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Modellansatz: Qwirkle Gruppe

Zufällig ausgewählte Zahlen

In vielen Spielen steckt Mathematik, seien es Minecraft, Wasserraketen oder Tiptoi. Lisa Mirlina und Felix Dehnen haben sich Qwirkle (ein Spiel der Schmidt Spiele von Susan McKinley Ross) einmal ganz genau angesehen.

Die beiden konnten als Teilnehmer des Hector-Seminar an einem Kooperationsprojekt mit der Fakultät für Mathematik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) teilnehmen. Hier betreute sie Prof. Dr. Frank Herrlich in dem Projekt auf der Suche nach der perfekten Qwirkle-Lösung- wofür die beiden ihm ganz herzlich danken.

Das Legespiel war 2011 Spiel des Jahres und besteht aus 108 Spielsteinen aus sechs verschiedenen Farben und sechs verschiedenen Formen- jede Kombination kommt dabei dreimal vor. Jeder Spielteilnehmer versucht aus seinen eigenen sechs nachzuziehenden Spielsteinen gleiche Formen oder gleiche Farben auf dem Tisch in Reihen zusammenzulegen. Wie bei Scrabble gibt es für jedes Anlegen Punkte- es müssen aber alle entstehende Reihen korrekt sein- von Farbe oder Form, wie bei Mau-Mau oder Domino. Das Spielziel ist eine möglichst hohe Anzahl von Punkten zu erreichen.

Den mathematischen Hintergrund zum Spiel fanden die beiden in der Topologie: Auf einem Tisch kann man höchstens 36 Steine perfekt anordnen- auf einer anderen topologischen Struktur eventuell mehr.

Ideale Anordnung von 36 Qwirkle-Steinen auf einem Tisch- Foto: Lisa Mirlina und Felix Dehnen

Mit Hilfe von Verklebungen kann man zu Flächen wie beispielsweise auf einem Torus gelangen- wenn man die jeweils die gegenüberliegenden Seiten miteinander verklebt:

Torus from rectangle – CC0 von Lucas V. Barbosa / Kieff – en.wikipedia.org/wiki/File:Torus_from_rectangle.gif

Auf einem Torus haben wirklich alle Steine vier Nachbarn- und nicht nur die Steine im Inneren. Die Frage ist nun, ob es möglich ist, eine Fläche zu finden, wo jeder der 108 Steine in genau zwei perfekten Qwirkle-Reihen- also jeder Form oder Farbe- liegen kann.

Neben einem Torus kann man durch Verkleben aus einem Quadrat oder Rechteck auch die Sphäre, das Möbiusband, die Projektive Ebene oder die Kleinsche Flasche erzeugen. Dabei sind das Möbiusband, die projektive Ebene und die Kleinsche Flasche nicht mehr orientierbar, da man keinen Normalenvektor angeben kann. Die projektive Fläche hat in ihrer Darstellung durch homogene Koordinaten eine wichtige Anwendung in der Computergrafik, da Verschiebungen auch als lineare Abbildungen umgesetzt werden können und die gesamte Berechnung deutlich erleichtert.

Auch frühere Folgen zu Teichmüllerkurven (Modell042) und wilden Singularitäten (Modell060) haben im Modellansatz Podcast Topologie und Verklebungen behandelt.

Die Topologie ist dabei überhaupt nicht so theoretisch, wie sie zunächst erscheint- denn da wir nicht auf einer Ebene oder flachen Erde leben, können wir einmal um die Erde herumgehen, und nach langem Weg wieder an dem gleichen Ort wieder ankommen. Wir können auch andere Winkelsummen von Dreiecken bestimmen. Diese Experimente können wir beim Universum leider nicht leicht durchführen, und so ist die Forschung nach der Topologie des Universums sehr aktuell.

In der Topologie können Flächen bzw. zwei topologische Räume als äquivalent angesehen werden, wenn sie durch eine Homöomorphie, also durch eine stetige und stetig umkehrbare Abbildung in einander überführt werden können. So ist eine Tasse (mit einem Henkel) zu einem Torus homöomorph- nicht jedoch zu einem Becher ohne Henkel.

Mug and Torus- CC0 von Lucas V. Barbosa / Kieff – commons.wikimedia.org/wiki/File:Mug_and_Torus_morph.gif

Dies führt auf das interessante Gebiet der topologischen Klassifikation der Flächen, denn man kann durch eine genügend feine Unterteilung der Fläche in beispielsweise Dreiecke, einer Triangulierung, zusammen mit einigen Regeln die Art der Fläche bestimmen.

Dies führt auf den verallgemeinerten Satz von Euler für orientierbare Flächen, wo E die Zahl der Ecken, F die Zahl der Flächen, K die Zahl der Kanten und g das Geschlecht bezeichnet:

$E+F-K=2-2g$

Das Drei Häuser-Problem ist ein Knobelrätsel zu diesem Satz, da das Problem auf einer Ebene oder eine Sphäre nicht lösbar ist, jedoch auf dem Torus eine Lösung besitzt.

Lösung des Drei Häuser-Problems auf einem Torus. Skizze: Sebastian Ritterbusch

Für das Qwirkle-Spiel liefert der Dreifach-Torus (oder eine Brezel) eine Lösung für 8 Steine, wo jeweils zwei Steine doppelt sind und daher auf einem Tisch nicht so anzuordnen wären:

Ideale Anordnung von 8 Qwirkle-Steinen auf einem Torus- Illustration: Lisa Mirlina und Felix Dehnen

Für 18 Steine haben sie eine unsymmetrische Lösung gefunden, die sich nicht so leicht auf mehr Steine erweitern ließ:

Ideale aber unsymmetrische Anordnung von 18 Qwirkle-Steinen auf einem Torus- Illustration: Lisa Mirlina und Felix Dehnen

Mit der Treppenstruktur wie bei 8 Steinen mit einer 9er Struktur kann man aber eine Lösung aus 108 Steinen konstruieren:

Ideale Anordnung von 108 Qwirkle-Steinen auf einem Torus- Illustration: Lisa Mirlina und Felix Dehnen

Nach dem Satz von Euler ist diese Lösung auf einer Fläche, die einem Fünf-Torus entspricht- oder einer Brezel mit zwei Löchern zu viel.

Dies ist aber nicht die einzige Lösung für 108 Steine- mit Gruppentheorie kann man nach weiteren Lösungen suchen: Denn so, wie die Steine sich nach Verklebung in einer Richtung wiederholen, so können auch Gruppen genau diese Wiederholungen darstellen.

Ein sehr einfaches Beispiel ist die zyklische Gruppe aus drei Elementen 0, 1, 2, die man mit der Addition verknüpft, und bei Ergebnissen über 2 wieder drei abzieht, wie man in dieser Verknüpfungstafel ablesen kann:

+012
0012
1120
2201

Auf drei Elementen kann man aber auch die Symmetrische oder Permutations-Gruppe S_3 definieren: In dieser sind alle möglichen sechs Vertauschungen bzw. Permutationen von den drei Elementen enthalten. Ein anderer Ansatz ist es, die drei Elemente als Ecken eines gleichseitigen Dreiecks zu sehen und alle Rotationen oder Spiegelungen zur Dieder- oder Symmetriegruppe D_3 definieren. Im speziellen Fall von drei Elementen stimmen die beiden Gruppen mit je sechs Abbildungen überein, d.h. D_3=S_3:

Dieder- bzw. Symmetriegruppe D3 auf einem gleichseitigen Dreieck. Illustration: Lisa Mirlina und Felix Dehnen

Durch das direkte Produkt D_3\times D_3\times D_3 von drei Symmetriegruppen D_3 erhält man eine Gruppe mit 216 Elementen, unter Festhalten des Signums (bzw. Vorzeichen), kann man durch Faktorisierung eine Untergruppe mit 108 Elementen bestimmen- die Qwirkle-Gruppe.

Die Qwirkle-Gruppe. Illustration: Lisa Mirlina und Felix Dehnen

Aus dieser Gruppe kann man nun wieder eine Fläche erzeugen, die das perfekte Qwirkle-Spiel mit 108 Steinen mit vollkommen symmetrischen Aufbau ermöglicht:

Das perfekte Qwirkle-Spiel auf der topologischen Fläche der Qwirkle-Gruppe. Illustration: Lisa Mirlina und Felix Dehnen

Die Fläche dieser Lösung hat das Geschlecht 37, ist also äquivalent zu einer Tasse mit 37 Henkeln.

Mit diesem Projekt starteten Lisa Mirlina und Felix Dehnen bei Jugend forscht- zunächst beim Regionalentscheid, dann beim Landesentscheid und schließlich dem Bundeswettbewerb. Sie gewannen den Preis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (DMV) für besonders kreativen Einsatz der Mathematik. Und dann ging es als Delegation nach Japan.

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