausarbeitung hier in Deutschland befasst gewesen sind.

Quellen von Stickoxiden und Feinstaub und Risikomanagement

Wir, Bernd und André, wollen uns ganz herzlich bei Prof. Jan Hengstler vom IfADo bedanken, dass er sich Zeit genommen hat, um mit uns zu sprechen. Herzlichen Dank!

Schreiben Sie uns!

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