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Martingale

Treitz-Rätsel

Es gibt angeblich Rezepte, systematisch beim Roulette zu gewinnen, ohne selbst eine Spielbank zu betreiben und ohne den Zufallsgenerator zu manipulieren oder dessen Unregelmäßigkeiten zu nutzen. Eins davon ist (unter dem Name "Martingal") nach der südfranzösischen Stadt Martigues (oder auch nach St. Petersburg) benannt.

Man setzt prinzipiell z. B. immer auf Rot, so dass man im Gewinnfalle den doppelten Einsatz bekommt, also den einfachen gewinnt. Man beginnt mit der kleinsten Einheit. Gewinnt man, bleibt man bei ihr oder kehrt zu ihr zurück. Verliert man aber, so verdoppelt man den jeweils letzten Einsatz, und zwar so oft, bis man wieder gewinnt. Auf diese Weise gewinnt man in jeder Folge von einem Gewinn zum nächsten per saldo genau den kleinsten Einsatz, das aber beliebig oft. Oder?

Leider ist die Höhe des Einsatzes beschränkt, wenn nicht durch die Spielregel der Bank, so doch durch die Größe der Hosentasche, in der man die Chips bei sich führt, oder die Menge des Bargelds beim Kaufen der Chips oder die Kreditlinie beim Borgen von solchen oder so ähnlich.

In dem Bild sind in waagerechter Richtung die Wahrscheinlichkeiten oder die Zahl der Fälle für die verschiedenen Spielausgänge aufgetragen, die negativen Zahlen in den farbigen Feldern sind die Einsätze, die positiven die Auszahlungen.

In der unteren Zeile sieht man dann, dass man in dem Beispiel, dass man schon bei 15 Einheiten (=1+2+4+8) aufgeben muss, in 15/16 aller (gleich wahrscheinlichen) Fälle je eine Einheit gewinnt, aber in dem verbleibenden 1/16 der Fälle bedauerlicher Weise genau auch wieder 15 Einheiten verliert.

Natürlich ist die Einsatzgrenze in Wirklichkeit viel höher, aber die Situation ist im Wesentlichen dieselbe – nur nicht so sauber zu zeichnen. Überlisten des Zufalls ist nicht. Frei nach Bertolt Brecht: Was ist der Betrugsversuch in einer Spielbank im Vergleich zum Betreiben einer Spielbank?

Man kann ernsthaft darüber streiten, ob ein Staat seine Bürger oder Gäste abzocken oder gar Privatleuten die Lizenz dazu geben darf (immerhin mussten die Bewohner Nordrhein-Westfalens lange Zeit über die Landesgrenzen nach Bad Pyrmont oder Bad Neuenahr fahren, um ihr Geld loszuwerden). Sicher muss man die Mehrzahl der Opfer nicht allzu sehr bedauern, aber es gibt auch krankhafte Spieler. Wie Rauschmittel zieht auch diese Sucht ihre Spur durch unsere Kulturgeschichte (Dostojewski!), und die Ironie der Geschichte ist: Wenn man die Verwaltung der Landwirtschaft (etwa nach den Nilüberflutungen) als eine Keimzelle der Geometrie ansehen kann, so spielt das Glücksspiel eine ähnliche Rolle für die Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Wenn Ihnen das gleiche Bild bei einer anderen Aufgabe noch einmal begegnet: Der mathematische Hintergrund ist dort kein anderer.

  • Quellen
Martin Gardner im Scientific American, April 1957

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