Wer war’s?: Die erste Frau auf einem Astronomielehrstuhl

Ihre Karriere in der Forschung dauerte keine 15 Jahre. In dieser Zeit publiziert sie mehr als 120 Arbeiten – das allein macht sie schon zu einer der produktivsten Wissenschaftlerinnen der Branche. Und das ist nicht der einzige Superlativ, der mit ihr verbunden ist: Sie ist auch die erste Frau auf einem Astronomielehrstuhl in Yale, und – tragischer Superlativ – nur wenige Astronomen sind so jung gestorben wie sie. Bei ihrem Krebstod ist sie gerade einmal 40 Jahre alt. In einem Nachruf nennt die »New York Times« sie superlativistisch »die weltweit führende Expertin für das Altern und die Evolution von Galaxien«.
Tatsächlich beschäftigte sich die Mathematikerin und Astronomin mit vielen Themen im großen Bereich Kosmologie, unter anderem dem Ausdehnen des Universums. Um dies abzuschätzen, verwendet man zu ihrer Zeit als Entfernungsmarker beispielsweise Riesenellipsen, gigantische ellipsenförmige Galaxien. Schon in ihrer Dissertation bezweifelt die Astronomin, dass diese Standardkerzen tatsächlich einen so guten Standard darstellen – sie würden nämlich in Wirklichkeit altern. Diese Alterung simuliert sie in ihrer Doktorarbeit mit einem effektiven Trick, indem sie die Entwicklung von Galaxien in zehn bis zwanzig Zeitschritten modelliert.
Das hat schwerwiegende Konsequenzen: In der Folge muss auch eine damals gängige Lehrmeinung hinterfragt werden, nämlich dass das Universum »geschlossen« sei, sich also immer langsamer ausdehne und irgendwann in sich zusammenfalle. Gemeinsam mit drei Kollegen publiziert sie einige Jahre nach ihrer Doktorarbeit die bemerkenswerte Arbeit »An Unbound Universe«, in der sie mit großem Nachdruck, vielen Argumenten und auch einigem Sarkasmus ihre These zusammenfasst: Mangels Dichte sei das Universum wohl »offen«, es dehne sich immer weiter aus. Eigensinn und Widerspruch liegen ihr. Auch wenn sie auf den ersten Blick angepasst und übrigens auch extrem diszipliniert lebt, fällt sie dann aber immer wieder sehr ungewöhnliche Lebensentscheidungen.
Sie wächst in einem gläubigen und sozial engagierten Haushalt auf: Ihr Vater arbeitet für die anglikanische Kirche und als Bürgermeister. Seine Tochter, die mittlere von dreien, ist eine exzellente Schülerin, die sogar eine Klasse überspringt, kunstinteressiert, schreibt Gedichte, tanzt Ballett, spielt Klavier und Violine. Zudem erringt sie das National University Scholarship an ihrer Highschool in Mathematik. Die Schulleiterin hatte zum Fach Englisch geraten.
Sie studiert dann Physik und Mathematik im Doppelfach. Und sie spielt zeitgleich Violine im New Zealand National Orchestra. Als sie mit dem Grundstudium fertig ist, heiratet sie einen Kommilitonen. Seit sie 14 Jahre alt ist, will sie Astronomin werden, aber ihre Masterarbeit »Theory of the Crystal Field of Neodymium Magnesium Nitrate« schreibt sie in Festkörperphysik. Sie folgt danach ihrem Ehemann in die USA, wo jener in Dallas, Texas, eine Stelle an einer Forschungseinrichtung bekommt.
Sie selbst beginnt in Texas ein Doktorstudium. So sieht sich das Ehepaar nur noch am Wochenende, weil die Physikerin unter der Woche immer 300 Kilometer (einfache Strecke) nach Austin fährt und fliegt. Die Physikerin will Kinder, engagiert sich aber gleichzeitig für die Bewegung Zero Population Growth. Das Paar adoptiert noch vor Abschluss der Doktorarbeit einen Sohn und danach auch eine Tochter. Die Mutter stemmt das Familienleben und bemüht sich gleichzeitig um eine Anstellung an einer Universität. Doch das gestaltet sich für Ehefrauen besonders schwierig; so bleiben ihr nur mehrere Gastdozenturen und Verwaltungsjobs, bei denen sie Drittmittel für die Astronomie-Fakultät einwirbt. Als sie sich einige Jahre später auf die Leitung der Fakultät bewirbt, erhält sie nicht einmal eine Antwort der Universität.
Stattdessen bekommt sie zwei Angebote für Assistenzprofessuren in Chicago und New Haven, Connecticut. Fast zeitgleich lässt sich das Paar scheiden. Um den Kindern näher zu sein, entscheidet sich die Astronomin für Yale – und dort bietet man ihr wenig später einen Lehrstuhl an. Doch Glück und Unglück liegen manchmal nahe beieinander: Im selben Jahr wird ein malignes Melanom bei ihr diagnostiziert, an dem sie nur drei Jahre später verstirbt.
Es war Beatrice Muriel Hill Tinsley (geboren am 27. Januar 1941 in Chester, England, gestorben am 23. März 1981 in Yale). Tinsley war die Tochter von Jean geb. Morton und Edward Hill, einem anglikanischen Prediger und Politiker, der im Jahr 1946 mit seiner Familie zunächst nach Christchurch und später nach New Plymouth auf Neuseeland auswanderte und nur wenige Jahre nach seiner dortigen Ankunft den langjährigen Bürgermeister der Stadt in seinem Amt ablöste. Beatrice war die zweite von drei Töchtern Hills.
In der Schule war Beatrice eine exzellente Schülerin und wurde in der Grundschule als Klassenbeste während des Schuljahrs ein Jahr höher eingestuft. Sie war kunstinteressiert, schrieb Gedichte und Texte, tanzte Ballett und spielte Klavier und Violine. Sie wird auch als extrem diszipliniert beschrieben; ihr Tagesablauf folgte einem strengen Plan.
Mit etwa 14 Jahren begann sie sich mit Physik und Mathematik zu beschäftigen, mit dem Ziel, Astrophysikerin zu werden. Im Jahr 1958 kam sie an die Canterbury University, belegte Mathematik und Physik im Doppelfach und lernte gleichzeitig Deutsch. Zwei Jahre lang spielte sie zudem Violine im New Zealand National Orchestra. Ihr Grundstudium schloss sie 1961 mit dem Bachelor of Science ab; im selben Jahr heiratete Hill ihren Kommilitonen Brian Alfred Tinsley. Es zeichnete sich schon damals ab, dass die Ehe phasenweise als Wochenend- und Fernbeziehung geführt werden würde.
In den Jahren 1962 bis 1963 arbeitete Hill Tinsley nebenher als Physiklehrerin an der Christchurch Girls’ High School und gab an der Universität Physik-Nachhilfe. 1963 schloss sie das Studium mit dem Master ab, wiederum mit exzellenten Ergebnissen; ihre Masterarbeit handelte von Festkörperphysik. Weil ihr Ehemann im selben Jahr eine Stelle am Southwest Center for Advanced Studies (SCAS) in Dallas, Texas, erhielt, zogen die beiden in die USA. Im September 1964 nahm Hill Tinsley ein PhD-Studium am Astronomy Department der University of Texas in Austin auf. Das führte dazu, dass sie jede Woche die mehr als 300 Kilometer zwischen Dallas und Austin hin und her pendelte. Im Dezember 1967 gab sie ihre Dissertation ab.
Im Jahr davor adoptierte das Paar einen Jungen, Alan Roger Tinsley, und 1968 ein Mädchen, Theresa Jean Tinsley; Hill Tinsley engagierte sich für die Bewegung Zero Population Growth.
Sie hielt sich mit Stipendien, Gastdozenturen und Verwaltungsjobs, bei denen sie vor allem Drittmittel einwarb, an der University of Texas über Wasser. Durch ihre Arbeit half sie beim Aufbau der Astronomie-Fakultät der Universität. Im Jahr 1972 zog sie mit den Kindern an das Caltech in Pasadena, um dort auf dem Mt. Palomar Observatory zu arbeiten. Ein Jahr später erhielt sie eine befristete Dozentenstelle an der University of Maryland. Mit einem Reisestipendium besuchte sie im folgenden Jahr das Institut für theoretische Astronomie in Cambridge (England).
Sie bekam in der Folge Angebote für Assistenzprofessuren in Chicago und Yale; ihre Bewerbung auf die Leitung der Fakultät für Astronomie an der University of Texas verlief im Sande. Im Jahr 1975 ließen sich Brian Tinsley und Beatrice Hill Tinsley scheiden. Um den Kindern näher zu sein, entschied sich Hill Tinsley für Yale; wenig später gewann sie ein Alfred P. Sloan Fellowship.
Im Jahr 1978 wurde erstmals Hautkrebs bei ihr diagnostiziert; im selben Jahr erhielt sie einen Lehrstuhl in New Haven. Sie starb 1981 an den Folgen des Krebsleidens.
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