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Wer war's?: Pläne, Plasma und ein Nom de Plume

Der Gesuchte war ein mathematischer Löwenfänger und entwickelte den Stellararator, aus dem vielleicht eines Tages ein Fusionsreaktor hervorgehen könnte.
Bunte Silhoutten verschiedener Köpfe

Wie fängt man einen wilden Löwen in der Sahara? Zum Beispiel mit der Methode der inversiven Geometrie: »Wir platzieren einen kreisrunden Käfig in der Wüste, betreten ihn und sperren ihn ab. Anschließend führen wir eine Inversion bezüglich des Käfigs durch. Der Löwe befindet sich dann im Inneren des Käfigs und wir sind außen.« Oder nach der Dirac-Methode: »Wir beobachten, dass wilde Löwen, ipso facto, in der Sahara gar nicht vorkommen. Infolgedessen müssen Löwen, wenn sie in der Sahara sind, zahm sein. Das Fangen eines zahmen Löwen überlassen wir dem Leser als Übung.«

Insgesamt 16 Möglichkeiten, wilde Löwen in der Wüste zu fangen, werden 1938 in einem Artikel im American Mathematical Monthly zusammengestellt. Die Arbeit begründet das Gebiet der »mathematischen Theorie der Großwildjagd« und inspiriert eine ganze Reihe von Mathematikern und Physikern, sich in den folgenden Jahrzehnten in vielen Varianten mit Löwenjagd zu beschäftigen. Allein: Wer genau die Lawine von Löwen-Artikeln tatsächlich losgetreten hat, ist unbekannt. Der oder die Autoren verbergen sich nämlich hinter dem Nom de Plume »J. Pétard, Princeton, New Jersey«, womit sie sich auf den französischen Ausdruck für eine kleine Sprengladung beziehen.

Gemeinhin wird vermutet, dass der führende Knallkopf hinter dem Paper der Topologe Ralph Boas ist. Doch es gibt glaubhafte Stimmen, die den Gesuchten verantwortlich machen. Tatsächlich spricht einiges dafür: Er macht im Jahr 1938 in Princeton seinen Doktor, ist ein geselliger Typ, der unter anderem gerne mit witzigen Leuten wie Boas und dem Statistiker John Tukey abhängt, und vor allem: er ist immer für jeden Spaß zu haben.

Beleg gefällig? Fast 40 Jahre später, im Juni 1976, besteigt der Gesuchte, passionierter Bergsteiger und inzwischen Direktor des Observatoriums, zusammen mit seinem Kollegen, dem Astrophysiker Donald C. Morton und dem Studenten Mike Shull den Cleveland Tower, einen etwa 50 Meter hohen Glockenturm auf dem Gelände von Princeton. Weil Morton denselben Turm zuvor schon einmal hochgeklettert war, kann man die Aktion nicht als Erstbesteigung zählen. Anders elf Jahre zuvor: Da unternehmen Morton und der Gesuchte tatsächlich eine echte Erstbesteigung, indem sie den Mount Thor bezwingen, einen 1675 Meter hohen Berg in Kanada.

Bergsteigen – in Gemeinschaft seiner Familie oder zusammen mit Astronomen oder Astrophysikern – ist die liebste Freizeitbeschäftigung des Gesuchten. Er klettert nicht nur in Kanada, sondern auch in den Dolomiten und in den USA, ist Mitglied des American Alpine Club und ruft sogar einen eigenen Bergsteigerpreis aus. Da verwundert es nicht, dass der Gesuchte eines seiner beruflich wichtigsten Projekte »Project Matterhorn« tauft: Die Gründung des später so genannten Princeton Plasma Physics Laboratory.

Eine passende Namenswahl, auch in Anbetracht der Tatsache, dass er seine Forschungsprojekte ähnlich strategisch plant wie seine Bergtouren. Dreh- und Angelpunkt des Plasma Physics Laboratory ist ein Stellarator, die Idee des Gesuchten: In einem Magnetfeld in Form eines einmal verdrehten Torus soll sich Plasma so weit konzentrieren lassen, dass es zu einer Kernfusion kommen kann. Die Form einer »8« soll dabei die Bahnen der Plasmateilchen stabilisieren. So sollen Bedingungen entstehen, wie sie sonst nur im Inneren von Sternen vorkommen – denn genau das ist das Hauptforschungsgebiet des Gesuchten, die Plasmaphysik in der Astronomie. Fast zehn Jahre lang leitet er das Labor und schreibt wichtige Lehrbücher über Plasma im All und in Sternen.

Ein weiteres Beispiel für einen perfekten Plan ist seine Bewerbung in Princeton, die er schreibt, als er einige Jahre vor der Stellarator-Idee wieder an seine Alma Mater zurückkehren will, um seinen Doktorvater zu beerben. Dem Bewerbungsschreiben fügt er eine bis in finanzielle Details ausgearbeitete Vorlage für eine Neuorganisation des Department of Astronomy an, inklusive Personalvorschlägen. Am Ende kriegt er nicht nur die Stelle, sondern es wird auch alles genau so realisiert wie geplant. Folge: Der Gesuchte kann die Astronomie in Princeton deutlich ausbauen.

Am längsten muss der Gesuchte bei seinem dritten Plan warten, einem Extra-Terrestrial Observatory. Zu einer Zeit, als Computer noch Schaltschränke von Garagengröße sind, skizziert er drei Möglichkeiten, das Universum von einem Satelliten aus zu beobachten: Ganz ohne Teleskop, mit einem kleinen 10-Zoll-Reflektor oder mit einem großen Reflektor. Umgesetzt wird die dritte Option, auch wenn der Gesuchte darauf Jahrzehnte warten muss: Im Jahr 1990 wird das Hubble Space Telescope im All ausgesetzt. Noch am Tag seines überraschenden Todes, so wissen Kollegen in Physics Today zu berichten, arbeitet er an Daten dieses Weltraumteleskops. Dass die NASA ein Jahrzehnt später sogar ein Weltraumteleskop ins All schickt, das seinen Namen trägt, erlebt er hingegen nicht mehr.

Es war Lyman Spitzer (geboren am 26. Juni 1914 in Toledo, Ohio, USA, gestorben am 31. März 1997 in Princeton, New Jersey, USA). Zwischen 1929 und 1931 besuchte er die Phillips Academy bei Boston. Er schloss anschließend ein Studium in Yale mit dem Bachelor im Jahr 1935 ab und studierte dann für ein Jahr in Großbritannien an der Cambridge University. Zurück in den USA ging er nach Princeton, wo er im Jahr 1938 bei Henry Norris Russell über The spectra of late supergiant stars promovierte. Er wechselte dann für einige Monate nach Harvard und ging anschließend 1939 nach Yale.

Während des Krieges arbeitete Spitzer in der militärischen Forschung an der Entwicklung und Datenauswertung von Sonar-Geräten, als Leiter der Sonar Analysis Group in Columbia. In den Jahren 1946/47 finden wir ihn als Associate Professor in Yale, bevor er im Jahr 1947 mit 33 Jahren nach Princeton zurückkehrte, um seinen Doktorvater Russell als Leiter des dortigen Observatoriums und des Instituts für Astronomie abzulösen. Ein Kollege und Biograph berichtet, dass sogar hinter der Zeit in Yale eine Strategie Spitzers lag: Er habe sich bessere Chancen ausgerechnet, Russells Stelle einnehmen zu können, wenn er sich von außen auf die Stelle bewarb, als wenn er dies von Princeton aus getan hätte. Seinem Bewerbungsschreiben, das er an Harlow Shapley richtete, hatte er einen detaillierten Plan beigefügt, wie das Institut für Astronomie umzugestalten und auszubauen sei (Zeithorizont: 15 Jahre), inklusive der Anstellung einer Person wie Martin Schwarzschild. Tatsächlich wurde Schwarzschild in der Folge angestellt und arbeitete über Jahrzehnte hinweg mit Spitzer zusammen; beide starben etwa zeitgleich im Jahr 1997. Spitzer gab seine Leitungsfunktionen im Jahr 1979 ab.

Fast zeitgleich mit seiner Bewerbung in Princeton hatte er 1946 unter dem Titel »Astronomical Advantages of an Extra-Terrestrial Observatory« in »The Astronomy Quaterly« die Vision eines satellitenbasierten Weltraumteleskops entworfen. In den 1970er Jahren begannen diese Pläne dann tatsächlich Gestalt anzunehmen; 1990 wurden sie im Weltraumteleskop Hubble umgesetzt. Spitzer arbeitete gegen Ende seines Lebens an Hubble-Daten, angeblich sogar an seinem Todestag (Er starb sehr überraschend am Ende eines Arbeitstages.).>7p>

Zeit seines Lebens hat sich Spitzer mit Plasmaphysik beschäftigt. 1951 formulierte er die Idee für einen so genannten Stellarator – von lateinisch stella, Stern. In einem zu einer »8« einfach verwundenen Torus wird darin Plasma soweit komprimiert, dass wie im Inneren von Sternen eine Kernfusion zustande kommen kann. Spitzer plante für Bau und Erforschung eines ersten Stellarators die Gründung eines neuen Labors an der Universität Princeton. Als passionierter Bergsteiger taufte er dieses Projekt »Matterhorn«. Ab dem Jahr 1953 entstand so in Princeton das Plasma Physics Laboratory, das Spitzer bis 1967 leitete. In Anlehnung an das »Project Matterhorn« wurden die Stellaratoren, die später in Garching bei München gebaut wurden, »Wendelstein« getauft.

Das zweite Lebensthema Spitzers war das Bergsteigen. Weltweit erklomm er (oft zusammen mit Kollegen) zahllose Berge. Zusammen mit dem Astrophysiker Donald C. Morton unternahm er im Jahr 1965 die Erstbesteigung des Mount Thor oder Qaisualuk in Kanada.

Im Jahr 2003 schoss die NASA ein Infrarotweltraumteleskop ins All, das nach Spitzer benannt worden war.

Lyman Spitzer (1914 – 1997) | Der Physiker war Vorreiter für den Bau eines großen Weltraumteleskops, das im Jahr 1990 als Hubble Space Telescope gestartet wurde.

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